Unsa Senf

Der BVB und seine Verletzungshistorie Die BVB-Klinik an der Adi-Preißler-Allee und ihre Protagonisten

07.09.2023, 12:09 Uhr von:  DocKay
Auf dem Rasen geht Niklas Süle mit gebeugtem Kopf nach einer Verletzungsunterbrechung begleitet von der medizinischen Abteilung.

Seit Jahren bekleidet der BVB in diversen Verletzungsstatistiken die hinteren Plätze. Immer wieder werden von den Verantwortlichen Versuche unternommen, daran etwas zu ändern, leider ohne Erfolg.

Es kann nur der Versuch einer Analyse sein, denn jegliche Statistiken beruhen auf journalistischen Recherchen. Die Vereine im Profifußball halten sich mit ihren Informationen nach außen in der Regel zurück und kochen lieber ihr eigenes Süppchen hinter verschlossenen Türen. Eine Qualitätskontrolle ist nicht erwünscht und kommt man in dem einen oder anderen Fall nicht weiter, wird ein Heer von angeblichen Spezialisten angefordert, die die ganze Situation noch undurchschaubarer machen. Die an den medizinischen Problemlösung Beteiligten werden immer mehr. Wer glaubt, dass dies zu besseren Ergebnissen führt, der irrt sich gewaltig. Nicht die Quantität ist entscheidend, sondern die Qualität und an der muss man gelegentlich zweifeln.

Fabian Siegel kümmert sich auf seiner Seite Fußballverletzungen.com seit Jahren um die statistische Auswertung von Verletzungsdaten. Viele der hier erwähnten Statistiken gehen auf seine sorgfältigen Nachforschungen zurück. Für die Bereitstellung seiner Analysen und Ergebnisse möchte ich mich auf diesem Weg recht herzlich bedanken.

Man sieht Jude Bellingham verletzt mit angezogenen Beinen  seitlich auf dem Rasen liegen
Jude Bellingham am Boden gegen Chelsea im Februar 2023

Während viele Kliniken in der heutigen Zeit ums nackte Überleben kämpfen, ist die Privatklinik für Sportmedizin und Sporttraumatologie des Vizemeisters der Saison 2022/2023 von Jahr zu Jahr gut belegt. Gelegentlich muss man auf Fallkostenpauschalen zurückgreifen und auswärtige Konsiliaruntersuchungen nimmt man auch sehr gerne in Anspruch. Letztendlich ist es wie in jeder anderen Klinik, der Rubel muss rollen und am Ende muss die Hütte voll sein. Leider unterscheidet sich die Spezialklinik an der Adi-Preißler-Allee am Ende dann doch von ihren Mitbewerbern, denn eine volle Hütte ist hier eng mit sportlichem Misserfolg verbunden. Dann rollt der Rubel nur noch im ausverkauften Westfalenstadion und führt auf Dauer auch hier zu einem sportlichem und finanziellen Desaster.

Warum eigentlich ist die externe Analyse so schwierig? Der Grund hierfür liegt unter anderem in der medialen Verarbeitung, bei der auch Bagatellverletzungen eine Rolle spielen. Es fehlt aber auch eine zentrale Meldestelle, an die die Profivereine die Krankheitsfälle weitergeben. Statistisch hat Fabian Siegel aber auch herausgefunden, dass größere Vereine immer seltener genaue Diagnosen kommunizieren. Ein Grund ist sicher die ärztliche Schweigepflicht, der auch die Bundesligavereine unterliegen. Nur wenn ein Spieler den Arzt davon entbindet, kann der Verein eine Diagnose nach außen kommunizieren. So haben die Fälle der nicht kommunizierten Diagnose von 2009 bis 2022 von 12,2% auf 18,7% zugenommen. Aber auch strategische Gründe können im Millionengeschäft Fußball eine Rolle spielen. Die Verletzungen von Niclas Füllkrug und Ramy Bensebaini erheben zumindest den Verdacht, dass hier das aktuelle Erdbeben beim BVB eine Rolle spielt. Nicht zuletzt muss man auch an Transfergeschäfte denken, für die akute Verletzungen eher hinderlich sind. Da greift man lieber einmal in die tiefere Schublade und bagatellisiert das Krankheitsbild. Dies spielt natürlich auch beim Medizincheck vor einer Verpflichtung eine Rolle, die nicht vernachlässigt werden darf.


Fest steht: Die Arbeit für fussballverletzungen.com wird seit Jahren komplizierter, da immer mehr Verletzungen im Datensatz nur ungenügend oder sogar als „unbekannte Verletzung“ aufgeführt werden können.


Fabian Siegel

Das zum Thema Statistik, aber man erkennt natürlich bei den Recherchen Tendenzen, um die wir uns hier kümmern möchten. Seit der Hinrunde 2019/2020 liegt der BVB am Ende der Verletzungstabelle in der 1. Bundesliga. Zur Winterpause 2022/2023 glänzte man mit 32,47 durchschnittlichen Ausfalltagen pro Spieler. Zuletzt hatte nur der FC Augsburg mehr durchschnittliche Ausfalltage pro Spieler. Spitzenreiter war Union Berlin mit einem Wert von 9,10. Entscheidend ist die Summe aller Verletzungstage, dividiert durch die Kadergröße des jeweiligen Vereins. Statistische Verzerrungen durch Langzeitverletzte können hier nicht ausgeschlossen werden, dennoch bleibt der BVB auf den Abstiegsplätzen.

Haaland beobachtet die Behandlung eines Mitspielers am Boden liegend. Die Behandler tragen Masken.
Und wieder liegt ein BVB Spieler verletzt am Boden

In der vergangenen Saison lag man bis zum letzten Spieltag auf Platz eins und verlor die sicher geglaubte Meisterschaft. Im Rennen um die Verletzungstabelle krönte man allerdings die Saison als Spitzenreiter. Am Ende standen 2953 Ausfalltage. Das bedeutet 86,32 Ausfalltage pro Spieler bei einem Kader von 34 Spielern. Hört man Sebastian Kehl, so spricht er von einer TOP-Abteilung im medizinischen Bereich. Wie er diese Ansicht vertritt, bleibt im Bereich der Verklärung von Tatsachen und deckt sich mit seiner Transferpolitik. Schon damals klagte Mats Hummels, mehr oder weniger scherzhaft, über“100 000“ Verletzte im Verein. Und wieder hat sich nichts verändert Herr Kehl!

Aus meiner Sicht und zurückblickend auf die jahrelange Betreuung von Spitzensportlern, erlaube ich mir, auf generelle Probleme in einer medizinischen Betreuung von Profisportlern hinzuweisen. Harmonie ist hier nicht immer angesagt. Auch als sportmedizinisch und sporttraumatologisch tätiger Arzt muss man von Zeit zu Zeit seinen Standpunkt vertreten. Die Zusammenarbeit von Arzt, Athletiktrainer und Physiotherapeut ist nicht immer einfach und aufgrund von Kompetenzgerangel erschwert. Hinzu kommt, dass auch Personen aus der Geschäftsführung und dem Umfeld plötzlich zu Sachverständigen mutieren und ihren Senf dazugeben. Das häufige Ärztehopping von Spielern ist kontraproduktiv, es führt nur dazu, dass jeder Behandler versucht schlauer als der andere zu sein. Auch Physiotherapeuten sind in diesem Punkt sehr anfällig. Als Mannschaftsarzt muss man hier eine klare Ansage machen und auch einmal mutig sein. Blickt man auf die Vorbereitungszeit für diese Saison, so war diese, unterbrochen durch die USA Reise, eine einzige Katastrophe. Verletzungen waren hier vorprogrammiert und sind logischerweise eingetreten!

Gio Reyna wird von der medizinischen Abteilung verletzt vom Platz geführt.
Wer stützt wen, das ist hier die Frage?

Solange Mannschaftsärzte in der Bundesliga sich im Ruhm ihres Daseins sonnen, wird sich an dieser Situation nichts ändern. Die „Harmonieblase“ lässt keine Kritik zu. Im Endeffekt würde man ja seine eigene Person einem Risiko aussetzen und damit auch den Zulauf zur eigenen Klinik aufs Spiel setzen. Also bleibt alles wie es ist und das ist das Problem, nicht nur unseres BVB. Kumpanei ist in diesem Zusammenhang selten zielführend. In der Hoffnung, dass diese unproduktive Blase irgendwann platzen wird, bleibt als Résumé: Wir halten treu und fest zusammen, bis zum nächsten Absturz. Heja BVB!

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