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Kehl bleibt bis 2027 Eine Verlängerung als niederschmetternde Diagnose für den BVB

19.01.2025, 13:28 Uhr von:  Gastautor  
Sebastian Kehl steht im Stadion und grüßt

Trotz schwacher sportlicher Bilanz setzt Borussia Dortmund weiter auf seinen Sportdirektor Sebastian Kehl. Die Entscheidung wirft Fragen zur Strategie und Handlungsfähigkeit des Klubs auf.

Am Ende sollte das seit vielen Monaten dauernde Warten auf Godot doch noch ein Ende nehmen: Der BVB verkündete am letzten Donnerstag die Vertragsverlängerung mit Sportdirektor Sebastian Kehl bis ins Jahr 2027. Dass dies so kam, mag mit Blick auf die sportliche Bilanz der letzten Jahre überraschen, ist aber vor allem auch ein Alarmsignal für die Handlungsfähigkeit und die Kultur des BVB.

Aber der Reihe nach. Eine umfassende, ausgewogene Bewertung von Kehls Bilanz seit seinem Dienstantritt im Sommer 2022 ist anspruchsvoll. Von Außen ist oftmals unklar, wie die Kompetenzaufteilung zwischen Trainer und Sportdirektor aussieht, die Verhandlungsmacht des BVB im Vergleich zu einem englischen Durchschnittsclub nicht ganz greifbar und nicht zuletzt fällt es auch schwer, die Leistung der jeweiligen Trainer umfassend zu bewerten, die dann die Schulnote des Sportdirektors nicht unwesentlich beeinflusst.

Fehlende Kaderqualität trotz finanzieller Stärke

Nicht weniger schwierig ist Kehls Tätigkeit. Der Markt hat sich in den letzten 10-15 Jahren enorm entwickelt und die Zeiten, in denen der BVB Torschützenkönige aus Frankreich oder Polen und Topscorer aus Belgien für kleines Geld verpflichten konnte, sind längst vorbei. Der damalige Gladbacher Marco Reus würde heute recht sicher für einen dreistelligen Millionenbetrag in England landen und der BVB könnte sich ein Angebot sparen. Dem gegenüber steht jedoch der Fakt, dass die Geldschere innerhalb der Bundesliga mit jedem Jahr weiter aufgeht und der BVB im Vergleich zum Liga-Mittel laufend mehr in die erste Mannschaft investieren kann: Belief sich das Gehaltsniveau des BVB in der Saison 2023/2024 – auch infolge der Prämien für den Einzug in das Champions League-Finale – auf mehr als 200 Mio. Euro für die erste Mannschaft, agieren selbst Stammgäste in der Bundesliga wie Augsburg, Mainz oder Freiburg auf etwa einem Viertel dieses Niveaus.

Die hohe personelle Fluktuation im heutigen Profifußball erleichtert eine Zwischenbilanz bei Sebastian Kehl insofern, als dass mit Julian Brandt, Emre Can und Jamie Gittens nur noch drei Spieler im Kader des BVB figurieren, die am letzten Spieltag der Saison 2021/2022 auf dem Rasen standen. So haben Haaland, Reus, Akanji, Hummels, Wolf, Schulz, Guerreiro, Knauf, Meunier, Zagadou, Bürki, Hazard, Bellingham, Witsel und die Clublegende Reinier den BVB allesamt verlassen und damit wurde – freiwillig oder unfreiwillig – Raum für Kehls Transferaktivitäten geschaffen. An dieser Stelle ist die Verlockung groß, mit dem heutigen Wissen die einzelnen Transfers zu sezieren. Bei mittlerweile mehr als 20 Neuzugängen in Kehls Ära wäre dies aber uferlos und so soll die Zwischenbilanz in einer verdaulichen Dosis bleiben.

Unweigerlich muss jedoch konstatiert werden, dass der BVB trotz eines steigenden Gehaltsniveaus seine Qualitätsspitze mit den Jahren verloren hat. Während im Pokalfinale 2021 mit Hummels, Reus, Haaland, Sancho und Bellingham noch mindestens fünf Spieler mit internationaler Klasse auf dem Platz standen, besteht die Leistungsspitze des BVB heute noch aus punktuellen Glanzlichtern von Jamie Gittens oder Karim Adeyemi und ein paar sehr guten Spielen von Felix Nmecha in seiner zweiten Saison. Serhou Guirassy startete ansprechend, traf aber in den letzten fünf Bundesligaspielen nur noch einmal vom Punkt. Nico Schlotterbeck ist eine sichere Grösse in der Abwehr und fraglos ist dies auch Gregor Kobel, dessen Entwicklung am Ball und in der Strafraumbeherrschung aber stagniert. Teure Gesamtpakete wie das eines Niklas Süle, Maxi Beier, Marcel Sabitzer oder Yan Couto lassen Konstanz oder sogar Basics vermissen und so kommt es in den grossen Linie, was nicht zu beschönigen ist: Der BVB droht trotz großem Abstand zweithöchsten Etat auch in dieser Saison die Top 4 zu verpassen. Von den letzten 12 Spielen gegen Bayern München hat der BVB eines gewonnen, zwei Unentschieden geholt und deren neun verloren. Gegen RB Leipzig seit dem Pokalfinale 2022 sind es in acht Spielen sechs Niederlagen. Gegen Leverkusens Alonso ist der BVB in drei Anläufen sieglos geblieben, die Unterlegenheit beim Spiel in Leverkusen war mitunter frappierend. Eine Stichprobe, die auch die sensationelle Champions League-Saison im Vorjahr nicht zu kaschieren vermag. Denn am Ende besteht Qualität mit Blick auf Adeyemi, Malen, Nmecha oder Beier gerade darin, in 50 Saisonspielen regelmäßig eine gute Leistung abzurufen und nicht nur 4-5 überzeugende Spiele pro Halbserie abzuliefern.

Planlosigkeit in der sportlichen Ausrichtung und Trainerwahl

Dass sich die Qualitätsspitze nur schwer lange in Dortmund halten lässt, ist unzweifelhaft und durch unzählige Beispiele erwiesen. Die Qualitätsspitze muss aber, will der BVB sein Niveau halten, dank guten Transfers der Marke Bellingham oder Haaland laufend entwickelt werden. Von diesem Weg ist der BVB in den letzten Jahren aber abgekommen und nicht einer der Transfers in der Offensive konnte sich konstant auf höchstem Niveau etablieren. Überhaupt ist nur bedingt nachvollziehbar, wozu es eine ausgedehnte Scouting-Abteilung braucht, wenn dann am Ende eigentlich beinahe ausnahmslos Spieler geholt werden, die jedem Sportschau-Zuschauer bekannt sein dürften. Dabei wird die Investitionsfähigkeit auch dadurch gehemmt, dass der vermutlich eher mittelmässige Kader alle vorhandenen Mittel absorbiert und so pro Jahr trotz eines Umsatzes von mehr als 500 Mio. Euro keine 30-40 Millionen erwirtschaftet werden, die für den einen oder anderen Transfer mit Perspektive eingesetzt werden könnten. Ein Kassenbestand von 4.3 Millionen Euro vier Wochen nach einem Champions League Finale spricht dabei Bände. Dass Sebastian Kehl Spieler wie Niklas Füllkrug oder Ramy Bensebaini mit einem fast dreifachen Schmerzensgeld im Vergleich zu Bremen oder Gladbach zu einem Wechsel überzeugen muss, ist kaum erklärbar, kostet in der Summe aber enorm viel Geld, das die Investitionsfähigkeit untergräbt.

Dabei herrschte in den letzten Jahren der Verdacht, Edin Terzic hole nicht genug aus der Mannschaft heraus - trotz Beinahe-Meisterschaft und Champions League Finale. Terzics fehlender Leistungsnachweis hatte zur Folge, dass sich beinahe jeder BVB-Fan, der mal einen sauberen Doppelpass im Leben gespielt hatte, dazu berufen fühlte, dem jungen Coach Ahnungslosigkeit zu attestieren. Dies führte zu permanenter Unruhe und am Ende einem unrühmlichen Abgang. Dessen ungeachtet entschied sich der BVB, mit Nuri Sahin den nächsten Trainer ohne längere Erfahrung oder grössere Erfolge im Profibereich ans Ruder zu lassen. Die Zwischenbilanz liest sich im Januar 2025 eher dürftig, wobei Sahin sicher auch daran krankt, dass der von Kehl zusammengestellten Mannschaft Qualität, Hierarchie und mitunter auch Einstellung abgehen. Fraglos aber muss und wird Nuri Sahin noch viel lernen. Dass dies unbedingt im Jahr 2025 in Dortmund sein musste, war mitunter Kehls Entscheidung.

Ungeachtet der Entscheidung für Sahin lässt nur schwerlich eine stringente Linie erkennen, die auf sowas wie eine trainerunabhängige Spielphilosophie unter Sebastian Kehl hinweisen könnte. Marcel Sabitzer, Karim Adeyemi oder Maxi Beier wären dank ihrer Laufstärke vermutlich sehr gute Pressingspieler, passen aber nur bedingt in das von Sahin angestrebte Kombinationsspiel. Waldemar Anton wirkt am Ball auch erstaunlich hölzern und nur Yan Couto scheint wirklich prädestiniert zu sein für einen Ballbesitz-Fussball, dafür wohl weniger für ein ernsthaftes Defensivspiel. Der rote Faden zwischen Kaderplanung und angestrebtem System ist nur in Ansätzen erkennbar.

Ein roter Faden, der auch mit Blick auf die Verbindung zwischen den Profis und der zweiten Mannschaft beinahe gänzlich fehlt. Diese lebt eigentlich ein mehr oder weniger autarkes Dasein mit Spielern, die auf dem Zenit ihrer Karriere wohl höchstens beim Karlsruher SC oder Paderborn laden dürften. Ein erfolgreiches Sprungbrett, um 17-jährige Toptalente mit Spielpraxis auszustatten und an eine gemeinsame Philosophie ranzuführen, ist die zweite Mannschaft aber nicht. Alternativ dazu scheitert der BVB unter Kehl auch daran, eine gewinnbringende Kooperation mit einem Verein in Belgien, Frankreich oder der Schweiz aufzubauen, um dem eigenen Nachwuchs genügend Spielpraxis zu ermöglichen.

Wenig hilfreich ist auch Kehls mediale und interne Aussendarstellung. Der Sport1-Auftritt, in welchem er irgendwelche Meriten an Leverkusens Titel für den beanspruchen wollte, garantierte ihm viel Spott. Die aktuelle Verkündung, den BVB in den „Top 10-12 in Europa“ etablieren zu wollen, war nicht weniger schleierhaft in Anbetracht von Platz 8 in der UEFA-Fünfjahreswertung. Und auch intern vermag Kehls Standing zumindest umstritten sein, wofür die sehr späte Vertragsverlängerung der offensichtlichste Beleg ist. Die Heimkehr von Sven Milsintat, der Kehl wohl als fachliche Krücke dienen sollte, ist auch nur schwerlich als Vertrauensbeweis zu werten und führte schon während der Probezeit dazu, dass dieser aufgrund unklarer Kompetenzen und Streitigkeiten beinahe die Segel streichen musste. Auch die Beförderung von Lars Ricken als Geschäftsführer Sport – ein Posten, auf dem sich auch Kehl gerne gesehen hätte und die geführten Gespräche mit Markus Krösche sind weitere Indizien, dass es um das Vertrauen in Kehls Arbeit nicht sehr gut bestellt ist.

Die Vertragsverlängerung war aber schlicht alternativlos.

Alternativlosigkeit als Grund für Kehls Verbleib

Ein weiterer Aufschub der Vertragsunterzeichnung wäre wegen der nun zu planenden Saison 2025/2026 nicht vermittelbar gewesen und hätte sehr viel Unruhe reingebracht, diese Karte wurde in den letzten Wochen mehr als ausgereizt. Eine verfügbare Alternative zu Sebastian Kehl konnte trotz der monatelangen Hängepartie nicht entwickelt werden, wobei hier sicher einige erschwerende Faktoren im Spiel sind: Einerseits gibt es sowas wie einen Markt für Sportdirektoren nur bedingt, weil die Fluktuation hier recht niedrig ist und hier niemand fünf Jahre tolle Arbeit in Gladbach abliefert und dann trotzdem auf dem Markt landet, wie dies bei Trainern der Fall sein kann. Andererseits zeigen Beispiele wie Heidel in Gelsenkirchen oder Bobic in Berlin, dass sich Transfererfolge in höheren Gefilden nur schwer reproduzieren lassen. Dazu hätten weitere öffentlichkeitswirksame Bemühungen Sebastian Kehl noch weiter beschädigt und der BVB hätte sich damit der nun vollzogenen Option beraubt.

Und so kommt es nun also zu einer Verlängerung, die Sebastian Kehl trotz äußerst mäßiger Zwischenbilanz, ohne greifbare Strategie oder positivem Trend primär dem Fakt zu verdanken hat, dass es der BVB trotz teurer Berater, vollen Büros und gutbezahlter Geschäftsführung nicht geschafft hat, eine Liste mit Namen zu erstellen, die man mal ganz diskret zum Kaffee hätte einladen können. Die Liste hätte man zuerst mit 50 Leuten breit aufstellen können: Vielleicht ein Stefan Reuter, warum nicht Christian Streich oder wie wäre es mit einem Spielerberater, der schon lange dabei ist und die Branche gut kennt. Warum nicht Arne Friedrich, wie wäre es mit Mats Hummels oder Christoph Spycher, der die Young Boys aus Bern zum Serienmeister gemacht hat. Klaus Allofs ist doch nun 30 Jahre im Geschäft und war auch nicht grade immer ganz blind – ein paar Namen hätte es schon gegeben, taugliche und untaugliche. Am zweiten Tag hätte man diese Liste dann auf 5-6 Kandidaten verdichten können und dann hätte man mit drei oder vier Leuten noch einen zweiten und dritten Kaffee getrunken.

Und irgendeiner hätte sich dann schon finden lassen, der ein paar klare Ideen hat und den Hunger ausstrahlt, den dieser Verein seit vielen Jahren so bitter nötig hat. Ein Mann, der noch bessere Ideen hat, als einen Spieler, der schon in München mit Gewichtsproblemen kämpft, in Dortmund zum überbezahlten Führungsspieler machen zu wollen. Noch bessere Ideen, als Moukoko wider besseres Wissen ein zweistelliges Handgeld in die Hand zu drücken. Oder noch bessere Ideen, als auf die Dauerzweifel an Terzic mit der Beförderung des nächsten Jungtrainers ohne großen Leistungsnachweis zu reagieren. Oder noch bessere Ideen, als eine Mannschaft ohne Leistungsspitze mit 200 Millionen Euro zu entlöhnen, die dann dummerweise in der Liga nicht mal mehr Vierter wird.

Aber so lässt sich leider nur konstatieren, dass der BVB vor allem ein dysfunktionales Gebilde ohne ernsthafte Ambitionen geworden ist. Aber immerhin: Der zweite Platz in der ewigen Tabelle dürfte dem BVB aber vorerst nicht zu nehmen sein.

Geschrieben von Didi.

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