Axel Witsel und der Fluch der Achillessehne
Beim 3:1 Sieg des BVB in Leipzig wurde Axel Witsel in der 30. Minute verletzt ausgewechselt. Es war für unsere Nummer 28 der Beginn einer langen Reise.
Blicken wir zurück in das Jahr 1965: Am 20. Februar gastierte der HSV bei der Eintracht in Frankfurt. In der 56. Minute blieb Uwe Seeler ohne Fremdeinwirkung am Boden liegen. Er hatte sich die Achillessehne gerissen. Sieben Monate später schießt Seeler die deutsche Nationalmannschaft in Schweden mit dem 2:1 Siegtreffer zur WM 1966 in England. Viele könnten jetzt sagen, das ist doch eine normale Geschichte mit optimalem Verlauf. Nein, das war es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Uwe Seeler war der erste hochrangige Fußballer, bei dem diese Verletzung nicht in der Sportinvalidität endete.
Dies mag sich in der Zwischenzeit aufgrund der Fortschritte in der Medizin geändert haben, geändert hat sich allerdings wenig an der Länge des Krankheitsverlaufes. Schauen wir in diesem Zusammenhang zu den Blauen in die verbotenen Stadt, so gibt es auch hier ein prominentes Beispiel. Am 1. Spieltag der Saison 2015/2016 traf es den Innenverteidiger Matija Nastasic beim Spiel gegen Werder Bremen. In der Folgezeit verpasste er 38 Partien. Was müssen wir über dieser Verletzung wissen, um diese Krankheitsverläufe einschätzen zu können?
Die Achillessehne ist die kräftigste Sehne des menschlichen Körpers. Ihr Riss ist der häufigste Riss einer Sehne des Menschen mit zunehmender Tendenz. Aktuell kann man jährlich von mehr als 20.000 Achillessehnenrissen ausgehen. Grund ist die zunehmende sportliche Belastung beim Breiten- und Freizeitsport. Mehr als 80 % der Risse ereignen sich beim Sport und Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen (Verhältnis 5:1) Der Altersgipfel liegt bei ungefähr 40 Jahren. Die Betroffenen sind in der Regel zwischen 30 und 50 Jahren alt. Die extreme sportliche Belastung ist oft ursächlich für die Rissbildung in Kombination mit einem symptomlosen vorhandenen Verschleiß der Achillessehne. Betroffene hatten in der Vorgeschichte oft keinerlei Probleme mit der Achillessehne, der Riss kommt aus heiterem Himmel. Dazu muss man feststellen, dass er in der Regel im mittleren Drittel der Sehne auftritt, einer Region, die von Natur aus schlecht durchblutet ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Durchblutung ab dem 30. Lebensjahr zusätzlich abnimmt. Hier sei an das Alter von Axel Witsel erinnert, Axel wurde dieses Jahr 32 Jahre alt. Wie auch bei ihm ereignete sich der Riss ohne Fremdeinwirkung. Oft hat auch kein eigentliches Unfallereignis stattgefunden. Mehrfach habe ich mir die Zeitlupe angeschaut. Da war kein Umknicken zu sehen, die Literatur spricht von einer schnellen Belastung bei vorgespannter Sehne. Ein eindeutiges “in den Boden treten“ konnte ich bei der Analyse ebenfalls nicht erkennen.
Die Diagnosestellung einer Achillessehnenruptur erfolgt durch die Untersuchung und ist in der Regel eindeutig. Deswegen ist es oft unverständlich, wie viele Risse der Achillessehne übersehen werden. Die Literatur spricht von 10-25 %. Dabei kann diese Diagnose auf dem Spielfeld, spätestens aber in der Umkleidekabine gestellt werden! Der Betroffene ist nicht in der Lage den Einbeinzehenstand auf der betroffenen Seite durchzuführen. Wegweisend ist auch der Wadenkneiftest (Thompson-Test), der auf einer Liege in Bauchlage bei überhängendem Fuß geprüft wird. Er weist auf einen Riss hin, wenn beim Kneifen in die Wade der Fuß sich nicht zum Untersucher bewegt, sondern schlaff herabhängt. Dann fehlt die Kraftübertragung von Sehne zu Fuß. Schön kann hier die unverletzte Seite zum Vergleich herangezogen werden. Eine MRT- Untersuchung (Kernspin) kann zusätzlich angefordert werden, ist aber nicht zwingend notwendig. Verwirrend ist für Betroffene und Angehörige die Tatsache, dass der Verletzte noch relativ gut gehen kann. Daraus wird dann oft auch von unerfahrenen Ärzten der Schluss gezogen, eine Beteiligung der Achillessehne könne ausgeschlossen werden.
Diskussionen vielfältiger Art existieren auch hinsichtlich des weiteren Vorgehens. Oft geht es zwischen operativer und nicht operativer (konservativer) Behandlung hin und her. Einig ist man sich in der Tatsache, dass man sportlich aktive Menschen operieren sollte. Hier konkurrieren offene und minimalinvasive (Schlüssellochtechnik) Verfahren. Beide Verfahren haben unterschiedliche Vor- und Nachteile. Entscheidend erscheint mir persönlich mehr die operative Erfahrung des Behandlers. Axel Witsel wurde nach Pressemitteilungen zufolge vom Arzt der belgischen Nationalmannschaft erfolgreich operiert.
Oft beginnt das eigentliche Problem aber erst nach der operativen Versorgung. Es gibt kaum ein Krankheitsbild in der Sportorthopädie, das so viele unterschiedliche Nachbehandlungskonzepte aufweist wie der Achillessehnenriss, egal in welcher Form er behandelt wurde. Auch bei Kongressen wird dies sehr kontrovers diskutiert. Ein Grund liegt in dem Heilungsverlauf der „geflickten“ Achillessehne. Die Vielfalt dieser Konzepte zeigt mir aber auch immer die Unsicherheit selbst des Erfahrenen. Ich möchte euch hier nur einen Grund zum Verständnis mitteilen, denn wir bei schwatzgelb.de sind ja schließlich kein medizinisches Forum. Zu Beginn der Selbstheilung der Sehne gibt es nach stattgefundener Versorgung ein Gewebe der Reparation und Regeneration. Die wichtigen Fasern (Kollagenfasern) befinden sich ungeordnet im ehemaligen Rissbereich. Erst wenn sich diese Fasern wieder längs im Verlauf der Achillessehne ausrichten, kann von einer normalen Belastung der Sehne ausgegangen werden. Dieser Prozess dauert aber ca. sechs Monate. Adäquate Belastung fördert diesen Prozess, zu schnelle impulsive Belastung trifft auf unvorbereitetes, verletzungsanfälliges Gewebe. Die ist auch der häufigste Grund für erneute Risse im Rahmen der Rehabilitation. Ihr seht es gilt der Grundsatz: Im Zweifel mache stets das Richtige. Und diese Zweifel begleiten uns für eine Dauer von sechs bis acht Monaten.
Oft ist das „Handling“ einer Achillessehnenverletzung deutlich schwieriger als das einer vorderen Kreuzbandverletzung am Kniegelenk. Drücken wir Axel Witsel die Daumen. Vor ihm liegt kein leichter Weg. Glaubt man der Berichterstattung, so ist er in seiner bisherigen Karriere von schwereren Verletzungen verschont geblieben. Er ist erfahren genug, seine Ziele zu definieren und hoffentlich trotz seines Alters mental stark genug, um wieder in die Mannschaft zurück zu kommen. Ein schwarzgelbes Herz hilft dabei sicherlich. Vielleicht motiviert ihn aber auch die Aussicht, für sein Heimatland Belgien noch einmal bei einer Fußball WM an den Start zu gehen. Wir wünschen ihm das von ganzem Herzen und vielleicht wird ihm dann auch noch die Gelbe Wand beim Genesungsprozess neben seinem Umfeld zur Seite stehen. Erling Haalands Torjubel war der erste Schritt auf dem Rasen.