Von Fußball und Musik
Emotionen werden (Gerüche mal ausgenommen) von nichts besser übertragen, als von Musik. Und kaum etwas löst mehr Emotionen aus, als der Fußball. Daher ist es wohl nicht erstaunlich, dass für mich die Musik – vor allem eine bestimmte Musik – mit dem Fußball eng verschmolzen ist.
Ich möchte Euch mitnehmen auf eine kleine Zeitreise mit einem besonderen Soundtrack. Die Wege beginnen jedoch komplett getrennt:
1995 war ich zum ersten Mal wirklich infiziert worden mit dem Fußball-Virus und begann mich für Bundesliga-Fußball zu interessieren. Wegen meines WM-Helden Stephane Chapuisat war ich dann auch praktisch ohne Umwege beim BVB angelangt. Dortmund war jedoch weit weg und ich zu jung, um meinem Wunsch, einmal auf der Süd zu stehen, nachzugehen. Ich suchte Ersatz in Videotext, Zeitungen und allem, was damals verfügbar war, bis es 2002 endlich soweit war und ich mein erstes Spiel im Westfalenstadion sehen konnte – auf der Süd. Natürlich war es nicht das letzte gewesen, wie ich meinen Eltern während der ganzen Fahrt versichert hatte, sondern das Erste von mittlerweile fast 300 (und kein Ende in Sicht).
Die Musik hingegen, war näher. Unsere lokale Bibliothek hatte etwas mehr zu bieten, als bloß Bücher. Ich war schon immer eine Leseratte und hab daher viel Zeit dort verbracht. Nebst den obligatorischen 10kg Lesematerial, war oft auch ein Gesellschaftsspiel („Scotland Yard sucht Mr. X“, wie habe ich es geliebt!) ein paar „dicke Filme“, wie meine Nichte heute sagt (Videokassetten), Comics (Asterix und Lucky Luke bis zum Abwinken) und irgendwann auch CDs dabei. Die Auswahl der CDs war relativ bescheiden, doch für mich reichte es, denn wie bei den Gesellschaftsspielen, brauchte ich eigentlich nur eine: „Opium fürs Volk“. Ursprünglich war es „10 kleine Jägermeister“, das ich immer hören wollte, doch schon bald hab ich, wenn die CD bei uns war (und sie war wohl öfter bei uns als in der Bibliothek), nur ein Lied gehört: „Paradies“. Als die CD 1996 rauskam, war ich gerade in einen (meinen ersten) Konflikt mit der Institution Kirche geraten und das Lied sprach mir aus tiefstem Herzen. Für die nächsten Jahre lief „Paradies“ also hoch und runter. Und dann kam mit „Unsterblich“ die zweite CD der Toten Hosen in unsere Bibliothek. Und mit ihr das Lied „Bayern“. Zum ersten Mal berührten sich die beiden Welten. Weit weg von Dortmund und gerade 14 Jahre alt, bin ich damals dem Irrglauben der Medien (=BravoSport) erlegen, dass die Bayern unser größter Feind seien und ich habe mich in Anti-Bayern-Liedern gesuhlt.
Bei „Reich & Sexy II“ wurde ich schließlich fündig auf meiner Suche nach einer CD, auf der sowohl „Bayern“, als auch „Paradies“ zu finden waren. (Selbstverständlich habe ich auch noch die Single „Bayern“ gekauft, um die Verkaufszahlen anzutreiben und ein „Zeichen zu setzen“. Was man als Teenager halt so mit seinem Taschengeld macht.)
„Reich & Sexy II“ hat mich dann definitiv mit der Musik der Hosen vertraut gemacht und ich habe eine gewisse Schwäche entwickelt. Immer wieder hab ich mir beim Hören gedacht, dass ein paar davon (aber allen voran „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“) doch ganz gut fürs Stadion geeignet wären.
Stichwort Stadion: ab 2004 fuhr ich regelmäßig zum BVB und für die langen Fahrten braucht man viel Musik. Damals fuhren wir meistens in einer ziemlich gemischten Gruppe (zumindest was den Musikgeschmack angeht) und die Toten Hosen waren der kleinste gemeinsame Nenner. Daher spielten wir (mit einer legendären Ausnahme, als zwischen Nürnberg und Zürich 6 Stunden lang ununterbrochen „Griechischer Wein“ auf voller Lautstärke lief), fast ausschließlich die Hosen. Und in den Jahren 2005 bis 2007 konnte es nicht besser zu unserer Laune passen. Meistens war es schon oder noch dunkel, wenn wir unterwegs waren, oft hat es geregnet, viel zu oft haben wir verloren. Aus den Boxen dröhnte „Steh auf, wenn Du am Boden bist“, „Ich glaube immer noch an Wunder“, „Auswärtsspiel“ und „Es kommt die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft“. Ich erinnere mich an ein verlorenes Derby, zuhause, als wir auf dem Rückweg mal wieder die Hosen brauchten und das „Ich glaube, dass die Welt sich noch mal ändern wird und dann Gut über Böse siegt [...] Jeder kriegt, was er verdient“ haben wir sehr frei auf unsere Situation übertragen und aus voller Kehle mitgesungen.
Und in einem Spiel, ich glaube, es war gegen Bochum, war es dann soweit. Auf der Süd wurden nach dem „Deckel-drauf“-Tor die Taschentücher ausgepackt und „Schönen Gruss und auf Wiedersehn“ gesungen. Es war die erste wirkliche Verschmelzung von zwei Welten, die für mich da schon sehr lange zusammen gehörten. Nachdem ich 2008 in die Nähe von Dortmund gezogen war und wegen privater Verpflichtungen für eine Weile seltener Auswärtsspiele besucht habe, sind die Hosen eigentlich komplett aus meinem Leben verschwunden. Bis sie 2012 mit einem Knall wieder kamen. Es war die zweite Meisterschaft in Folge. Das Freiburg-Spiel, nicht Gladbach. Die Schale war übergeben worden, die Feierlichkeiten eigentlich vorbei. Noch immer standen wir benommen und völlig glücktrunken in einem kleinen Grüppchen auf der Süd. Die meisten anderen waren auf dem Rasen oder schon weg, doch wir genossen einfach das Gefühl. Und dann spielte die Stadionregie „Tage wie diese“. So kurz vor dem Pokalfinale trafen wir die letzten Vorbereitungen für die gemeinsame Reise nach Berlin. Und nach der zweiten Meisterschaft, umgeben von dieser Gruppe Menschen mit denen wir seit Jahren zum Fußball fahren, passte jede Zeile, wie wenn sie dafür geschrieben worden wäre.
„Ich warte seit Wochen auf diesen Tag und tanz' vor Freude, über den Asphalt, als wär's ein Rhythmus, als gäb's ein Lied, dass mich immer weiter durch die Straßen zieht. Komm dir entgegen, Dich abzuholen wie ausgemacht. Zu derselben Uhrzeit, am selben Treffpunkt wie letztes Mal. Durch das Gedränge der Menschenmenge bahnen wir uns den altbekannten Weg. [...] Wo alles laut ist, wo alle drauf sind um durchzudrehen. Wo die anderen warten, um mit uns zu starten und abzugehen.“
Ich brannte eine CD für den Weg nach Berlin und natürlich durfte dieses Lied nicht fehlen. Nach dem überragenden Sieg im Pokalfinale, als Shinji die Schale geholt hatte und damit vor uns feierte, während die anderen Jungs auf der anderen Seite vom Marathontor den Pokal rum trugen, spielte erneut die Stadionregie „Tage wie diese“ und es fühlte sich an, als wäre an diesem Tag alles in meinem Universum genau an dem Platz, an den es hingehörte.
Das bisher letzte Kapitel in meiner Fußball-Musik-Symbiose schrieben die Ultras vor ein paar Jahren, als sie „Alles aus Liebe“ umtexteten und seither in fast jedem Spiel singen („Wir halten Deine Fahne hoch“). Und wer weiß, vielleicht gibt es ja in naher Zukunft wieder eine große Feier – mit oder ohne passenden Soundtrack.