Frauenfußball beim BVB: Die Krux mit der Lizenz
Fußball von und für Frauen beim BVB – das könnte bald Wirklichkeit werden. Schon jetzt diskutieren Fans, ob Borussia in der Kreisliga starten oder anstelle eines anderen Vereins gleich ganz oben einsteigen sollte. Ein paar Gründe, warum man eine Lizenzübernahme nicht verteufeln muss.
Im Hintergrund arbeiten die Verantwortlichen an einem Modell für Frauenfußball in Schwatzgelb. Die Idee hatte im vergangenen Jahr Fahrt aufgenommen, im November kündigte Geschäftsführer Carsten Cramer an, spätestens zur nächsten Mitgliederversammlung ein Konzept vorzulegen. Bis Donnerstag lief eine Umfrage zu den Erwartungen an ein mögliches Engagement.
In der Online-Befragung, an der jede*r teilnehmen konnte, wurde nicht nur nach dem Interesse an von Frauen gespieltem Fußball gefragt, sondern auch, welche Modelle Zustimmung finden würden. Soll der BVB den Breitensport fördern oder mit der Ambition, irgendwann in der Bundesliga zu spielen, ins Rennen gehen? Möchte man überhaupt ein eigenes Frauenteam gründen oder wünscht man sich die Unterstützung von Vereinen in der Region? Und falls Ersteres: Soll Borussia Dortmund in der Kreisliga starten oder die Lizenz eines höherklassigen Vereins übernehmen?
Borussia Dortmund, das neue RaBa Leipzig?
Vor allem die letzte Entscheidung hat es in sich. Seit der BVB angekündigt hat, sich im Fußball für Frauen engagieren zu wollen, wird in Fankreisen über eine mögliche Lizenzübernahme debattiert. Das Vorgehen wäre in der Branche nicht neu: Kürzlich fusionierten Eintracht Frankfurt und der 1. FFC Frankfurt, die Eintracht übernahm in diesem Zug das Startrecht für die Frauen-Bundesliga. Die Initiative ging vom FFC aus und erfolgte "aufgrund der gestiegenen wirtschaftlichen und infrastrukturellen Anforderungen". In Spanien gliederte Schwergewicht Real Madrid den Frauenfußballklub CD Tacón ein und startet künftig direkt in der ersten Liga.
Beim BVB würde ein solcher Schritt für Proteste sorgen. In den Augen vieler Anhänger*innen würde der Verein damit dem Weg von RaBa Leipzig folgen, dessen Männerteam sich nach der der Vereinsgründung 2009 den mühsamen Weg durch Amateurfußball sparte und per Lizenzkauf direkt in der Oberliga begann. Was viele Fans, nicht nur in Dortmund, vom Brause-Verein und dem dahinter stehenden Konstrukt halten, ist hinlänglich bekannt.
In der Kreisliga starten oder sich ins gemachte Nest setzen? Am Ende könnte diese Frage der große Streitpunkt werden. Vielleicht wird der Verein auf der Mitgliederversammlung in vier Monaten auch unterschiedliche Konzepte zur Wahl stellen. Es lohnt sich also, bereits jetzt einen Blick auf die Sache zu werfen.
Bleiben wir mal bei dem Szenario, in dem Borussia direkt oben einsteigt, möglicherweise anstelle eines anderen Vereins. Schnell kommt einem der SV Berghofen in den Sinn. Dessen Frauenteam ist frisch in die zweite Bundesliga aufgestiegen und der ehrenamtlich geführte Verein steht nun vor der Herausforderung, sich auf professionellerer Ebene behaupten zu müssen. Eine Übernahme des Teams aus Dortmunds Südosten ließe sich der Basis wohl am ehesten verkaufen. Insbesondere dann, falls auch auf Seiten des SVB der ausdrückliche Wunsch da wäre. Trotzdem bliebe bei vielen BVB-Anhänger*innen die Sorge, durch ein solches Vorgehen künftig keine Argumente mehr gegen RaBa Leipzig oder Dietmar Hopp und die TSG Hoffenheim zu haben.
Ein Start bei den Amateurinnen wäre nicht so romantisch, wie er klingt
Für diese Haltung gibt es nachvollziehbare Argumente. Die faktische Übernahme eines anderen Vereins könnte die Identifikation mit dem Frauenteam, aber auch mit der Idee an sich erschweren. Der BVB würde mit dem Vorwurf konfrontiert, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Zweifel würden aufkommen, ob der Verein es wirklich ernst meint mit seinem Engagement für den Frauenfußball, oder ob es sich bloß um ein reines Prestigeprojekt handelt. Einige hielten es außerdem für ein fatales Signal, würde der große BVB sich an Strukturen bedienen, die andernorts über Jahre organisch gewachsen sind. Und überhaupt wäre es doch viel romantischer, sich mit einem Team von ganz unten hochzuarbeiten. Doch so einfach ist es nicht.
Erstens: Selbst wenn der BVB mit einem neuen, eigenen Team in der Kreisliga B starten würde – man hätte immer einen Vorteil gegenüber den anderen Teams. Mehr Geld für Personal, bessere Trainingsbedingungen, kurze Wege in die Verwaltung und zu Sponsor*innen. Verluste im Spielbetrieb der Frauen könnten durch Einnahmen der Männer ausgeglichen werden. Und vermutlich würden sich nicht wenige Spielerinnen im Zweifel allein wegen des Namens für den BVB, und nicht den Verein eine Liga höher entscheiden. Das ist kein Abo für Aufstiege, aber es macht Erfolg planbar. Eine Sicherheit, die Amateurvereine nicht haben. Nähme sich der BVB vor, in die Bundesliga aufzusteigen, würde das passieren, früher oder später. Nach Fußballromantik klingt das jedenfalls nicht.
Zweitens: Mit dem Kauf der Lizenz eines bestehenden Vereins würde der BVB sich nicht automatisch auf das Niveau von RaBa Leipzig begeben. Man darf nie vergessen, dass das oberste Ziel von Red Bull der Verkauf von Energy-Drinks ist. Die Vereine in Leipzig, Salzburg und New York sind Marketing-Instrumente, ihr sportlicher Erfolg ein Mittel zum Zweck. Das bedeutet nicht, dass der BVB dagegen ein Samariter ist. Den Vorwurf, sich einem sportlichen Wettbewerb zu entziehen, müsste er sich, wie gesagt, so oder so gefallen lassen.
Doch es ist ein Unterschied, ob man in eine Sportart einsteigt, weil sie neben Formel 1 und Extremsport ins Portfolio von Red Bull passt, oder weil man einen ernstgemeinten Beitrag zur Professionalisierung des Frauenfußballs als Ganzes leisten möchte. Den Beweis hierfür ist der BVB zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch schuldig. Doch mit einer Lizenzübernahme würde man immerhin dem Wunsch unterschiedlicher Frauenfußball-Akteur*innen nachkommen, die sich von einem schwatzgelben Profiteam eine Leuchtturm-Wirkung versprechen – und zwar nicht erst in zehn oder 15 Jahren. Würde das Ganze darüber hinaus eingebettet in ein nachhaltiges Konzept, das beispielsweise auch den Breitensport berücksichtigt, wäre das Engagement mehr als ein Marketing-Projekt aus dem Hause Red Bull.
Entscheidend sind die Bedürfnisse des Frauenfußballs
Und drittens: Sich bei den Frauen nun auf die Frage zu versteifen, wie Borussia Dortmund möglichst wettbewerbswahrend einsteigen kann, entbehrt nicht einer gewissen Scheinheiligkeit. Dass unser Männerteam beispielsweise seit Jahren von der ungleichen Fernsehgeld-Verteilung profitiert, hat jedenfalls nie für Proteststürme gesorgt. Die offensichtliche Zementierung einer Klassengesellschaft in der Männer-Bundesliga wurde dankend hingenommen. Bei den Frauen soll das Ganze aber plötzlich ein K.o.-Kriterium sein.
Nicht falsch verstehen, es wäre toll, wenn man im Frauenfußball von den Fehlern lernen könnte, die der Männerfußball mit zunehmender Kommerzialisierung gemacht hat. Genauso wichtig ist es, den Missständen dort weiterhin entgegenzutreten, wie es die Initiative “Unser Fußball” tut. Doch die Debatte um die Gründung eines Frauenteams beim BVB offenbart, dass bei Männern und Frauen – mal wieder – unterschiedliche moralische Maßstäbe angelegt werden.
Ohnehin sollten die Ansprüche der – überwiegend männlichen – Fans des Herrenteams nicht entscheidend sein. Es wäre unfair und schief, den Mädchen- und Frauenfußball zur Projektionsfläche für Fan-Ideale zu machen, die dem durchkommerzialisierten männlichen Profigeschäft entspringen (und von diesem oft gefressen werden). Im Vordergrund sollten die Wünsche derer stehen, die es betrifft und die Erfahrung haben: Profi- und Nachwuchsspielerinnen, Trainer*innen, Funktionär*innen und der Amateurbereich.
Weibliche Vorbilder sind wichtig
Wenn viele sich ein Zugpferd wünschen, um Popularität und Fortschritt des gesamten Frauenfußballs zu steigern, dann sollte das gehört werden. Erst recht, weil Fußball spielenden Frauen und Mädchen Öffentlichkeit schon viel zu lange verwehrt wird. Bis 1970 verbot der DFB Fußball von Frauen, im TV sind die Spiele immer noch stark unterrepräsentiert. Wenn ein Elfmeterschießen die Sendezeit der Männer gefährdet, dann wird auch gerne mal abgeschaltet, wie zuletzt beim DFB-Pokalfinale.
Dabei sind Vorbilder vor allem für junge Menschen so wichtig. Während kleine Jungs zumindest davon träumen dürfen, bei ihrem BVB einmal in die Fußstapfen von Marco Reus, Jadon Sancho oder Erling Haaland zu treten, haben Mädchen diese Möglichkeit nicht. Noch nicht. Es wäre toll, wenn der BVB dafür sorgen würde, diese Lücke möglichst schnell zu schließen.
Ja, diese Diskussion hat neben der sportlichen auch eine politische Seite. Und manchmal ist das auch anstrengend. Aber das bringen Veränderungen nun mal so mit sich. Die gesellschaftliche Komponente auszublenden, würde der Tatsache nicht gerecht, dass Mädchen und Frauen neben dem Fußball auch in anderen Bereichen unseres Lebens strukturell benachteiligt werden. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass die Diskussion über eine Frauenfußballabteilung beim BVB auch idealistisch geführt wird. Selbstverständlich ohne sie zu überfrachten. Das wiederum wäre ungerecht gegenüber den Spielerinnen, sollen doch unterm Strich möglichst viele Mädchen und Frauen Fußball spielen können – und dafür die gleiche Anerkennung erhalten wie ihre männlichen Kollegen.
Entscheidend wird hoffentlich sein, ob das Konzept des BVB nachhaltig ist, Profi- als auch Breitensport angemessen berücksichtigt und die gesamte Branche langfristig weiterbringen kann. Damit steht Borussia Dortmund vor einer ziemlich schwierigen Aufgabe, und es ist gut, dass man sich ihr endlich ernsthaft stellt. Dass der Verein dem Ganzen einen längeren Prozess widmet, statt auf die Schnelle etwas aus dem Boden zu stampfen, spricht ebenfalls für ihn.
Am Ende werden die Mitglieder des BVB über die Pläne (mit)entscheiden. Angesichts all der Facetten, die der Fußball von und für Frauen beim BVB mit sich bringt, wäre es zu kurz gedacht, die Diskussionen allein auf die Frage zu verkürzen, ob Borussia die Lizenz eines anderen Vereins übernehmen soll oder nicht. Dieser Punkt ist wichtig, aber nicht entscheidend. Ein ganzheitliches und fundiertes Konzept darf im Zweifel nicht daran scheitern.