Die Lehren aus Leipzig
Was sich am Abend nach dem Spiel gegen Leipzig noch wie ein rundum gelungener Fußballtag anfühlte, hat sich binnen einer Woche in einen absoluten Albtraum verwandelt. Halb Deutschland schwadroniert von einem Bürgerkrieg, den es nicht gab, und über allem schwebt die Sperrung der Südtribüne gegen den VfL Wolfsburg. Darüber zu lamentieren ist das eine, aber was muss man in Zukunft tun, um diesen Schrecken zu vermeiden? Hier wären ein paar mögliche Lehren:
1. Ohne eine Medienstrategie versandet jeder Protest.
Wer seit Jahren zum Fußball geht, hat vermutlich schon so etwas erlebt wie das, was gegen Leipzig passiert ist. Gegnerische Fans, die hässliche Fratzen zeigen und mit Bierbechern werfen, darunter ein paar wenige Idioten, die wirklich gewalttätig werden, mittendrin eine überforderte Polizei. Erfahrene Fans kennen diese Situationen, und sie wissen, wie man sich mit ein bisschen Umsicht ganz gut davor schützen kann, dass man selbst zum Opfer solcher geplanter Eskalationen wird. Spaß machen sie trotzdem nicht, aber wahrscheinlich lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass sowas dutzendfach pro Saison in Deutschland passiert.
Allein: Das ist nicht die Geschichte, die erzählt wird.
In der heutigen Zeit ist relativ egal, ob der in den Medien erzählte Bürgerkrieg wirklich stattgefunden hat oder nicht. Es gibt Videos, die ihn suggerieren. Es gibt angegriffene Menschen, die ihn empfunden haben. Und es gibt einen Weltkonzern, der seit 25 Jahren sein Geld mit Publicity macht und dem eine derart erzählte Geschichte nutzt. Also wird sie so erzählt.
Wenn wir als Fans daraus eine Lehre ziehen wollen, dann muss jede Protestform in Zukunft Teil einer in sich geschlossenen Geschichte sein. Die Rollen müssen klar verteilt sein, Gewalt ist ein absolutes Tabu, und man muss sich insbesondere darauf verlassen können, dass niemand ausschert und sein eigenes Ding macht. Und man muss mühsam Kontakte zu den Medien aufbauen und halten, man braucht Kontaktpersonen, die auf der eigenen Seite stehen. Mit Geld würde das alles viel leichter gehen, das macht Leipzig ja unter anderem vor, aber Geld haben wir nicht. Also muss man um Vertrauen werben. Das braucht Zeit und Disziplin.
2. Destruktivität führt zu nichts.
Sowieso muss man den Protest beim Heimspiel gegen Leipzig als einen Protest der Schwäche ansehen. Es gab keine koordinierten Aktionen, die von einem Großteil der Südtribüne, geschweige denn der gesamten Dortmunder Fans getragen wurden, und selbst die "aktive Fanszene" hatte anscheinend nicht viel mehr vor, als sich vor der Roten Erde zu treffen und ein paar symbolische Würfe von Eiern, Farbe und Bier durchzuführen. Selbst im optimalen Fall, also ohne verletzte Leipziger Zuschauer und nur mit einem verdreckten Mannschaftsbus, hätte diese Art von Protest zu nichts geführt außer ein paar hässlichen Bildern. Insbesondere hätte niemand in der Öffentlichkeit plötzlich aufgemerkt und eine kritische Position gegenüber Leipzig eingenommen.
Protest, der nur dem Frustabbau dient, schadet immer der Sache. Die Art von Protest, die in der Öffentlichkeit überhaupt positiv ankommt, bedarf viel Vorbereitung und Disziplin. Boykotte wie bei 12:12, die bundesweit wahrgenommen werden und Eindruck machen, haben nur deswegen funktioniert, weil viele Fans an einem Strang gezogen haben und kaum jemand schlechte Publicity provoziert hat. Und natürlich, weil verschiedene Fangruppen, nicht nur bei uns, ihre Kontakte zu den jeweiligen Medien genutzt haben, um die Bedeutung des Themas anzusprechen.
Wenn wir in Dortmund nicht mehr die Kraft haben, um die Dinge, die uns wichtig sind, kreativ und diszipliniert anzupacken, wenn sich dazu noch weite Teile der Tribünen überhaupt nicht mehr angesprochen fühlen, und wenn am Ende nur noch Kleingruppen irgendwas machen, um überhaupt irgendwas gemacht zu haben, dann sollten wir tatsächlich lieber auf Protest verzichten. Was aus dem Ruder läuft, schadet unserem Anliegen.
3. Der moderne Fußball ist da.
Hinsichtlich Leipzig muss man sowieso sagen: Das Thema ist für uns jetzt durch. Es gibt kein Szenario, wonach in den nächsten Jahren irgendein Protest gegen dieses Konstrukt verfängt, sofern er aus Dortmund kommt. Egal wie intelligent oder kreativ er auch sein mag. Die Wolfsburgs, Hoffenheims und Leipzigs sind da, und sie werden da bleiben. Und aktuell haben sie sogar Oberwasser, weil sie sich als neuartig und frisch, als friedlich und erfolgreich darstellen können.
Nicht nur vor diesem Hintergrund tun wir gut daran, uns in Zukunft erstmal um uns zu kümmern. Wenn uns der BVB wichtig ist, dann sollten wir tatsächlich wieder an den positiven Dingen arbeiten, die unseren Verein von einem reinen Wirtschaftskonzern unterscheiden. Der BVB ist tief in der Stadt und in der Region verwurzelt, der BVB nimmt soziale Verantwortung wahr, und der BVB gibt vielen Leuten auch in schwierigen Situationen Halt. Das ist mehr als eine Werbebotschaft, das ist zum Teil über Generationen gelebte Realität.
Und wir müssen natürlich unser Bild
eines vitalen Westfalenstadions mit seiner Südtribüne erhalten, wo
sich ganz verschiedene Schichten und Hintergründe treffen und mit
ihrem BVB mitfiebern, und dabei müssen wir wieder lauter und
kreativer sein. Und wenn es sein muss, müssen auch alte Loyalitäten
hinterfragt werden: Wem die eigene Kleingruppe oder das bisschen
Macht in der Szene wichtiger ist als das Wohl des Vereins, der darf
(und sollte) dann auch irgendwann hinauskomplimentiert werden.
Freundschaften sind wichtig, können aber auch abseits des Stadions
gepflegt werden.
Wir jagen alle ein bisschen den
Erfahrungen von früher hinterher, aber die Wahrheit ist: Es gibt
keine Garantie, dass sowas wie 1995 oder 2011 irgendwann einmal
wiederkommt. Insbesondere kommt die Leidenschaft nicht wieder, die
man in Dortmund braucht, um erfolgreich Fußball zu spielen, wenn
alle lustlos so weitermachen wie bisher, nur weil man es ja immer so
gemacht hat. Auch die Südtribüne muss sich immer mal wieder neu
erfinden. Langsam wäre ein guter Zeitpunkt dazu gekommen.