Enttäuschung im Einhorn-Feenstaub-Zuckerwattenland
Ich denke, die meisten von euch kennen den Traum, den man als Kind hatte: Einmal in einem Süßwarenladen freigelassen werden und essen können was man gerne will. Diejenigen unter uns, die durch einen netten Onkel oder eine übertolerante Oma das zweifelhafte Vergnügen hatten, diesen Wunsch tatsächlich auszuleben, werden festgestellt haben, dass es nicht lange schön bleibt. Irgendwann setzt der Zuckerschock ein und nicht lange danach Übelkeit und Brechreiz. Gefolgt von langanhaltenden Bauchschmerzen und dem Wunsch, niemals wieder irgendetwas Süßes zu essen in seinem Leben.
Der SC Freiburg ist ein bisschen wie ein Süßwarenladen. Hyperfreundliche Menschen, eine kitschige Schwarzwald-Kulisse und an jeder Ecke wird man ungefragt mit Nettigkeiten überschüttet: „Ich mag euch ja sehr!“, „Ich bin zwar kein BVB-Fan, aber…“, „Ich gönne euch den Sieg!“, „Das nächste Mal besser, das wird schon wieder.“, „Ein gutes Spiel! Möge der Bessere gewinnen!“. Und dazu Freundschaftsschals ohne Ende. Der erste Besuch im Breisgau ist zuckersüß. Man trifft auf eine Spezies Fan wie ein Urwaldforscher auf einen bisher unbekannten Stamm im Amazonas. Man ist verwundert, begeistert und in Zuckerwatte gepackt. Mir erging es jedoch wie in diesem Süßwarenladen. Spätestens beim wiederholten Besuch, setzte unweigerlich der Zuckerschock ein und nicht lange danach Übelkeit und Brechreiz.
Fußball ist nicht süß und ein Bundesligaspiel ist keine Einhorn-Feenstaub-Zuckerwatten-Veranstaltung. Es sollte gekämpft werden, der Gegner ist der Feind, man will ihn vernichten. Das passt einfach nicht zusammen. Dieser Widerspruch ist einer der Gründe, weshalb bei mir vor der Reise ins Breisgau immer Bauchschmerzen und Übelkeit einsetzen.
Und dabei ist es ja nicht so, dass die Freiburger Mannschaft dieses Konzept des hässlichen Fußballs nicht verstanden hat, wie man an zwei Verletzten, einer Roten Karte und einem grässlichen Verwaltungsfußball sehr gut sehen konnte. Aber dazu später mehr.
Wir kämpften uns also durch die zuckersüße Masse Freiburgfans, vorbei an den vielen Komplimenten und dem einsetzenden Zuckerschock in den Gästeblock. Die Freiburger sind seit Jahren unangefochtener Titelträger des beschissensten Gästeblocks der Liga und so stellten wir uns auf nicht allzu viel Sicht ein, ehe wir Bekannte trafen die uns (legal, ich verrate aber nicht wie!) mit in den Sitzplatz Block K über dem Gästeblock nahmen. Da hatte man freie Sicht auf das Spielfeld und auch auf den Schwarzwald, für den Fall dass Langweile aufkommen sollte oder man Entspannung brauchte.
Schon lange vor dem Anpfiff gab es aus dem Gästeblock eine herrlich nostalgische Darbietung von „Spiele ohne Leiden“ und man merkte sofort, dass die Mitmachquote heute hoch sein würde. Block K stand über die gesamten 90 Minuten fast vollständig und auch aus dem Stehplatz-Bereich kam einiges an Lautstärke und Energie oben an. Auf Freiburger Seite folgte beim Einlauf „SC Freiburg vor - immer wieder vor“ – es sollte die letzte nennenswerte Offensivaktion der Breisgauer bleiben.
Von Anfang an zeigte sich der BVB bemüht, offensiv und ballsicher, die Freiburger hatten dem vor allem viele kleine Fouls entgegen zu setzten und ein paar größere. Nach 17 Minuten musste Marc Bartra bereits verletzt vom Feld und nach einer halben Stunde ohne nennenswerte Torchancen und dem gefühlt 500. Foul des Tages, gab es ENDLICH die erste gelbe Karte. Diesmal hatte es Schmelzer getroffen der sich vor Schmerzen auf dem Boden wand und auf einmal lief der Schiri zur Seitenlinie und auf der Anzeigetafel erschien die Video-Assist-Einblendung. Wir alle wussten, was das zu bedeuten hat, als der Schiri ein fiktives Viereck in die Luft malte und in seine Hosentasche griff. Rote Karte. Es war meine erste Video-Schiri-Erfahrung im Stadion. Ein seltsames Gefühl, aber bei einer Entscheidung bezüglich einer Karte in einer Verletzungsunterbrechung eigentlich nicht weiter schlimm. Und vom Ergebnis her natürlich äußerst begrüßenswert! Spätere Sichtung der Bilder ergab, dass die Karte wohl sehr berechtigt war.
Von nun an war das Spiel natürlich erst recht gelaufen. Hatten die Dortmunder in den ersten 30 Minuten vielleicht 75% Ballbesitz, wurden es für die restliche Spielzeit gefühlt 125%. Das kam uns nicht wirklich entgegen, denn gegen einen Gegner, der über die gesamte Zeit kaum mit mehr als zwei Mann den eigenen Sechzehnmeterraum verlassen hat und der das sonst schon eher kleine Spielfeld auf einen Raum von 20 Metern beschränkte, waren sehr viele Aktionen fast unmöglich. Steilpässe, Pressing, schnelle Balleroberungen fielen als Option aus. Bis zur Pause war es ein ziemliches Trauerspiel, was sich einem bot und so schweifte der Blick gerne mal zur Entspannung auf die Schwarzwaldkulisse.
In der zweiten Halbzeit wurde der BVB besser, erspielte sich einige Torchancen, wovon eine sogar im Tor landete, der Schiri aber zuvor bereits den Vorteil abgepfiffen hatte. Wie sagt man so schön? Erst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu. Zu diesem Zeitpunkt war bereits allen klar, dass es nahezu unmöglich werden würde, das Tor noch zu erzielen und so setzte spätestens da auch im Gästeblock der Frust ein, nachdem sich zuvor vor allem die Heimfans pausenlos aufgeregt und gepfiffen hatten.
Bis dahin hatten die BVB-Fans eine sehr gute Vorstellung abgeliefert, auch wenn aufgrund der Tatsache, dass der größte Teil der Ultras nichts sehen konnte, die Stimmung äußerst spielunabhängig war. „Heja BVB“ wurde in der 10. Minute intoniert. Marcel Schmelzer wurde zu Beginn der zweiten Halbzeit zu gesungen und so war alles zeitlich ein bisschen schief und von vielen langen Liedern geprägt. Hätte der BVB früh ein Tor erzielt (was bei
diesem Spiel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Torfestival geführt hätte), wäre die Stimmung im Gästeblock wohl ähnlich eskaliert wie das Jahr davor, wo man von einer Pogo zur nächsten tanzte. So jedoch setzte sich bei den Fans, die das Spiel sehen konnte, irgendwann auch der Frust durch und es wurde nur noch mäßig mitgesungen.
Auch der Trainer hatte wenig Spielraum, musste er doch bereits in der ersten Halbzeit zwei seiner drei Auswechslungen brauchen. Die letzte brachte dann das Debüt von Yarmolenko, der tatsächlich eine richtig gute Aktion hatte und um ein Haar das entscheidende Tor erzielte. Hätte er am Morgen beim Aufstehen seine Füße richtig sortiert gehabt.
Eine letzte Aufregung gab es dann noch, als Piszczek plötzlich im Strafraum lag. Mitten in die Angst, den dritten Verteidiger in diesem Spiel durch eine Verletzung zu verlieren, kam Hoffnung, weil der Schiedsrichter seine Hand am Ohr hatte. War es vielleicht ein Elfmeter? Würden wir den späten „Dosenöffner“ auf diese Weise doch noch bekommen? Nachdem wir zuvor keinerlei Mittel gefunden, keine präzisen Flanken hinbekommen und unsere Außenspieler gefühlt zwei Ballkontakte pro Person hatten, obwohl sie immer frei standen. Doch der Schiri zeigte zur Ecke. Somit war auch die letzte Hoffnung erloschen. Wie alle anderen sieben Ecken zuvor, verpuffte auch diese an einem Freiburger Abwehrbein und dann war Schluss.
Es war einer dieser Tage, an denen einfach nicht viel zusammen gepasst hat. Damit muss man Leben, erst recht, wenn der Trainer so neu ist und das Konzept noch nicht bei allen Spielern angekommen ist. Dennoch gibt es ein paar positive Punkte mitzunehmen aus dem zuckersüßen Breisgau.
Wir sind noch immer ungeschlagen und ohne Gegentor.
Wir haben eine äußerst hohe Passsicherheit.
Wir haben defensiv sicher gestanden.
Wir sind noch immer Tabellenführer.
Die Freiburger mögen uns trotzdem.
Die Fotostrecke zur Nullnummer des BVB im Breisgau beim SC Freiburg gibt es wie gehabt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Nadja, 10.09.2017