Ohne den Hoppy hätten wir es nicht gepackt - Erinnerung an Hoppy Kurrat
Am Freitag den 27. Oktober 2017 ist Dieter “Hoppy” Kurrat im Alter von 75 Jahren gestorben. Wir haben uns in der schwatzgelb.de Redaktion lange überlegt, wie man Hoppy Kurrat gerecht wird und haben schließlich Gregor Schnittker um einen Text gebeten, der Hoppy durch seine Buchrecherchen persönlich gut kannte.
Während wir reden, packt Marga im Wohnzimmer Weihnachtsgebäck ein, bei sanfter Musik in selbstgeschmückten Dosen. Es ist eine adventliche Stimmung im Hause Kurrat an diesem Vormittag. Am Esstisch mischt sich der Geruch von Kaffee mit dem Aroma alter Foto-Alben und Hoppy erzählt Anekdoten passend zum Motiv.
Er ist ein Mann ohne Gedächtnisverlust, hat selbst Details seiner ruhmreichen Biografie parat. Es ist die Lebensgeschichte eines Borsigplatz-Jungen, eines BVB-Fans von Kindheit an, der auf den Schultern des Vaters die Vizemeister von 1949 begrüßt, als 15-jähriger zur Borussia wechselt, als Drahtzieher bei Hoesch arbeitet und schon bald so viele schwarzgelbe Sternstunden prägen wird. Gut zu wissen, dass das Aufnahmegerät Ausdauer hat. Nicht aus Misstrauen, sondern journalistischer Sorgfalt werde ich vieles prüfen, alles wird stimmen.
Dieser 04.12.2015 in einer Wohnung am Rande von Holzwickede ist ein Termin von vielen bei der Recherche zu den „Die Helden von 66“. Es ist das x-te Mal, dass wir uns treffen, aber zum ersten Mal war es etwas komplizierter, einen Vormittag zu finden. Arzttermine stehen an, das Thema Gesundheit nimmt größeren Raum ein.
Aus Interesse an der schwarzgelben Tradition hatte ich Hoppy schon oft getroffen, zunächst noch in seiner Gaststätte. Da erläuterte er die Bilder an der Wand, die Plakate an der Litfass-Säule im Kneipen-Flur und warum dort ein Schalke Trikot hängt mit seinem Namen drauf. Was wie ein Fehldruck aussieht ist die Liebeserklärung seines ehemaligen Mitspielers Rudi Assauer zu Hoppys‘ 60.Geburtstag.
Die „Helden von 66“ waren eine eingeschworene Truppe, sind es auch 50 Jahre später und jeder schwärmt von Hoppy, würdigt seine Leistung für Mannschaft und Verein. „Ohne den Hoppy hätten wir es nicht gepackt“, erzählen Tilkowski, Paul und Held fast wortgleich und erinnern sich schmunzelnd an dessen große Spiele, nennen Seeler, Suarez, Hurst als Opfer. Gegen Hoppy habe keiner gerne gespielt, weil er im Zweikampf kaum zu überlisten war, nie müde wurde und keinen Ball verloren gab. Bei der Erinnerung an die großen Momente fällt stets sein Name und auch wenn mal eine Frage offen bleibt, denn dann heißt es „Frag den Hoppy, der weiß das noch genau. Der hat kein einziges Spiel vergessen.“
Als sich Marga zu uns setzt, reden wir über Privates. Der Journalist war ich bei unseren ersten Treffen, als ein Freund fühle ich mich inzwischen. Es ist bewegend zu sehen, wie glücklich die Kurrats sind in ihrer vergleichsweise bescheidenen Wohnung. Und dann plötzlich fällt mir eine Geschichte ein, die ich nie sonderlich wichtig fand. Hoppy soll als Kind beim Spielen in Dortmunder Trümmern schwer gestürzt sein. Das sei der Grund für seine holprige Sprache. Ich habe ihn nie danach gefragt, weil es mir komisch vorkam. Nun könnte ich fragen, weil Vertrauen da ist, aber es interessiert mich nicht und vom Fußballspielen in Kriegsruinen hat Hoppy ausführlich erzählt. Verschmitzt lächelnd sagt er „lass Dich mal wieder sehen“, als mir Marga Kunsthandwerk in die Hand drückt. Es ist eine Dose mit Keksen „Für ihre Frau und die Kinder, habe ich selbst gemacht nach einem Rezept von Frau Tilkowski.“
Unvergessen, weil aufwühlend auf die schönste Art, bleibt auch jener Moment im Dezember 2013, als ein betagter Weltstar beim Traditionsabend einen Besucher in der ersten Reihe mustert. Er kommt beim Erzählen ins Stocken und steht schließlich auf, was etwas dauert, weil tiefe Sitzmöbel nicht immer sinnvoll sind. Eusebio war extra angereist auf Einladung des BORUSSEUMs anlässlich des 50. Jahrestages des 5:0-Wunders über Benfica. Und nun hat dieser Fußball-Star vergangener Tage, offenbar völlig überraschend, einen ehemaligen Gegenspieler entdeckt: Dieter Kurrat. Hatte er ihn vergessen? Ist er wirklich überrascht? Eusebio geht schweren Schrittes von der Bühne und auf ihn zu, die beiden umarmen sich lange. „Nein. Nein. Den werde ich nie vergessen – er war einer der schlimmsten… „ sagt der Portugiese lachend in unser Mikrofon. Es fließen Tränen, Hunderte stehen auf, der Applaus wird nicht enden.
Im Frühjahr 2016 in der Roten Erde präsentiert der Verlag das frischgedruckte Buch. Alle noch lebenden Legenden der Nacht von Glasgow folgen der Einladung, auch Nachfahren sind erschienen aus den Familien Multhaup, Melliwa und Betzer etwa, ehemalige Kollegen und viele mehr. In diesem historischen Ambiente schauen wir die alten Spiele, trinken Pils, essen Mettbrötchen und auch die Kekse von Marga sind ein Thema. Gelegenheit „Danke“ zu sagen in jeder Beziehung. Nichts kann erfüllender sein für einen Autor, als zufriedene Hauptdarsteller seines Fußball-Buches zu sehen.
Und dann? Einfach mal durchrufen und sagen wie es ist und fragen wie es geht – wir blieben immer in Kontakt. Bis zuletzt. Aber Hoppy ging es bald schon nicht mehr gut. Durchatmen am Briefkasten bei der Einladung zum 75. Geburtstag. Wir aßen Spargel, den es übrigens auch 1966 gegeben hatte in der Krone am Markt. Was die Borussen einst nicht mochten, schmeckte ihnen jetzt vorzüglich. Spargel, Kartoffeln, Soße und ein Jubilar. Die Demut vor Hoppys‘ Lebenswerk ließ mich fast vom Stuhl rutschen.
Am Freitag ist Hoppy gestorben. Und doch: Sterben wird er nie.
Ich habe oft überlegt, warum es in Dortmund keine Skulptur gibt vor dem Stadion und wem diese zu widmen sei als Sinnbild unserer Farben. Wir kennen das von anderen Vereinen mit großartiger Tradition, finden solche Figuren manchmal kitschig, manchmal toll.
Natürlich ist die Sache nicht einfach. Es gibt so viele Möglichkeiten, großartige Fußballer in schwarz und gelb, so viele, die es verdient hätten. Letztlich aber kann es nur Hoppy sein, dem ein solches Denkmal zu setzen ist. In die Skulptur würde alles einfließen, wofür der BVB steht mit seinen vielen Gesichtern in der mehr als hundertjährigen Geschichte.
Also „Hey BVB!“ baut bitte eine Plastik. Legt Hoppy in Bronze! Vor der Roten Erde oder dem Westfalenstadion. Dort sollte eine 1,62 Meter große Plastik stehen. Eine Statue. Hoppy für alle Zeit. Denn keiner verkörpert das Wesen des Clubs mehr als er. In seiner Geschichte bündelt sich all das, was es ausmacht, ein Borusse zu sein. Hoppy – das ist das Sinnbild dieses Vereins für die Ewigkeit.
01.11.2017, Gregor Schnittker