Das Funkeln in den Augen
Dortmund am letzten Samstag, das waren Vorfreude auf das große Spiel und gelbe Farbtupfer überall. Schön anzusehen, sehr berührend, aber warum haben wir das so selten? Ein paar Gedanken dazu, wie Fandasein schleichend zur Routine werden kann.
Ich wusste schon seit längerem, dass ich nicht zum Pokalfinale nach Berlin würde fahren können. Zum ersten Mal seit vielen Jahren würde ich bei einem Endspiel nicht im Stadion sein, sondern das Spiel zuhause in Dortmund verfolgen. Wie sich das anfühlen würde, hatte ich mir nicht großartig überlegt. Die Erfahrung von 2012 würde mir sowieso niemand nehmen können, und am Ende kann ich mich rational mit dem Gedanken trösten, dass ich lieber einen Sieg vor dem Fernseher als eine Niederlage im Stadion sehe. Von daher hatte ich einen relativ normalen Samstag geplant, der am Abend vielleicht etwas ekstatischer würde als sonst. Und ging am frühen Nachmittag einkaufen. Schon auf dem Weg zum Supermarkt kamen mir Vater und Sohn im Trikot entgegen, die Verkäuferinnen beim Bäcker hatten Schals umgebunden, und in der Schlange an der Kasse fiel ich ob meines grünen T-Shirts fast schon negativ auf. Die halbe Stadt trug Gelb, und überall war eine naive, leicht kindliche Vorfreude auf das große Spiel zu spüren.
Das ist eigentlich keine große Sache. Dortmund ist eine Fußballstadt, und natürlich weiß man auch als erfahrener Stadiongänger um die Zuneigung im Rest der Stadt für den BVB. Und trotzdem waren plötzlich diese Gedanken in meinem Kopf: Warum bin ich nicht auch in Gelb gekleidet? Warum gehe ich Woche für Woche bestenfalls mit einem schwarz-gelbem Schal um den Hals ins Stadion? Und warum haben wir das eigentlich nicht wieder öfter, dass gefühlt halb Dortmund am Spieltag morgens ein Trikot anzieht, damit zum Einkaufen fährt, was trinken geht, und dann vielleicht zum Stadion schlendert? So rausgeputzt hat sich Dortmund früher doch nicht nur zu Meisterfeiern und zum Pokalendspiel!
Ich glaube, dass sich nicht nur in der Stadt, sondern auch im Stadion eine gewisse Routine eingeschlichen hat, was die Spiele des BVB angeht. Die Vorfreude und die Begeisterung haben abgenommen, und für nicht wenige Fans ist der Grund für den Stadionbesuch wohl tatsächlich vor allem die Gewohnheit. Um es in den Worten eines Kabarettisten von nebenan zu sagen: Man geht ins Stadion, weil Samstag ist. Dafür gibt es viele Gründe, natürlich insbesondere sportliche, denn Begeisterung oder Aufbruchstimmung entstehen nicht so leicht, wenn man zum dritten Mal in vier Jahren souverän als Zweiter ins Ziel kommt. Ohne große Chancen auf den Titel, weit oberhalb vom Rest des Feldes. Wem fällt da nicht schwer, ein Heimspiel gegen Ingolstadt als große Nummer wahrzunehmen, obwohl Borussia spielt?
Vermutlich ist das aber nur die halbe Wahrheit, und es gibt weitere, speziellere Gründe. Zum Beispiel die Dauerkartensituation. Wer in den letzten sechs bis acht Jahren an eine neue Dauerkarte gekommen ist, verfügt entweder über viel Geld oder über gute Kontakte. Sonst sieht es schlecht aus. Was also lange Jahre relativ normal war, ein großflächiges Kommen und Gehen im Stadion, findet in Dortmund nicht mehr wirklich statt. Jeder Dauerkarteninhaber überlegt mehrfach, ob er seine Karte wirklich abgeben soll, selbst wenn klar ist, dass die Lust auf Fußball im Moment nicht so groß ist (oder wenn Arbeit und Privatleben regelmäßige Stadionbesuche erschweren). Wer weiß, ob und wann man wieder eine Karte kriegt? Also schleppt man sich halt im nächsten Jahr wieder hin, denn bezahlt ist bezahlt.
Und vielleicht, und ich schreibe das ungern, ist auch die Fanszene selbst schuld. Früher, als man noch klein war und die ersten Male das Stadion betreten durfte, war beides berauschend: Die Stimmung und das Spiel. Borussia auf dem Rasen und die Fans auf der Tribüne, das fühlte sich wie eine Einheit an. Natürlich war das nie wirklich so, aber zumindest ging man ins Stadion, um Borussia gewinnen zu sehen und vielleicht auch einen kleinen Teil zum Sieg beizutragen. (Und, ja: Sicher auch, um dabei ein Bierchen mit seinen Freunden zu trinken.) Und heute? Rund um Borussia findet so viel statt, dass man in so einem Artikel gar nicht alles aufzählen kann: Soziale Projekte werden mit Herzblut geplant und verwirklicht, es finden regelmäßig Veranstaltungen zur Geschichte von Stadt und Verein statt, ein Vorprogramm im Stadion wird organisiert, die Fans im Stadion sind laut und sichtbar, neue Lieder werden gesungen, große Choreographien entworfen. All das wird von Fans für Fans gemacht, und bis auf wenige Ausnahmen passiert alles komplett unentgeltlich.
Man hat das Gefühl, dass Borussia Dortmund für einen längeren Zeitraum ganz gut funktionieren würde, ohne dass auch nur eine Sekunde der Ball rollt.
Das soll beileibe keine Kritik an all diesem Engagement sein. Nicht nur weil ich gut und gerne auch schwatzgelb.de als Beispiel in meiner Aufzählung hätte verwenden können, sondern auch weil eigentlich alles wichtig und notwendig ist. Trotzdem stört mich der Gedanke, dass sich unser Fandasein Schritt für Schritt von seinem Zentrum entfernt und die eigene Leistung auf oder neben der Tribüne wichtiger wird als das Spiel auf dem Platz. Dass wir uns am Ende weiterhin als Fans fühlen, ohne aber im eigentlichen Sinne noch Fans zu sein.
Es gibt sowas wie verordnete Vorfreude nicht, und wer ernsthaft über Trainigslager in Dubai, Nazis im Stadion und Umsätze im mehrstelligen Millionenbereich nachgedenkt, wird die unbedingte Begeisterung aus der Kindheit vermutlich nicht mehr spüren können. Trotzdem wünsche ich mir für die nächste Saison, dass man nicht ins Stadion geht, um seine Freunde zu treffen oder um einen Job zu erledigen oder weil man das immer schon getan hat. Sondern weil Borussia spielt, so wie unsere Stadt am letzten Samstag. Mit einem kleinen Funkeln in den Augen und vielleicht auch wieder mit einem gelben Funkeln am Körper. Und sei es gegen Ingolstadt.