„Du bist doch nicht zum ersten Mal hier!“ – Der Rückkehrer Mario Götze
Du bist doch nicht zum ersten Mal hier!“ soll Thomas Tuchel seinen Neuzugang Mario Götze gegen Ende der Hinrunde im Training zusammengestaucht haben. Der konkrete Anlass war völlig irrelevant und dem normalen Trainingsalltag geschuldet – und doch ist der Ausspruch von solcher Allgemeingültigkeit, dass er wie ein Leitfaden für das vergangene halbe Jahr von Mario Götze dienen kann. Seine Verpflichtung löste im Sommer des Jahres zahlreiche erhitzte Diskussionen aus und spaltete das Fanlager: Während ein großer Teil der aktiven Fanszene eine Rückkehr Götzes kategorisch ablehnte, erwarteten andere ein Comeback des genialen Ballkünstlers der ersten Dortmunder Zeit, den viele ganz ohne Ironie einen „deutschen Messi“ nannten. Enttäuscht wurden letztlich beide.
Es war allen Beteiligten von Beginn an klar, dass Götzes Verpflichtung diplomatisch begleitet werden musste. Letztlich hat dies im Großen und Ganzen funktioniert. Zwar begegnet man in Gesprächen mit aktiven Fans noch immer massiven Vorbehalten gegenüber Götze, aber Aki Watzke überzeugte offenkundig die Mehrzahl der Anhänger, Götze eine zweite Chance zu geben. Doch auch Mario Götze trug seinen Teil dazu bei. Seine Interviews waren schon immer von einer gewissen Oberflächlichkeit und boten auch in den zurückliegenden Monaten keinen Anlass für Konflikte. Der Verein schirmte seinen Spieler größtenteils ab, die Vermarktung erfolgte insgesamt zurückhaltend und auch in den sozialen Medien, die Götze zuvor besonders intensiv bespielt hatte, beschränkte sich seine Agentur auf ebenso inhalts- wie harmlose Postings. Der allgemeine Grundsatz, im Stadion die eigenen Spieler konsequent zu unterstützen, tat dann sein Übriges und abgesehen von einigen kleineren unschönen Szenen in den ersten Saisonspielen kam es nie zu einem Eklat. Allerdings hat die Verpflichtung zumindest in der aktiven Fanszene einige Narben hinterlassen, die zu der enormen Gereiztheit der letzten Monate beigetragen haben dürfte.
Das Urteil über die sportliche Bilanz von Mario Götze fällt da schon wesentlich schwerer, auch wenn eines klar ist: Der Götze von 2016 hat kaum noch etwas mit dem Götze der Jahre 2011-2013 zu tun. Er selbst zeigte sich in einem Interview mit einer Boulevardzeitung entsprechend genervt von den ständigen Vergleichen. Und doch kann man sich nicht ganz frei machen von den Erinnerungen an die Zeit, in denen er mutig das Eins gegen Eins suchte und durch erfolgreiche Dribblings Freiräume schuf. Im vergangenen halben Jahr gelang dies kaum noch. Spiegel online (Link) hatte bereits im November einige Zahlen angeführt, die das veränderte Spielverhalten Götzes unterstrichen: Zu dem damaligen Zeitpunkt lag die Zahl seiner Dribblings mit 3,7 pro 90 Minuten Spielzeit auf einem persönlichen Tiefstwert. 2011/2012 waren es 10,2. Immerhin ist die Erfolgsquote höher geworden, was für einen gewissen Reifeprozess sprechen könnte. Der Stilwandel, der sich bereits über die letzten Jahre zieht, ist dennoch unbestreitbar.
Der BVB hat also einen völlig anderen Spieler zurückbekommen als er 2013 widerwillig abgegeben hat. Obwohl er in der Nationalmannschaft des Öfteren als falsche Neun eingesetzt wird, spielt er beim BVB zurückgezogener als in früheren Jahren und wirkt mehr als Verbindungsspieler zwischen dem defensiven Mittelfeld und den Offensivspielern. Wirklich angekommen ist er in seiner neuen Rolle jedoch noch nicht. In der Bundesliga absolvierte er lediglich 10 von 16 Spielen, zweimal fehlte er verletzt. Die kompletten 90 Minuten bestritt er dabei lediglich vier Mal, erstmals Ende Oktober gegen Schalke. Ein verspäteter Trainingseinstieg nach eher durchwachsener EM und ein generell unbefriedigender Fitnesszustand nach langer Leidenszeit in München trübten seine persönliche Bilanz in den ersten Wochen.
Auch die übrigen Zahlen sind wenig berauschend: Ein erstes Indiz für eine bestenfalls durchwachsene persönliche Bilanz ist der Punkteschnitt in den Spielen mit Götzes Beteiligung, der unterhalb dem Gesamtschnitt der Hinrunde liegt (1,4 zu 1,6 Punkte). Die geringe Torbeteiligung ist schon häufig thematisiert worden, sie liegt auch nach dem Augsburg-Spiel bei einem Tor und einer Vorlage. Dies ist teilweise auf die Verlagerung seines Spiels in die Halbräume geschuldet, sie bleibt dennoch unter seinen Möglichkeiten. Aufschlussreich ist auch der Vergleich mit den Daten von Gonzalo Castro (Quelle: www.kicker.de). Obwohl auf ähnlichen Positionen spielend, kommt Castro bei einer etwas höheren Zahl der Spielminuten (812 zu 735) auf eine Zahl von 613 Pässen. Bei Götze sind dies lediglich 377. Bei den Ballkontakten steht es 740 zu 503, die Zweikampfquote kann Castro mit 51 zu 40 Prozent ebenfalls für sich entscheiden. Es ist keine Frage, dass diese Zahlen für einen Verbindungsspieler von der Qualität eines Götze unzureichend sind.
Vielleicht zeigt sich in diesen Daten aber auch ein grundsätzliches Problem des BVB in der Vorrunde. Viel wird über die teilweise haarsträubenden Unsicherheiten in der Defensive gestritten, doch stehen unsere Innenverteidiger inklusive dem Sechser Weigl unangefochten an der Spitze der Spieler mit den meisten Pässen pro Spiel. Lediglich die Passmaschine Thiago Alcántara konnte in diese BVB-Riege eindringen. Offenbar fällt es der Mannschaft schwer, über das defensive Mittelfeld hinauszukommen und die Verbindungsspieler zu erreichen. Götze erscheint da in zu vielen Spielen zu wenig in das Geschehen eingebunden. Ist der Ball hingegen erst einmal in der vordersten Reihe angekommen, machen Spieler wie Aubameyang und Dembélé schnell den Unterschied, wie die beeindruckende Torquote unserer Offensive belegt.
PatBorm, 29. 12. 2016
Aus unserer Reihe über das erste halbe Jahr der Neuzugänge dieses Sommers ist bislang erschienen: