PEA17 - ein Spieler mit vielen Facetten
In Deutschland, so heißt es, gibt es 80 Millionen Bundestrainer. Das ist natürlich bei weitem nicht richtig. Zum einen zeigt sich laut Statista maximal ein Drittel der Bevölkerung an Fußball „sehr interessiert“, zum anderen ist das eine nur sehr unzulängliche Beschreibung der Grundkompetenzen eines Fußballfans. Der ist nämlich gleichzeitig auch Vereinstrainer, Sportdirektor, Mittelstürmer und Welttorwart des Jahres in Personalunion. Und so weiß auch ich natürlich, dass all die Funktionäre und Spieler viel mehr Erfahrung und Hintergrundwissen über den Profifußball haben als ich – und trotzdem, im Hinterkopf flüstert manchmal eine leise Stimme, dass sie in ihrem Job noch besser wären, wenn sie das tun würden, was ich an ihrer Stelle machen würde. Und an dieser Stelle denke ich dann an Pierre-Emerick Aubameyang und weiß wieder, dass es doch ganz gut ist, nicht mehr als der Meckeronkel zu sein.
Wäre es nach mir gegangen, hätte man nämlich bereits 2014 intensiv über einen Verkauf nachgedacht. Was für ein grandioser Irrtum, ihn nach seiner ersten Saison, in der Jürgen Klopp zentral auf Robert Lewandowski setzte und „PEA17“ auf die Außenbahn verschob, als technisch doch ein wenig limitiertes Laufwunder mit begrenzten Fähigkeiten für ein Kombinationsspiel abzutun. Ja, es war schon beeindruckend, wenn er zum Sprint anzog und seine Gegenspieler wie Litfaßsäulen stehen ließ, aber sonst? Ich Trottel hätte ihn bei der erstbesten Möglichkeit, ihn mit Gewinn zu verkaufen, hemmungslos verscherbelt. Heute hat Aubameyang von 177 möglichen Pflichtspielen 161 für den BVB bestritten und dabei sagenhafte 98 Tore geschossen. Mit seinen mittlerweile 27 Jahren scheint er bei uns den Zenit seiner Leistungsfähigkeit erreicht zu haben und ist zu einem Stürmer der internationalen Klasse gereift, der bei allen ganz, ganz großen Clubs ziemlich weit oben im Notizbuch stehen dürfte. Zum Glück bin ich mit meiner Fehleinschätzung bei weitem nicht allein. Pierre-Emerick Aubameyang ist ein Spieler, der immer wieder unterschätzt wird und nicht nur sportlich vermutlich viel facettenreicher ist, als man beim ersten Blick annimmt.
So dürfte schon ein Blick auf seine bisherigen Vereinsstationen bei manchen für einen „Aha-Effekt“ sorgen. Klar, der AS Saint-Étienne als Vorgänger unserer Borussia ist noch sehr präsent, aber was war davor? Der Gabuner scheint aus dem Nichts auf der internationalen Bühne aufgetaucht zu sein, dabei ist seine sportliche Vita ganz und gar nicht namenlos. Auba kommt aus der Jugend des AC Mailand, konnte sich bei den Senioren jedoch nie so ganz durchsetzen. Mag Dijon als erste Leihstation als Stadt noch eher für Senf als für Profifußball geläufig sein, so sind der OSC Lille und AS Monaco als weitere Vereine schon jedem Fußballfan bekannt. Sportlich richtig glücklich wurde er allerdings erst in Saint-Etienne, die ihn 2012 für 1,8 Millionen Euro fest von Milan verpflichteten. Ein Betrag, der fünf Jahre später wie ein schlechter Witz erscheint und die Vereinsverantwortlichen seiner bisherigen Zwischenstopps dürften sich heutzutage dafür selbst in den Hintern beißen, sein Potential nicht erkannt zu haben.
Ein Grund mag sein, dass seine überragende Antrittsschnelligkeit alle anderen Eindrücke überlagert hat. Schneller als Usain Bolt sei er auf den ersten 30 Metern, so heißt es über ihn. Wenn er Platz hat und „Hackengas“ gibt, dann wirkt es schon sehr spektakulär, wie er an seinem Gegenspieler vorbei wetzt und ihm auf wenigen Metern ordentlich Staub zu schlucken gibt. Dazu hat er aber auch ein enorm feines Füßchen, das aufblitzt, wenn er den Ball über den herauseilenden Torwart lupft oder, wie in Frankfurt gesehen, in der Drehung mit der Fußspitze über den Verteidiger hebt. Und auch wenn es häufig zu verspielt wirkt, so scheint ihm ein Pässchen, das nicht mit der Hacke ausgeführt wird, häufig zu banal. Dabei ist der Aubameyang des Jahres 2016 schon ein deutlich kompletterer Spieler als bei seinem Wechsel im Sommer 2013. Man kann darüber streiten, welchen Anteil die Trainer Jürgen Klopp und Thomas Tuchel daran haben, dass aus ihm ein, wenn man so sagen mag, mannschaftsdienlicher Individualist geworden ist, aber auch die beiden Übungsleiter konnten nur mit dem arbeiten, was Auba an Fähigkeiten und Potential bereits mitgebracht hat.
So interessant und vielschichtig Aubameyang als Fußballer ist, so spannend ist auch ein Blick auf ihn als Person. Auf den ersten Blick scheint er einfach ein verrückter, schillernder Geck zu sein, der Luxus liebt und gerne alle Augen auf sich gerichtet wissen möchte. Er klebt Strasssteinchen auf seine Schuhe und rasiert sich seine Rückennummer in eine sowieso schon abenteuerliche Frisur. Zum Derby deponierte er die Batmanmaske hinter dem Tor, um im Falle des Torerfolges außergewöhnliche Jubelbilder produzieren zu können. Wenn er, was extrem selten ist, bei einem Spiel nicht dabei ist, trägt er auf der Tribüne eine Federboa, die ihn wie Bibo aussehen lässt, oder er nimmt dort als Humphrey Bogart-Verschnitt Platz. Und wer bis rund eine Stunde nach Spielende auf der Strobellallee ausharrt, der bekommt mit, wie er den Motor seines Lamborghinis mit einer Lackierung aus der Hölle des schlechten Geschmacks laut aufheulen lässt, um allen zu zeigen, wer da gerade am Steuer sitzt.
Wer jetzt aber die Blink-Blink-Schublade öffnet und ihn unbesehen dort hinein stopft, macht es sich vermutlich zu einfach. Schon sein familiärer Background passt nicht so ganz zum Bild des unbeschwerten Lebemannes, dem nichts wichtiger ist als die Selbstdarstellung. Den Profifußball kennt Pierre-Emerick von klein auf. Sein Vater, den er als sehr professionell und auf den Sport konzentriert beschreibt, hat als Profi in Frankreich, Italien, Kolumbien und Mexiko gespielt und seine Familie immer mitgenommen. Schon früh ist Auba mit verschiedenen Kulturen und Mentalitäten in Kontakt gekommen, die ihn alle ein Stück weit mitgeprägt haben dürften. Sein Talent für Sprachen lässt darauf schließen, dass er intensiven Kontakt mit den Menschen in der jeweiligen Wahlheimat gepflegt hat. Neben Französisch als Muttersprache spricht er fließend italienisch und englisch. In Kolumbien hat er nach eigenen Angaben spanisch gelernt – und mittlerweile wird er auch zumindest in unserer deutschen Sprache vieles verstehen. Sprache ist ein elementarer Bestandteil einer Kultur und es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein rein auf sich fixierter Mensch so viel Neugier auf die Kultur der Länder entwickelt, in denen er sich gerade befindet.
So zeichnet ein Titelportrait in der Zeitschrift 11Freunde auch ein anderes, sehr überraschendes Bild von ihm. Dort ist die Rede von einem Aubameyang, der eher ein ruhiger und zurückhaltender Mensch ist. Ein Mensch, der den bunten Vogel für die Öffentlichkeit gibt, damit sich alle Aufmerksamkeit auf diese Rolle fokussiert und er mehr oder weniger unbehelligt auch Privatperson bleiben kann. Zugegeben, es fällt sehr schwer, sich diesen Paradiesvogel als biederen Durchschnittsmenschen vorzustellen und wahrscheinlich wäre das auch eine Übertreibung in die andere Richtung, aber es spricht vieles dafür, dass Aubameyang doch mehr ist als eine blinkende Kunstfigur.
Ja, er stellt seinen Reichtum offen zur Schau – aber er tut niemandem damit weh. Während ein ehemaliger, nennen wir es positiv so, extrovertierter Charakter der Bundesliga mit Namen Marco Arnautovic einem Polizisten schon mal erklärte, dass er soviel Geld verdienen würde, dass er sein „Leben kaufen könne“ und etwas „höheres“ sei, fehlt bei Auba jede Eure-Armut-kotzt-mich-an-Attitüde. Wo bei einem Cristiano Ronaldo der ständige Verweis auf die eigene Person fast schon mitleiderregend zwanghaft wirkt, hat Pierre-Emerick immer ein Lachen im Gesicht, wenn alle Augen auf ihn gerichtet sind. Von dieser Warte aus betrachtet könnte auch sein Geheimagentenoutfit während des Spiels gegen Lissabon mehr als humorvolle Spitze denn als spleenige Geschmacksverirrung gesehen werden. Er muss gewusst haben, dass die Kameras nach der Nachricht über seine Suspendierung die Tribüne nach seiner Person absuchen werden. Und dann verkleidet er sich mit Trenchcoat und Schlapphut so grotesk und überzeichnet geheim, dass er auch genau so gut laut „hier bin ich“ hätte rufen können. Vermutlich hat er im Anschluss genauso über die Reaktionen darauf gelacht, wie die Öffentlichkeit über sein Aussehen.
Diese Suspendierung und die Gründe dafür fassen vermutlich die Vielschichtigkeit seiner Person sehr gut zusammen. Da ist vordergründig der reiche Typ, der mit einer Privatmaschine mal eben zu einer Party nach Mailand jettet, anstatt sich ordnungsgemäß auf ein wichtiges Spiel vorzubereiten und der dafür vom Trainer aus dem Kader gestrichen wird. Gleichzeitig sollte aber auch seine Reaktion darauf berücksichtigt werden. Statt divenhaft über Pressekanäle seinen Unmut zu äußern und mit einem baldigen Abgang im Falle einer wiederholten Sanktionierung zu drohen, hat er seine Verbannung auf die Tribüne professionell und klaglos akzeptiert und beim Spiel in Hamburg wieder mit vier Toren geglänzt. Er mag, wie in der Süddeutschen Zeitung anklang, für seine sportliche Leistung die eine oder andere Extravaganz für sich einfordern, er akzeptiert aber auch gesetzte Grenzen und Sanktionen für Übertretungen dieser Grenzen. Das unterscheidet ihn von anderen Skandalnudeln wie zum Beispiel einem Mario Balotelli, bei denen Grenzen immer nur für alle anderen gelten.
Vermutlich wird Pierre-Emerick Aubameyang seine sportliche Rente nicht in Dortmund erleben. Über allem schwebt immer noch das häufig kolportierte Versprechen an seinen Großvater, einmal bei Real Madrid zu spielen. Mit bald 28 Jahren bleibt ihm nicht mehr übermäßig viel Zeit dazu, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen. Und so schwer wie es sportlich fallen würde, ihn zu ersetzen, wäre es irgendwo auch okay und ihm zu gönnen. Er ist einer der häufig geforderten Typen in einer Fußballwelt voller stromlinienförmiger Sprechblasen. Ein Mensch, über den man noch rätseln kann und der anscheinend mehr Facetten hat, als man auf den ersten Blick vermuten kann. Natürlich ist der Pierre-Emerick Aubameyang, den wir jetzt erleben, auch einer der besten Stürmer Europas und wir werden nicht so viele Topspieler auf dem Zenit ihres Schaffens bei uns erleben. Das sollten wir genießen, so lange es möglich ist.
Aber was ich nach all den vielen Worten eigentlich sagen möchte ist: Sorry, Auba, dass ich Dich mal nur für einen ziemlich schnellen Läufer gehalten habe. Zum Glück hatten das andere Leute mit mehr Ahnung als ich zu beurteilen.