Wenn Experten das Sagen haben – die Geschichte des HSV
Es ist der 13.09.2000 und der HSV spielt im Volksparkstadion gegen das große Juventus Turin. Spieler wie Bernd Hollerbach, Rodolfo Cardoso, Mehdi Mahdavikia, Marcel Ketelaer und natürlich Hans Jörg Butt sorgen gegen das Starensemble um Zinedine Zidane und Alessandro del Piero für einen unvergesslichen Abend. In einem dramatischen Spiel drehen die Hamburger das Spiel und die Italiener müssen glücklich sein, noch den Ausgleich per Elfmeter gemacht zu haben.
Mittlerweile sind 16 Jahre vergangen und auch der BVB hat mit 5:2 in Hamburg gewonnen – ausgerechnet an Uwe Seelers 80. Geburtstag. Der große HSV im Jahre 2016 ist nur noch der Schatten seiner stolzen Vergangenheit. Nachdem der HSV sich 2014 und 2015 nur in der Relegation retten konnte, ist man sich zumindest in Dortmund sicher: „Wenn die Hamburger nicht mal gegen uns mindestens vier Punkte holen, dann heißt das Abstieg."
Viele Tränen dürften den Hanseaten nicht mehr hinterher geweint werden. Mittlerweile ist der HSV zu einer Lachnummer in der Liga geworden. Gefühlt jedes Interna wird öffentlich durch die Medien getragen. Die Führung des HSV rund um Dietmar Beiersdorfer liefert ein trauriges Bild ab. Man schlingert irgendwo zwischen sportlichen und finanziellen Notwendigkeiten und muss dabei dem Vernehmen nach jede Entscheidung unter kühne'schem Vorbehalt treffen.
Das sah 2000 noch ganz anders aus. Der HSV war sportlich auf den Weg nach oben. Wirtschaftlich kommt der Verein aus sehr gesundem Umfeld. Die Hansestadt Hamburg ist reich und wirtschaftlich potent. Man war der erste Verein, der Millionen durch den Verkauf des Stadionnamens erlöste. Gleichzeitig bekam man scheinbar den Spagat hin zwischen Moderne und Tradition. Während wir uns in Dortmund mit der Ausgliederung dem finanziellen Hasardeuren-Ritt von Niebaum und Meier hingaben, blieb der HSV ein eingetragener Verein. Zusätzlich gab es mit dem Supporters Club eine in Deutschland einmalig organisierte Fanvertretung im Sinne der Fans. Auch die heutige BVB-Fanabteilung hatte den HSV Supporters Clubs als Vorbild.
Seitdem ist viel Wasser die Elbe hinunter geflossen. Fast überall in Deutschland hat sich eine kritische Fanszene entwickelt, die mit Argusaugen auf die Tätigkeiten der Fußballfunktionäre blickt. Das führt bei vielen Clubs immer wieder zu ordentlich Reibung. In Hamburg war der erste Höhepunkt im Januar 2009 erreicht. Der Supporters Club drängt mit Macht in den Aufsichtsrat des HSV. Damals wurde bereits über eine finanziell schwierige Situation gemunkelt. In den Monaten davor brach in Hamburg ein unschöner Machtkampf los. Neben den direkt Beteiligten mischte sich auch Hamburger Prominenz wie Ole von Beust und Uwe Seeler ein (vgl. Die Zeit). Der HSV-Vorstand argumentierte, man bräuchte Experten für den Aufsichtsrat und keine Fans. Experten wie Sergej Barbarez („Bilanzen kann ich keine lesen, weiß aber, wie das Geschäft läuft", Die Zeit) waren die Favoriten des Vorstandes. Umso absurder wurde der Vorwurf, wenn man sich die Kandidaten der Supporters anschaute: Johannes Liebnau (Diplom-Betriebswirt), Anja Stäcker (Bankkauffrau), Ingo Thiel (Unternehmer) und Manfred Ertel (Journalist).
Insbesondere die Boulevardpresse rund um die Hamburger Bild scherte sich wenig um diese Fakten und man unterstützte den HSV-Vorstand in dem Bestreben, die Kandidaten der Supporters zu diskreditieren. Den schmierigen Höhepunkt erreichte der Wahlkampf, als die Bild-Zeitung versuchte, Johannes Liebnaus Lebensgrundlage direkt anzugreifen und seinen Arbeitgeber öffentlich unter Druck setzte. Als wäre das alles nicht schon lächerlich genug, enthüllte das Medienmagazin Zapp, dass der Sportchef der Bild-Hamburg in der Vergangenheit eine teure Uhr vom HSV-Vorstand als Geschenk erhalten und behalten hatte; entgegen der Leitlinien der journalistischen Unabhängigkeit des eigenen Arbeitgebers (vgl. TAZ).
Schlussendlich setzte sich die geballte Macht aus Funktionären, Prominenten und Medien gegen die Supporters durch. Berichte von Fans, die auf externe Kosten mit Bussen zur damaligen JHV herangekarrt wurden, verwundern hier kaum noch.
Nichtsdestotrotz wurde es danach ruhiger um den HSV und die vermeintlichen Experten hatten die Ruhe, um wieder erfolgreich zu arbeiten. Doch das Gegenteil war der Fall: Der Verfall nahm noch an Fahrt auf. Seit 2010 hat sich der Vorstand mit Klaus-Michael Kühne einen Investor ins Boot geholt, um irgendwie finanziell noch überlebensfähig zu bleiben. Doch alle versenkten Millionen brachten den HSV nicht voran. Stattdessen betrieb man nun wieder die Ausgliederung der Profi-Abteilung. Unter der Begrifflichkeit „HSV Plus" sollten die Supporters vollends entmachtet werden und sportlich alles besser werden. Nach einem weiteren Wahlkampf mit Unterstützung der Medien wurde im Mai 2014 die HSV AG gegründet. Der Einfluss der Supporters wurde auf ein Mindestmaß beschnitten.
Seitdem hat Klaus-Michael Kühne weitere Millionen in dem Hamburger SV versenkt, das Stadion heißt wieder Volksparkstadion und eine 17,5 Millionen Euro schwere Fananleihe hat man bereits verschleudert. So musste ein weiterer Investor für das Jugendzentrum einspringen (vgl. FAZ). Wie frei Vorstand und Trainer wirklich von den Interessen der Investoren arbeiten können, ist dafür höchst umstritten. Zumindest medial mischt insbesondere Klaus-Michael Kühne fleißig mit. So sieht also ein professionell geführter Verein aus.
Von den Fans ist hingegen nicht mehr viel zu hören. Fast schon apathisch hat man die Niederlage gegen den BVB zur Kenntnis genommen. Die größte Ultra-Gruppe hatte sich bereits vor über einem Jahr aufgelöst, viele aktive Fans aus Hamburg haben sich zurückgezogen. Die Tribüne im Volksparkstadion hat definitiv verloren.
Es ist natürlich spekulativ, dass der Weg des HSV einen anderen Verlauf genommen hätte, wäre den Fans mehr Einfluss gewährt worden. Schlechter hätte er aber auch kaum sein können.