Adieu, Ottmar!
Nicht nur wer erst in den letzten Jahren sein Herz für den BVB entdeckt hat, wird sich an eine Zeit vor Jürgen Klopp kaum so richtig erinnern können. Auch für uns schon etwas Ältere wirkt gerade die Erinnerung an die Zeit seiner direkten Vorgänger wie das Ergebnis eines lang anhaltenden Fieberwahns, so unwirklich und verschommen ist die Vorstellung, missmutig und ängstlich ins Westfalenstadion zu gehen und zu hoffen, nicht wieder vom VfL Bochum im eigenen Haus an die Wand gespielt zu werden.
Und doch sind es erst knapp sechs Jahre, in denen Jürgen Klopp und sein Trainerteam bei uns wirken. Klar, die nächsten vier plus x Spielzeiten kommen bestimmt, aber trotz dieser heute schon wahnsinnig langen Zeit bei uns ist unser aktueller Coach nicht der Dortmunder Rekordtrainer. Das ist weiterhin Ottmar Hitzfeld mit sechs vollen Jahren von 1991 bis 1997, auch wenn er diesen Titel nur noch wenige Wochen sein Eigen nennen kann.
Mit Zahlenspielen zu starten ist ein schöner Einstieg, um einem der erfolgreichsten deutschen Trainer überhaupt einen würdigen Abschied von der großen Bühne zu bereiten. Beim Abpfiff des letzten WM-Spiels der Eidgenossen wird eine große Karriere zu Ende gehen, gekrönt von zwei Champions-League-Titeln, sieben deutschen und zwei Schweizer Meisterschaften sowie jeweils drei deutschen und drei Schweizer Pokalsiegen. Und neben der zweimaligen Qualifikation als Schweizer Nationaltrainer für die Weltmeisterschaft, die sich auch nicht im Vorbeigehen bewerkstelligen lässt, ist Ottmar Hitzfeld eben auch derjenige, der in den Neunzigern den langen Dornröschenschlaf unserer Borussia endgültig beendete. Allein dafür wird sein Name in Dortmund immer in Ehren gehalten werden.
Aber gehen wir chronologisch vor: Nach seiner Zeit als Spieler, die sich von drei äußerst torreichen Spielzeiten als Stürmer des VfB Stuttgart (und das zumeist in der zweiten Liga) abgesehen eher unspektakulär gestaltete, wurde Ottmar Hitzfeld Trainer in der Schweiz, wo er bereits als Spieler den Großteil seiner Karriere verbracht hatte. Aus heutiger Sicht fast unvollstellbar arbeitete er dort acht Jahre lang auf allerhöchstem Niveau, ehe ihn erst 1991 das Angebot unseres Ballspielvereins aus der Bundesliga ereilte. Der Reihe nach: 1983 übernahm er den SC Zug in der zweiten Spielklasse, schaffte direkt den Aufstieg in die höchste Schweizer Liga und wechselte nach nur dieser einen Saison zum FC Aarau. Dort wurde er in vier Jahren einmal Vizemeister und einmal Schweizer Pokalsieger, um dann als Krönung zwischen 1988 und 1991 mit den Grasshoppers zweimal Meister und zweimal Pokalsieger zu werden. Bereits diese Bilanz hätte eine veritable Trainerkarriere ausgemacht.
Rückblickend klingt es nach einem logischen Schritt, nach der Zeit in der eher beschaulichen Schweiz den Sprung zu Borussia Dortmund zu wagen, aber Anfang der Neunziger stellte sich die Situation noch etwas anders dar. Zwar war der Prozess der Auferstehung der Borussia spätestens mit der Relegation 1986 eingeläutet und mit dem Pokalsieg 1989 fortgesetzt worden, aber sportlich war der BVB 1991 trotz seiner gewaltigen Tradition (und dem auch damals im Vergleich großen Fanaufkommen) nicht viel mehr als ein durchschnittlicher Bundesligist, der beständig zwischen UEFA-Pokal und Abstiegskampf pendelte. Bis Ottmar Hitzfeld kam.
Bereits die Saison 1991/92 bedeutete einen Quantensprung im Vergleich zu den Vorjahren, auch wenn sie unglücklich endete. Eigentlich ist es ja so: Immer, wenn wir ernsthaft um die Meisterschaft mitspielen, holen wir die Schale auch nach Dortmund. Nur dieses eine Mal nicht, damals in Ottmars erstem Jahr beim BVB. Hatte ich später gelernt, Tränen beim Fußball nur noch im Freudentaumel fließen zu lassen und ansonsten meinen Frust mit Alkohol zu betäuben, ging das damals nach dem späten Stuttgarter Siegtreffer in Leverkusen allein aus Altersgründen noch nicht. Und so richtig half auch nicht, dass die Vizemeisterschaft nicht nur nach der Vorgeschichte, sondern auch nach dem Saisonverlauf (die Spielzeit begann mit mittelmäßigen 11:11 Punkten, ehe der BVB eine Halbserie ungeschlagen blieb) eine große Leistung war.
Schon eher half, dass große Erfolge am Ende nur aufgeschoben und nicht aufgehoben waren. Unzählige heute legendäre Europapokalabende von Auxerre über Rom bis La Coruna schlossen sich in den Folgejahren an, und nachdem 1993 im UEFA-Pokal-Finale gegen Juventus auch der zweite mögliche Titel knapp verpasst wurde, war es 1995 nach einer denkwürdigen Saison endlich soweit und Borussia wurde nach 32 Jahren erneut Deutscher Meister. Unvergessen die Bilder von Ottmar Hitzfeld jubelnd im beigen Trenchcoat, unvergessen die Möller-Schwalbe, der Babysturm, das Glücksgefühl in der ganzen Stadt. Trotz der folgenden Meisterschaft 1996 und dem Gewinn der Champions League 1997 war dieser Titel wohl der emotionale Höhepunkt von Ottmars Wirken bei der Borussia.
Für mich sind diese Jahre ein unvergesslicher Teil meiner Jugend, und wenn Jürgen Klopp heute mit seiner ganzen Art unseren Verein fast perfekt verkörpert, so war es bei Ottmar Hitzfeld eher die zur Schau gestellte Nüchternheit, die einen sehr angenehmen Gegenpol zur damaligen Vereinsführung darstellte.
Parallel ging es beim BVB so richtig den Bach runter, und wenn es nicht das Wunder von 2004 und 2005 im berühmten Vorraum der Pathologie und 2008 dann den zweiten unglaublichen Glücksgriff bei der Trainerwahl gegeben hätte, würde man heute wohl nicht nur lächelnd an Hitzfelds Zeiten zurückdenken, sondern auch die eine oder andere bittere Träne verdrücken. So hatte aber auch die nächste Fangeneration 2011 ihr 1995, und auch wenn es 2013 nichts mit einem erneuten Sieg in der Champions League wurde: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und unter Jürgen Klopp können wir halt nicht nur Meisterschaften und geile Europapokalabende, sondern auch ganz ordentlich DFB-Pokal.
Alles Gute für den Ruhestand, Ottmar!