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Meine Zeitreise durch das schwarzgelbe Wechselbad der Gefühle

24.03.2013, 09:03 Uhr von:  Redaktion

Das Westfalenstadion während des UmbausBin ich ein Erfolgsfan? Was macht überhaupt einen Erfolgsfan aus? Die Wahrheit ist jedenfalls: Seit der Saison 1994/95, der ersten Meisterschaft nach 32 Jahren, nenne ich mich selbst einen BVB-Fan. Seit nunmehr 20 Jahren bin ich mit dem schwarzgelben Virus infiziert. In dieser Zeit durchlebte ich Höhen und Tiefen als Teil der Borussen-Gemeinde. In Zeiten, in denen selbst ein englisches Fußballmagazin den BVB als legitimen Nachfolger des Branchenkrösus FC Barcelona tituliert und der absolute Höhepunkt erreicht zu seinen scheint, lohnt ein Blick zurück auf zwei Jahrzehnte voller glanzvoller Siege, unrühmlicher Niederlagen, auf Hoffen, Bangen und Zittern im Westfalenstadion, auf Wut und Trauer - kurzum: Auf das schwarzgelbe Wechselbad der Gefühle.

Im Jahr 1994, es muss im Spätsommer gewesen sein, kam ich zum ersten Mal mit der Borussia in Berührung. Doch es waren nicht Andy Möllers Dribblings, Matthias Sammers rustikale Abwehrgrätschen oder Chappis Tore, die mich begeisterten. Nein, an jenem Sommertag im Sauerlande erblickte ich zum ersten Mal dieses neongelbe Trikot, das mein Nachbar trug, als er nach Hause kam, während ich daheim gerade zufällig hinterm Fenster stand. Ich war sofort fasziniert, vor allem hatte ich im zarten Alter von sieben Jahren auch lange Zeit gerätselt, was es denn mit dieser halben Fünf im vorderen Bereich des Trikots auf sich hatte. Man kann rückblickend behaupten, dass ich damals für die fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs einfach noch nicht zugänglich war. Erst einige Zeit später verstand ich, dass es sich bei dem Symbol um das Zeichen des damaligen Hauptsponsors handelte. Das Trikot hatte mich begeistert und so begann ich nachzuforschen, was es zu bedeuten hat. Und so kam ich schließlich im Handumdrehen mit der Borussia in Berührung und beschäftigte mich immer mehr mit dem Verein. Die weitere Saison verfolgte ich zwar ausschließlich daheim, aber das Interesse am BVB war geweckt und sollte stetig wachsen.

Ein Jahr später, am 18. Mai 1996, betrat ich zum ersten Mal das Westfalenstadion. Mein Bruder, der damals als Zeitungsreporter einen Fanclub für eine Reportage zum letzten Saisonspiel begleitete, schleuste mich dank seines Presseausweises mit ins Stadion. Ich habe das Spiel noch wie heute vor Augen; insbesondere den Moment, in dem Toni Schumacher kurz vor Schluss für Teddy de Beer eingewechselt wurde. Danach reißt meine Erinnerung jedoch ab. Ich weiß nur noch, dass ich mich nach dem Schlusspfiff irgendwo auf dem Rasen wiederfand und das Stadion gar nicht mehr verlassen wollte. In punkto Borussia war es nun vollends um mich geschehen.

Schicksalhaftes Spiel: Die Begegnung gegen CottbusEs sollte jedoch vier Jahre dauern, bis ich wieder den Weg zurück an die Strobelallee fand. Über das 0:4 gegen das GEsindel am 23. September 2000 lege ich an dieser Stelle aber mal den Mantel des Schweigens. Überhaupt das Jahr 2000. Was hatte ich bis dahin alles erleben dürfen bei der Borussia. Da war der Champions-League-Sieg 1997 und der Weltpokalsieg, für den ich seinerzeit so schnell es nur ging aus der Schule nach Hause rannte, um mir die Live-Übertragung im Fernsehen anzuschauen. Doch in den Folgejahren wurde meine schwarzgelbe Liebe auf eine erste Bewährungsprobe gestellt. Plötzlich war Ottmar Hitzfeld weg, Borussia ohne ihn kannte ich doch gar nicht und konnte und wollte ich mir auch nicht vorstellen. Entsprechend lange brauchte ich auch, um mir den Namen des Neuen, Nevio Scala, überhaupt merken zu können. Ich fand ihn sympathisch, aber irgendwie auch lustig. Vermutlich konnte man darin auch schon ablesen, dass die Beziehung zwischen Scala und Borussia unter keinem guten Stern stand. Die Saison 1999/2000 stellte schließlich eine erste wirkliche Nagelprobe für mich dar. Die Borussia taumelte untersten Tabellenregionen entgegen. Ich war entsetzt, was aus dem Verein geworden ist. Doch die Liebe war ungebrochen. Ein ganzer Felsblock fiel mir vom Herzen, als Heiko Herrlich in der Schlussminute in Stuttgart den 2:1-Siegtreffer erköpfte und somit am 32. Spieltag faktisch den Klassenerhalt sicherte. Doch so bitter die Saison in der Bundesliga auch war, sie barg auch einen jener „magischen“ Momente, die meine Bindung zur Borussia festigten. Unvergessen ist dieses dramatische Uefa-Cup-Spiel gegen die Glasgow Rangers. Der ganze Schultag interessierte mich nicht, meine Gedanken schwirrten um die Fernseh-Übertragung ab 16 Uhr aus dem Westfalenstadion. Nach dem 0:2 im Hinspiel bereitete Jens Lehmann schließlich das wichtige 2:0 in der Nachspielzeit von Fredi Bobic vor - und am Ende gewann der BVB sogar das Elfmeterschießen (ja, solche Zeiten gab es wirklich mal) und zog in die nächste Runde ein.

Das Tief zwischen 1997 und 2000 war schließlich erfolgreich überwunden. Als Matthias Sammer im Jahr 2000 das Traineramt übernahm, begann auch der Stern Borussia wieder aufzuleuchten. Über die Meisterschaft 2002 müssen an dieser Stelle keine großen Worte verschwendet werden. In der Zeit danach blieb mir Sammer jedoch als Trainer in Erinnerung, der einen nicht gerade ansehnlichen Defensivfußball zelebrieren ließ, der nicht zuletzt schließlich 2004 auch im Ende seiner Tätigkeit münden sollte. Doch Bert van Marwijk sollte diesem Spielstil noch die Krone aufsetzen. Und dann begann sie schließlich, die dunkelste Phase in der Vereinsgeschichte. Das Aus gegen Brügge bildete den Anfang, in den Jahren danach folgten noch viel peinlichere Auftritte im UI-Cup gegen Übermannschaften aus Genk und Olmütz.

Die "Not for sale" DemonstrationUnd just in jener Zeit, im Herbst 2004, begann ich schließlich mit meinen regelmäßigen Besuchen im Westfalenstadion. Im Jahr 2006 trat ich einem heimischen Fanclub, den BVB Supporters Lennetal, bei. In den folgenden Jahren stand ich mal auf der Süd, mal saß ich irgendwo - je nachdem, für welchen Bereich ich gerade Karten ergattern konnte. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie seinerzeit aus Protest - oder doch eher aus Trotz? - gegen die wirtschaftliche Misere stets in der nullneunten Minute eines Spiels das Stadion aufstand, um geschlossen das Vereinslied zu singen. Und ebenso erinnere ich mich, wie ich seinerzeit im Schulsport ob meines schwarzgelben Trikots, das ich nach wie vor mit Stolz trug, nur mitleidig belächelt wurde. Entsprechend irritierend finde ich es, dass ebenjene, die damals die Trikots von Real, Barca etc. trugen und sich in einem Spektrum zwischen Mitleid und Abfälligkeit über die Borussia äußerten, heute die bekennendsten Borussen geworden sind. Nein, nein, ich werde mir jetzt nicht anmaßen, Teile des seit einigen Jahren rasant gewachsenen schwarzgelben Lagers in gut und schlecht einzuteilen, ich möchte an dieser Stelle nur ebenjene Beobachtung neutral zum Ausdruck bringen.

Zurück in der Königsklasse - Choreografie zum ersten Spiel in der Champions League seit JahrenWas mich jedoch extrem aufregt, sind die Pfiffe und das Raunen, das speziell in dieser Saison durch das Westfalenstadion geht, wenn es denn noch nicht so läuft, wie man es sich erhofft hatte. Im Heimspiel gegen Freiburg am vergangenen Samstag ist mir hierbei der Kragen geplatzt. Beim Stand von 0:1 und einem - zugegebenermaßen - bescheidenen Auftritt des BVB im ersten Durchgang waren die Pfiffe und das Raunen nicht zu leugnen. Doch was erwarten diese Leute, die da pfeifen? Oder vielmehr: Haben diese Leute vergessen, dass es die selbe Mannschaft war, die uns in den zurückliegenden fünf Jahren eine Vollgasveranstaltung nach der anderen geboten hat? Dass es die gleichen Spieler waren, die uns jahrelang Glücksmomente beschert haben, von denen wir noch 2007 nach dem 0:1 auf der Alm am 27. Spieltag und dem Abrutschen auf den vorletzten Tabellenplatz nicht zu träumen wagten? Was soll das? Natürlich wäre es schön, wenn wir auch in diesem Jahr mit 81 Punkten Meister geworden wären. Ja, die Leistung in der Liga ist in diesem Jahr sehr durchwachsen. Kritik ist deswegen durchaus berechtigt und ich denke, dass die Verantwortlichen - ob nun Jürgen Klopp, Aki Watzke oder Susi Zorc - die Letzten sind, die das nicht intern anprangern würden. Aber wir reden immer noch vom zweifachen deutschen Meister, vom Pokalsieger, vom aktuellen Bundesliga-Zweiten, vom aktuellen Pokal-Viertelfinalisten und insbesondere von einem Verein, der sehr gute Chancen besitzt, in der Champions League in die Vorschlussrunde einzuziehen. Vielleicht bin ich aufgrund der Achterbahnfahrt der vergangenen zwei Jahrzehnte ja zu gutmütig mit den Schwarzgelben da unten auf dem Rasen, aber wer nach oben fährt, der fährt auch irgendwann wieder nach unten - es sei denn, man heißt FC Bayern München. Ein großes Stück mehr Demut und eine weniger große Erwartungshaltung würde uns allen gut zu Gesicht stehen. Angesichts der Reaktionen am vergangenen Samstag, die ich als Jammern auf hohem Niveau klassifizieren möchte, graust es mir schon vor jenen Reaktionen, wenn die Hochphase an der Strobelallee vorbei ist und wir wieder Fußball á la Thomas Doll angeboten bekommen und man sich sonntags um 19.21 Uhr wieder nach einem 2:3 gegen Energie Cottbus nur fragt: „Warum?“ Was passiert dann? Tobt dann wieder der Mob, wie 2006 im letzten Spiel des Bert van Marwijk, als plötzlich einige, scheinbar zu allem bereite Leute wutentbrannt hinter der Trainerbank auftauchten?

Pokalsieger 2012: Der Ballspielverein aus DortmundDie Borussia ist ein wunderbarer Verein. Er hat mir fast 20 Jahre lang schöne und weniger schöne Momente geschenkt. Er hat mich mit Leuten verbunden, mit denen ich gerne daheim oder auswärts ein Bier trinke und zusammen in der schwarzgelben Fangemeinde das Wechselbad der Gefühle durchlebe. Die Borussia weist eine tolle Fangemeinde auf, jedoch sollte man stets im Blick haben, wo man herkommt. Die Jahre 2004 bis 2008 werde ich wohl nie vergessen, wenn ich mir ein schwarzgelbes Trikot überstreife - entsprechend dankbar bin ich über jeden Auftritt des Ballspielvereins, den ich mittlerweile wieder genießen darf.

Daniel, 24.03.2013

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