Unsa Senf

Stadion ohne Herz

17.05.2006, 00:00 Uhr von:  Sascha
Stadion ohne Herz
Das Schlauchboot von Außen

Ob die Münchener Arena nun ein optisches Highlight ist oder einfach nur einem gigantischen Toilettensitz ähnelt, darüber lässt sich trefflich streiten. Auf jeden Fall ist es anders und auf seine eigene Art ein imposanter Anblick. Das war es dann aber auch schon mit bajuwarischem Popanz. Hat man das Stadion einmal betreten, stellt sich sehr schnell Ernüchterung ein.

Schon beim scheinbar endlosen Aufstieg in den Oberrang wirkt das Stadion eiskalt. Nackter Beton, grau in grau, abweisend wie alter ostdeutscher Plattenbau. Ein perfekter Vorgeschmack auf das, was den Besucher erst im Innenraum erwartet. Wo normalerweise das Herz eines Vereins schlägt, sitzt anscheinend ein kleines, hämisch grinsendes Männchen mit Uniabschluss im Fach Marketing und arbeitet verbissen daran, neue Werbemöglichkeiten zu erschließen und dem zahlenden Kunden einzureden, dass es furchtbar toll sei zu konsumieren und Emotionen im Stadion nichts zu suchen haben. Dieses kleine Männchen hat Deutschlands Vorzeigeclub zu einem Fußballzombie gemacht. Von innen tot, aber in Bewegung gehalten durch Sponsorenverträge.

Zumindest der Konfettiregen erinnert an eine Meisterfeier

Nachdem sich unsere Reisetruppe durch nicht näher zu erwähnende Umstände ziemlich schnell in kleine Grüppchen aufgelöst hatte und uns der Anblick zahlloser Gemüsestände, Klamottenläden und Leberkäsbuden in der Münchener Innenstadt auch nicht sonderlich erwärmen konnte, beschlossen wir zu dritt schon recht früh die Reise in die Pampa anzutreten. Schon der Weg vom Bahnhof zum Stadion lässt Schlimmes befürchten. Große, in magenta gehaltene, Werbetafeln mit der abgebildeten Meisterschale und dem DFB-Pokal laden den Stadionbesucher zum heiteren Fotoshooting ein und die Gelegenheit wird eifrig genutzt. Erinnerungsfotos made by T-Com – oh, wie ist das schön. Schon bei meinem letztjährigen Besuch im Olympiastadion war ich erstaunt und erschüttert, wie bereitwillig man sich zum Deppen findiger Werbetexter machen lässt. Aber das kleine Männchen hat die Gelegenheit des Stadionneubaus dazu genutzt, die Schraube noch weiter zu drehen und das zahlende Volk noch penetranter mit Werbung zu bombardieren. Apropos penetrant. Auch einige Mainzer Fans konnte man vor dem Stadion sichten. Dieses putzige Partyvölkchen scheint sich endlich ans Ziel der Träume hochgeschleimt zu haben und wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich ein wenig im Glanze ihrer bayrischen Rekordmeisterfreunde zu sonnen.

Aber nun weiter im Text. Wie bereits erwähnt, waren wir früh auf dem Weg und dementsprechend schon eine Spiellänge vor dem Anpfiff auf unseren Plätzen. Dort fühlt man sich gleich wie auf der heimischen Couch. Nicht weil es so bequem ist, sondern weil der große Monitor direkt in Sichtlinie ist und man sofort das Gefühl bekommt, man hätte aus Versehen das DSF eingeschaltet. Werbespot an Werbespot. Mindestens vier Mal wird dem Besucher mitgeteilt, dass es bei der Hypovereinsbank jetzt fünf Prozent Meisterbonus gibt, den er sich doch bitte noch schnellstens sichern solle. Dazwischen präsentiert einer der größten deutschen Arbeitsplatzvernichter eindrucksvoll, warum man gezwungen ist, Kosten einzusparen. Irgendwie muss man ja diese nervtötende Präsenz im Bayernland finanzieren. Und präsent ist man. Zum kleinen, lustigen Gewinnspiel werden zwei Seppels vor dem Telekom-T platziert und man lässt sie munter ihr Fußballwissen zur Schau stellen. Dass die beiden wissen, dass sie für einen lächerlichen Gewinn gerade den idealen Hintergrund für diese Werbeveranstaltung gespielt haben, darf bezweifelt werden. So geht es dann im ständigen Wechsel zwischen Leinwand und Stadionsprecher (egal, von welchem Baum er geklettert ist, man möge ihn bitte wieder zurück jagen). Sponsor auf Sponsor darf sich präsentieren. Zeit für Gesänge? Fehlanzeige, das bringt schließlich kein Geld in die Kassen.

Wohl selten war ein Banner passender

Und was macht der Ottonormalfan, in rot und weiß gewandet? Er sitzt brav und still im Stadion und lässt die Dauerberieselung über sich ergehen. Das Wort Fangesang scheint im Münchener Sprachgebrauch nicht vorzukommen. Erschreckend wie satt und gelangweilt ein Publikum sein kann. Man war Meister, bekam die Schale überreicht, perfekte Bedingungen für eine Party. Man hätte ohne Druck 90 Minuten lang sich selbst und die Mannschaft feiern, das Repertoire an Schlachtgesängen präsentieren und einfach eine geile Zeit im Stadion haben können. Stattdessen nutzt man die spärlichen Energiereserven, um den abwandernden Michael Ballack auszupfeifen. Ansonsten pflichtschuldiger Jubel bei den drei Toren, höflicher Applaus beim Überreichen der Schale – man hat schon stimmungsvollere Beerdigungen erlebt. Einmal wurden sie aber richtig aktiv. In der Halbzeitpause rief die T-Com auf zur Spenden-Laola. Angefeuert von Michael Mittermaier, schwappte die Laola zehn Mal durchs weite Rund. Komischerweise genau die zehn Mal, die von Anfang an als Ziel vorgegeben wurden. Eine elfte Welle wurde dann flugs unterbrochen, da zufälligerweise genau zu diesem Zeitpunkt die Mannschaften wieder aufs Feld kommen sollten.

Der Werbetat war ausgeschöpft, den Marionetten wurde oft genug eingetrichtert, dass der Sponsor der Welt nur Gutes tun will und dann war Schluss mit der Großzügigkeit. Ich weiß nicht, wer mir mehr Leid tut. Das Häuflein aufrechter Bayernfans, die hilflos all dem Elend gegenüberstehen, oder der ganze Rest, der gar nicht versteht, was ihnen da genommen wurde, bzw. was sie leichtfertig hergeschenkt haben. Dabei ist doch offenkundig, dass es in dieser Arena längst nicht mehr um Fußball geht. "Let me entertain you" plärrt es nach jedem Tor aus den Stadionboxen. Im Anbetracht der bayrischen Lethargie wirkt Robbie Williams Stimme beinahe flehend, da selbst Englands Chefentertainer es nicht schafft, dass die Laufkundschaft mal ihren Arsch hoch bekommt. Es ist so offensichtlich, aber nur die allerwenigsten scheinen zu verstehen, was mit diesem Verein passiert ist. Entertainment und Werbebombardement, statt Fußball und Leidenschaft - das traurige Ende einer bayrischen Erfolgsstory.

Stadion ohne Herz

Wer jetzt aber denkt, nach dem Verlassen des Stadions sei man dem Werberummel entflohen, der irrt. Außerhalb des Geländes hat das fiese Männchen Lautsprecher installiert, die dem Besucher den Rückweg mit flotten Werbebotschaften versüßen. Spätestens jetzt kämpft man gegen einen Schreikrampf an und hält verzweifelt nach einem Gegenstand Ausschau, mit dem man die scheppernde Werbestimme zum Verstummen bringen kann. Stumm sind auch weiterhin die Bayernfans. Gemächlich trottet man Richtung Bus oder Bahn. Keine Spur von Ausgelassenheit, Feierlaune oder einfach nur Freude über die Meisterschaft. Business as usual. Wenn das der Preis für etliche Meisterschalen ist, wünsche ich uns von ganzem Herzen, dass wir von Titeln verschont bleiben.

So mancher wird jetzt sagen, dass wir zuhause genug eigene Probleme mit der Stimmung haben und nicht mit dem Finger auf die Bayern zeigen sollten. Aber wenn ich diese ausgelassene Freude über einen bedeutungslosen Punkt, über eine Aufholjagd und eine Mannschaft, die einfach jeden Zweikampf annimmt und ihr Bestes gibt, sehe, die lauten Gesänge und Jubelschreie höre, dann weiß ich, dass in unserem Verein noch ein Herz schlägt. Es mag in letzter Zeit oftmals nicht mehr die Kraft haben, auch jede Ader im heimischen Westfalenstadion mit Leben zu erfüllen, aber es ist da. Es schlägt und erfüllt den Verein mit Leben. Und es ist gleichzeitig eine Verpflichtung dafür zu sorgen, dass unsere Borussia niemals zu einer leblosen Hülle, voll gestopft mit Werbemüll, verkommt.

In diesem Sinne, danke für eine geile Zeit im Gästeblock und bis zur nächsten Saison.

Hier findet ihr den Stimmungsbericht und einen ausführlichen Spielbericht.

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