Spielbericht Jugend

Meister!

15.05.2006, 00:00 Uhr von:  Jakob Arne Jens
Meister!

Wolle ma se reinlasse? Düpdüdüdü düpdüdüdü düdü düdü düpdüdüdü! Nein, das ist nicht türkisches Glücksrad sondern aus dem Rheinland eingeschlepptes Liedgut, das Heiterkeit und Lebensfreude ausdrückt. Davon gab es mehr als genug auf der diesjährigen Tour in die bajuwarische Landeshauptstadt. Nicht nur, dass es an Stelle der üblichen Klatsche ein geil heraus gekämpftes 3-3 für unsere schwatzgelben Kicker gab. Nein. Denn sowohl An- und Abreise im von der Fanabteilung organisierten Sonderzug, als auch der Zwischenstopp im Augustinerbiergarten waren echte Kracher. Und als man dann noch die griesgrämig dreinblickenden frisch gebackenen Fußball-Double-Doppelgewinner nach dem Spiel nach Hause trotten sah, weil die Show vorbei war und die verordnete Heiterkeit bereits in der Halbzeitpause ihren Höhepunkt erreicht hatte, ließ es sich vortrefflich feiern.

Bereits am Freitagabend läuteten die ersten tapferen Fans die Auswärtsfahrt nach München mit einem Grillgelage im Westpark und anschließendem Kneipenbesuch ein. Zwischen zwei und drei Uhr nachts fand sich dann der schwarzgelbe Mob im Hauptbahnhof ein und man wartete sehnsüchtig darauf, endlich den Sonderzug besteigen zu dürfen. Mit einiger Verspätung wurden die Fans von den Fanordnern in den Zug gelassen und kurz darauf ging es auch schon los. Früh war klar, dass heute schon mehr als die Bazis kommen mussten, um unsere Laune zu trüben. Also versuchte sich die Deutsche Bahn daran. Schon der erste Zwischenstopp in Köln geriet zur Mammut-Pause und Nervenprobe für die Mitreisenden. Nachdem Lok Nummer eins den Geist aufgegeben hatte – wer kann auch ahnen, dass man für 10 Stunden Fahrt ne heile Lokomotive braucht? - suchten die Bahn-Angestellten wahrscheinlich intensiv nach einer aussortierten aber fahrtüchtigen Antriebsmaschine. Das dauerte mal eben zwei Stunden. Für einige geriet das Ziel, den Anstoß in der Schlauchboot-Arena noch live mitzuerleben in weite Ferne und dementsprechend die Welt aus den Fugen. Der am selben Bahnsteig gegenüber stehende ICE mit Ziel München brachte manch einen ins Grübeln, ob der Schnellzug nicht doch die bessere Wahl wäre. Doch zum Glück hatte man bei der Bahn mittlerweile eine „neue“ Lok gefunden und die Fahrt ging munter weiter, vorbei an der Loreley und – unterbrochen von zwei ereignislosen Zwischenstopps in Mainz und Mannheim - den schwäbischen Heimatgefilden unserer Gerlinger Fanfamilie entgegen. Natürlich war auch ordentlich Alkohol im Spiel, aber mal abgesehen von einigen Ausnahmen, hielten sich die meisten doch ein bisschen zurück, denn es sollte noch ein langer Tag werden. Gegen 13:15 erreichte der Zug endlich sein Ziel und man sammelte sich in der Bahnhofshalle, um geschlossen die U-Bahn zum Stadion nehmen zu können.

Wunderschön an Münchens größter Müllhalde gelegen, konnte man bereits aus der U-Bahn das überdimensionale Schlauchboot erkennen. Der Weg von der Haltestelle dorthin ist ebenso lang wie trist. Lediglich einige peinliche Werbeplakate schmücken die breite Einflugschneise, flankiert übrigens von noch peinlicheren Seppel-Gestalten. Doch es gibt auch Positives über das neue Stadion zu berichten. Der Architekt muss schon mal im Bernabeu gewesen sein, denn das Innenleben erinnert doch stark an das Prachtstadion in Madrid. Steile Tribünen und mehrere Ränge versprechen von fast jedem Platz beste Sicht aufs Spielfeld – auch ohne Feldstecher. Außerdem positiv zu vermerken: Selbst als Gästefan darf man sich ungehindert und frei bewegen und das gesamte Stadion umrunden. Das war’s allerdings auch schon mit der Münchner Herrlichkeit, in allen anderen Bereichen weiß die Arena rein gar nicht zu begeistern. Schon die futuristische Hülle der Spielstätte mutet eher an, als sei in München ein Ufo gelandet. Wenn dem so wäre, könnte es jedenfalls das klinische Ambiente erklären, das einen nach dem Betreten empfängt. Nun ist man in München ja schon seit den Zeiten des Olympialochs nicht gerade gesegnet, was atmosphärische Fußballbauten betrifft, aber der Innenausbau gibt sich auch wirklich keinerlei Mühe, so etwas wie Gefühl aufkommen zu lassen: Die Extravaganz der Außenhaut spiegelt sich innen jedenfalls nicht wieder, die Treppenhäuser und Ebenen sind kalt, funktional und langweilig.

Gästeblock im Schlauchboot

Die Gästefans werden in München unters Dach gesetzt und so fand sich die circa 7000 Mann starke Dortmunder Fanschar dort ein. Allerdings ohne Speisen und Getränke, denn wer mit der Bezahlkarte die Hürde der Beschaffung gemeistert hatte, dem stellten sich die Ordner in den Weg: „Essen und Trinken im Block ist untersagt!“ Wie bitte? Ja, richtig gelesen: In dieser Klinik achtet man auf Hygiene, wenngleich die Ordner sich des Irrsinns ihres Handelns sogar bewusst waren und zugaben, dass diese Regel nicht für alle Besucher gelte. Fans manch anderer Vereine sind Bratwurst und Bier durchaus erlaubt. Da haben die Sicherheitsbeauftragten in Bayern ganze Arbeit geleistet: Dass die BVB-Fans wohl zu den derzeit schlimmsten Brötchenprüglern der Liga gehören, ist eigentlich nur Insidern bekannt.

Der Stimmung im Block tat das alles keinen Abbruch, im Gegenteil. Beflügelt durch die tolle Leistung unserer Jungs auf dem Rasen, wurde die Arena zumindest im Norden beinahe 90 Minuten lang gerockt, während bei den Roten Grabesstille angesagt war. Das „Ohne Worte“-Banner zur 20-Meisterschaften-Choreographie war Programm, die Südkurve offenbarte sich als vielleicht schlechteste Heimkurve Deutschlands und alle anderen Bayernfans im weiten Rund taten es ihr gleich. Laut wurden die Münchner nur, wenn es darum ging, Michael Ballack auszupfeifen, und dabei machten sie nicht einmal vor der Übergabe der Meisterschale halt.

Ohne die derzeit streikenden Bayern Ultras fand in der Südkurve ohnehin nichts statt, was auch nur annähernd nach Stimmung klang. Ganz anders der mitgereiste BVB-Tross, natürlich waren auch Stadion-Touristen darunter und leider auch zu viele Bayern im Gästeblock. Aber das sollte heute niemanden stören, der Block war von Beginn an elektrisiert, die Stimmung war großartig. Auch wenn die Sonderzugfahrt reichlich anstrengend war und man schon im Zug vieles gegeben hatte, im Stadion wurde das noch getoppt. Das frühe 0:1 durch Koller sorgte für weiteren Schub – das 1:1 und die spätere Bayernführung konnte das nicht ändern.

Doch noch mal zurück zum Beginn. In München gibt es leider nur Sitzplätze, dazu war die Kartenverteilung nicht perfekt und alle hätten in verschiedenen Blöcken gestanden. Also versammelte sich der aktive Kern in Block 344, dort wurde natürlich gestanden, auch im Aufgang. Das gefiel wiederum den Ordnern der „Gast“geber nicht wirklich. Also probten sie den Aufstand, was den dort stehenden Fans eher egal war. Der Aufgang ist knapp 1 Meter breit, freigehalten werden soll er dadurch, dass dann statt Fans dort Ordner stehen. Was soll das bringen? Diskussionen sind in Bayern nicht so beliebt, also riefen die Ordner die Polizei. Die beiden jungen Beamten waren wohl der Meinung, sich profilieren zu müssen und pöbelten mehr herum, als dass sie ruhig auf die Leute einwirkten. Das Ergebnis blieb dasselbe, der Aufgang blieb dicht. Also holten sich die zwei Jungs Verstärkung, doch der dritte Beamte war auch nicht älter, dafür aber noch aggressiver und überheblicher. Im Gewühl des Gästeblocks fand er sich obendrein kurzerhand auf dem Hosenboden wieder. Daraufhin verließen die Beamten den Block und kamen auch nicht wieder. Stattdessen beorderte man neue Ordner in den Block, die sich freundlich Platz verschafften. Der Aufgang war nun zwar immer noch nicht frei, dafür standen hier jetzt Ordner statt Fans. Da lacht das Fanherz. Draußen hatte sich derweil eine Traube Polizisten versammelt, offenbar bereit, in den Block zurückzukehren. Am Ende konnten sie von Fanprojekt und Fanabteilung überzeugt werden, dies zu unterlassen. Dieser Unsinn mit den Aufgängen sorgt inzwischen in fast jedem Gästeblock für Ärger und unnötige Aggressionen. Hier wäre mal der Gesetzgeber gefordert, denn seine Versammlungsstättenverordnung ist verantwortlich für die Reibereien. Bleibt zu hoffen, dass wir ähnliches nicht auch bald in Dortmund erleben müssen.

Nach dem 1:1 waren dann sogar einmal die Bayernfans zu hören, auch nach dem 2:1 und 3:1 – dazwischen war auch im Dortmunder Block außerhalb des Stimmungszentrums deutlich ruhiger. Mit dem Anschluss- und späteren Ausgleichstreffer kochte der Block aber wirklich. In den letzten 20 Minuten wurde das heimische Publikum, was ja nun eigentlich den 20. Meistertitel feiern sollte, komplett an die Wand gesungen. Hätte Stadionclown Lehmann nach dem Spiel nicht die Boxen auf volle Lautstärke gedreht, wären wohl auch nur wir während der Schalenübergabe zu hören gewesen. Aber so feierte Bayern zu Schlager- und Ballermann“musik“.

Choreo der Münchener

Die Polizei sorgte nun vorbildlich für knapp 300 BVB-Fans. Nicht nur, dass die Beamten wirklich nett waren, nein, sie besorgten uns tatsächlich einen Biergarten, in dem wir noch etwas feiern gehen konnten. In die Innenstadt wollte eh keiner und der Polizei war das wohl auch ganz Recht.

Also ging es für einen Großteil der Borussen in den Augustiner-Biergarten unweit des Hauptbahnhofs, schließlich sollte der Sonderzug erst um 22 Uhr die bayrische Hauptstadt wieder verlassen. Doch während wir gut gelaunt und feiernd aus dem Stadion in Richtung U-Bahn zogen, trotteten die siegreichen Bayern schweigend an uns vorbei, als hätten sie soeben den Titel verspielt. Verkehrte Welt, die vom schwatzgelben Mob zum Anlass genommen wurde, sich selbst zum Meister zu küren. Mit „Wir feiern für Euch“, „Deutscher Meister ist nur der BVB“ und weiteren Gesängen nahmen wir kurzerhand die Meisterfeier in unsere Hand. Die daneben stehenden Bayernfans waren wohl noch immer zu ergriffen von ihrer Meisterschaft, da sie kein Wort herausbekamen. Wir können irgendwie froh sein, dass es unseren Klub nun negativ erwischt hat – so sollten und dürfen wir nie werden, einfach eine Horrorvorstellung. Warum Uli Hoeneß hinterher von einer ganz tollen und stimmungsvollen Atmosphäre sprach und die cleveren Medien darauf ansprangen, bleibt deren Geheimnis. Lags am Sekt im Pressebereich?

Im Biergarten angekommen, bot sich jedenfalls ein nettes Bild, denn alles befand sich komplett in schwatzgelber Hand. Zwar ist der Augustiner nicht wirklich billig, aber das ist es in München ja praktisch nirgends. Dort wurde zunächst noch etwas Flüssigkeit aufgetankt und gegessen, bevor es endlich mit Gesängen weiter ging. Nette Party, die dann gegen 21:30 Uhr ihr Ende fand, als wir zum Bahnhof aufbrechen mussten. Die Polizei war übrigens die ganze Zeit anwesend, warum auch immer. Es hätte ihnen doch schon nach wenigen Minuten klar sein müssen, dass wir nur Party machen wollten.

Sei es wie es sei, davon ließ sich niemand die Laune vermiesen – auch nicht von den 10 randvollen Bochumer Alt-Kutten, die anfangs mal zaghaft „VfL“ anstimmten, sich hinterher aber ergaben und irgendwann verschwanden.

Zurück am Sonderzug durften wir feststellen, dass dieser tatsächlich gereinigt wurde. Wer noch den alten Musikzirkus („Asipark“) in Dortmund kennt, kennt auch das Geräusch, das die klebenden Schuhe machen, wenn man sich dort bewegte. Im Zug praktisch dasselbe. Die Rückfahrt war dann merklich ruhiger, allerdings zauberten etliche noch sehr, sehr lange im Sambawagen bis sich kurz vor Köln die Getränke dem Ende neigten. Dort stiegen dann auch gleich noch einige aus, die später die A-Jugend beim VfL Leverkusen sehen wollten. Krank aber geil…

Rückkehr in Dortmund war dann irgendwann nach 7 Uhr, es war schon hell. Schnell rein ins Taxi, in die U-Bahn, in den Bus oder in einen der wartenden Regiozüge. Im heimischen Bettchen angekommen versanken wir alle ins Land der Träume. Der ein oder andere wird wohl von der schönsten Meisterfeier seit 2002 geträumt haben.

Hier findet ihr den ausführlichen Spielbericht und einen Kommentar zum neuen Münchener Stadion.

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