Die Nachfolge von Aki Watzke wirft ihren Schatten voraus Sebastian Kehl und das Familienunternehmen Borussia Dortmund
Wenn man Borussia Dortmund als großes Familienunternehmen beschreiben möchte, dann ist Sebastian Kehl so etwas wie der älteste Sohn, der auf seine Rolle als Familienoberhaupt vorbereitet werden soll. Nach langjähriger „Ausbildung“ als Spieler, Leiter der Lizenzspielerabteilung und Sportdirektor schickt sich Kehl nun an, in die Fußstapfen des Familienpatriarchs Aki Watzke zu treten. Aber macht die bloße Familienzugehörigkeit schon eine gute Führungspersönlichkeit aus?
Der obligatorische Disclaimer vorweg: Sebastian Kehl ist ein verdienter Borusse. Drei deutsche Meisterschaften, zwei Pokalsiege und die jahrelange Tätigkeit als Kapitän zeichnen ein klares Bild eines Menschen, der sich seit über 20 Jahren auf unterschiedliche Art und Weise in den Dienst von Borussia Dortmund gestellt hat. Auch wäre es falsch, Kehls Arbeit in den letzten Jahren bloß auf seine Fehler zu reduzieren. Gleichwohl: in einer Familie sollte man - muss man offen, ehrlich und mitunter hart miteinander ins Gericht gehen. In Bezug auf Sebastian Kehl heißt das, einen Blick auf seine – vorsichtig formuliert – mindestens unglücklichen jüngsten öffentlichen Auftritte zu werfen.
Gehen wir zunächst einen Schritt zurück: als Kehl 2015 seine Fußballschuhe an den Nagel hängte und nach einer kurzen Auszeit ein Management-Studium bei der UEFA sowie die Trainer-A-Lizenz absolvierte, schien der Einstieg als Leiter der Lizenzspielerabteilung zum Beginn der Saison 2018/2019 der nächste logische Schritt für das Vorhaben zu sein, Michael Zorc in absehbarer Zeit als Sportdirektor zu beerben. Der Stufenplan leuchtete den BVB-Fans ein: Kehl konnte so erst einmal Abstand von seiner Sportlerkarriere gewinnen, anschließend das theoretische Grundgerüst für eine Manager-Tätigkeit erwerben und schließlich unter Zorc step by step an den Posten als Sportdirektor herangeführt werden.
Zwar wurde schon seinerseits hinterfragt, ob sich der BVB nicht besser vom „Stallgeruch“-Kriterium bei der Vergabe von wichtigen Posten lösen sollte, allerdings sprach vieles für den ehemaligen Kapitän. Dieser sollte schließlich nicht über Nacht in eine verantwortungsvolle Position gehievt werden, sondern unter Zorc das Geschäft von der Pike auf lernen und dabei auch den nötigen Raum bekommen, um eigene Impulse zu setzen. Gerade Letzteres schien der BVB seinerzeit bitter nötig zu haben, da man den Eindruck hatte, dass auch Zorc nicht mehr die sportliche Erfolgsbilanz aus alten (Klopp-)Tagen vorweisen konnte. Auch die Ankündigung, dass man stärker leistungsbezogene Verträge vergeben wolle, schien vielversprechend, um die „Wohlfühloase BVB“ ein wenig aufzubrechen.
So war der folgerichtige Schritt die Ernennung Kehls zum Sportdirektor zu Beginn der Saison 2022/2023. Doch damit nicht genug: nachdem Aki Watzke im Januar mehr oder weniger überraschend ankündigte, im Herbst 2025 sein Amt als Geschäftsführer der KGaA niederzulegen, brachte sich Kehl zunächst subtil, inzwischen aber recht offensiv als künftiger „Geschäftsführer Sport“ in Stellung. Bereits eine Woche nach der Watzke-Ankündigung deutete er bei „Sky90“ an, diesem Posten nicht abgeneigt zu sein, im Rahmen eines Auftritts im „Doppelpass“ hingegen beschrieb er dieses Ansinnen schon als „logischen nächsten Schritt“.
Das mag aus individueller Sicht völlig nachvollziehbar sein. Nachdem Kehl nun den schrittweisen Übergang von der Spieler- zur Managerkarriere vollzogen hat, ist es nicht verwerflich, nach Höherem zu streben – insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Stelle als Geschäftsführer in der Bundesliga nicht alle Tage neu zu besetzen ist. Gleichwohl hat man allmählich den Eindruck, dass Kehl nicht unbedingt die Lösung für die sportlich zunehmend festgefahrene Situation bei Borussia Dortmund, sondern vielmehr Teil des Problems ist.
Dafür muss man gar nicht so sehr auf einzelne sportliche Entscheidungen eingehen. Hierzu kann man als geneigter BVB-Fan selbstverständlich eine Meinung haben, gleichzeitig sollte man auch ein gewisses Maß an Zurückhaltung wahren, weil man als Beobachter naturgemäß nicht die gleichen Einblicke in verschiedene Prozesse hat wie die handelnden Personen. Deshalb nur so viel: die Verpflichtungen der letzten zwei Jahre haben überwiegend nicht so eingeschlagen, wie man sich wohl erhofft hat. Spieler wie Ramy Bensebaini und Salih Özcan spielen mehr oder weniger keine große Rolle im Kader, finanziell hochkarätige Verpflichtungen wie die von Karim Adeymi und Marcel Sabitzer hatten zumindest nicht den Effekt, den Kader substanziell und nachhaltig besser zu machen. Die jüngsten Leihen von Ian Maatsen und Jadon Sancho mögen zwar einen kurzfristigen sportlichen Unterschied gemacht haben, bieten aber wohl aufgrund ihrer finanziellen Dimension keine über den Sommer hinausgehende Perspektive.
Kann man sich über Sinn und Unsinn einzelner Entscheidungen trefflich streiten, sind es aber vor allem die Nebenschauplätze und öffentlichen Auftritte von Sebastian Kehl, die Fragezeichen hervorrufen.
So warf bereits die Posse um den ehemaligen Koordinator Sport ein merkwürdiges Licht auf den Verein. Slaven Stanic, der als enger Mitarbeiter von Kehl galt, war erst im Mai 2023 auf dessen Wunsch hin verpflichtet worden und soll sich laut Medienberichten in der Öffentlichkeit abfällig über Edin Terzic geäußert haben. Nun mag man es unfair nennen, Kehl das Verhalten eines Dritten zuzurechnen, allerdings darf schon die Frage gestellt sein, wieso man ein solches Verhalten noch zwei Monate lang toleriert und den überfälligen Rausschmiss von Stanic im Dezember 2023 erst in die Wege leitet, als das Thema in der Presse die Runde machte.
Auch Teile des Auftritts bei „Sky90“ Mitte Januar darf man in die Kategorie „Kann man, muss man aber nicht“ einordnen. Hier kritisierte Kehl irritierend offenherzig mit Niklas Süle einen Spieler, der sicherlich bislang keine Erfolgsgeschichte bei Borussia Dortmund geschrieben hat. Wie so oft ist es jedoch eine Sache des Stils, in einer derartigen Runde einen einzelnen Spieler herauszupicken und mit Lothar Matthäus über dessen sportliche Defizite zu plaudern. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass dies einen nachhaltig positiven Einfluss auf den Spieler hatte.
Gleiches gilt für Kehls jüngsten Auftritt im „Doppelpass“. Man darf bereits grundsätzlich die Frage stellen, was man sich in der aktuellen sportlichen Lage mit so einem Auftritt erhofft. Klar: die unangenehmen Themen werden von Moderatoren und Gästen aufgeworfen, aber deshalb wäre das Gebot der Stunde vielleicht, sich gerade nicht derartigen Situationen auszusetzen. Also kam es, wie es kommen musste: auf die bärenstarke Saison von Bayer Leverkusen angesprochen, versuchte Kehl ein schiefes Bild eines BVB zu malen, welcher den FC Bayern letztes Jahr durch das knappe Meisterschaftsrennen ins Straucheln gebracht habe. Dass Leverkusen gerade auf 90 Punkte-Kurs ist, scheint Kehl dabei ebenso wenig im Blick gehabt zu haben wie den Umstand, dass es in Anbetracht der aktuellen Lage bei Borussia Dortmund auch völlig egal ist, was in Leverkusen oder München passiert – handelt es sich doch um Mannschaften, die dem BVB sportlich komplett enteilt sind.
Und so darf die Frage gestellt sein, ob die verkrusteten Strukturen bei Borussia Dortmund, die offenbar wenig selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Entscheidungen, die eher hilflos wirkende Verpflichtung zweier Co-Trainer, die ihrerseits vor allem durch ihre BVB-Vergangenheit bestechen, nicht auch Ausdruck der Tatsache sind, dass Sebastian Kehl schlichtweg nicht in der Lage war, in über 5 Jahren verantwortlicher Tätigkeit bei Borussia Dortmund genau jene Impulse zu setzen, die der Verein bitter benötigt.
Auch der augenscheinliche Zwist zwischen Kehl und Edin Terzic in Sachen Kaderplanung ist vor allem deshalb so unverständlich, weil beide in der Vergangenheit gemeinsam als Sportdirektor und technischer Direktor an genau dieser Kaderzusammensetzung gearbeitet haben und Kehl mitverantwortlich dafür war, Terzic im Anschluss wieder als Trainer zu installieren.
Zwar mag man einwenden, dass zwei Spielzeiten als hauptverantwortlicher Sportdirektor keine allzu lange Zeit sind, um einen nachhaltigen Einfluss auf die sportlichen Strukturen zu nehmen, allerdings sollte man sich dann möglicherweise öffentlich etwas zurücknehmen, wenn perspektivisch das Amt des Geschäftsführers frei wird.
Was in der öffentlichen Wahrnehmung übrig bleibt, ist ein BVB, dessen Sinn für das Familiäre (seien es interne Karrieren wie die von Sebastian Kehl, Nuri Sahin und Sven Bender oder Rückholaktionen wie die von Jadon Sancho) inzwischen eher zum running gag verkommen ist, statt daraus einen erkennbaren Mehrwert zu erzielen. Und so stellt sich die Frage, ob es vergleichbare Kandidaten ohne diese schwarz-gelbe Vergangenheit durch den BVB-Auswahlprozess geschafft hätten. Vielleicht ist nämlich die traurige Realität, dass eine BVB-DNA – so romantisch die Geschichten sind, die man darüber schreiben kann – nicht automatisch ein Qualitätsmerkmal für gute, nachhaltige Arbeit ist. Blut ist dicker als Wasser und deshalb wird Sebastian Kehl qua seiner Verdienste immer ein großer Borusse sein. Vielleicht würde es aber gerade einem Sohn der Familie nicht schaden, sich seine Sporen erst einmal außerhalb des Familienbetriebs zu verdienen.