Eua Senf

BVB - mehr als nur ein Fußballverein Finale Gedanken

31.05.2024, 11:34 Uhr von:  Gastautor
Der BVB-Fans im Wembley Stadium 2013

Müsste ich einem Außerirdischen oder einem Ureinwohner aus dem Amazonasregenwald die Faszination am Fußball erklären, würde ich das wohl anhand von Borussia Dortmund tun. Es gibt nur wenige Vereine, in denen sich das Auf und Ab und die emotionale Bandbreite dieses Sports so widerspiegeln.

„Seelisch, emotional und menschlich gebrochen…“, „Bin taub“, „Wembley tat nicht so weh…“ Das waren auf den Tag vor einem Jahr die Worte, die ich Freunden schrieb. Zeitzeugnisse eines Lebens, das es gut mit einem gemeint hat, wenn das die Gedanken sind, die man zu einem verloren Fußballspiel äußert. Was war passiert? Am Vortag, dem 27.05.2023, hatte der BVB die sicher geglaubte Meisterschaft auf fulminante Weise ausgerechnet im eigenen Stadion verspielt. Es brauchte lediglich einen Sieg gegen den FSV Mainz 05, für den es am letzten Spieltag lediglich um die Ehre ging. Der Rest ist bekannt: Früher Rückstand, noch höherer Rückstand, verschossener Elfmeter durch Haller, der an diesem Tag seine eigene Geschichte schreiben wollte und am Ende nur ein Unentschieden. Bis heute habe ich keine Wiederholung oder eine Zusammenfassung des Spiels gesehen. Braucht es auch nicht. Noch mehr als die vergebenen Chancen haben sich die anderen Bilder dieses Tages ins eigene und kollektive Gedächtnis eingebrannt: Trainer Edin Terzic, der Dortmunder Junge, weinend vor der Südtribüne als Sinnbild für die unzähligen Menschen, die sich dort schluchzend in den Armen lagen. Vor dem Stadion dramatischere Bilder. Gestandene Männer, die konsterniert auf dem Boden lagen oder saßen. Die tränenverquollenen Gesichter in die Hände oder Armbeugen gedrückt. Eine Szenerie, die an die Momente nach der Schlacht in der Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ erinnerte. Wie passend…

Edin Terzic nach dem Spiel gegen Mainz 2023 mit Tränen in den Augen.
Edin Terzic nach der verpassten Meisterschaft

Nun ein Jahr später packe ich die Tasche für das Champions League-Finale. Am Samstag wird Borussia Dortmund im Londoner Wembley-Stadion im wichtigsten Spiel des europäischen Vereinsfußballs auf Real Madrid treffen. Im vergangenen Sommer hätten selbst kühnste Optimisten nicht damit gerechnet, dass diese Mannschaft soweit vorrückt. Auch die Leistungen in der Liga ließen diese Saison nicht den Anschein erwecken, dass da eine der beiden besten Mannschaften Europas spielt. Zu passiv, zu schludrig, zu anfällig. In einer weiteren Saison, in der die Bayern im Tagesgeschäft strauchelten, waren es andere, die brillierten und da waren. Daher mutet es in dieser Saison auch etwas surreal an, dass eine der merkwürdigsten BVB-Mannschaften seit Jahren im Champions League-Finale steht. Es ist fast so, als ob es das Team Ende der 90er/ Anfang der 2000er ins Finale geschafft hätte. Alfred Nijhuis, Vladimir But und Fredi Bobic im Endspiel der Königsklasse. Die Dortmunder Urtugenden der Aufopferung, des Kampfes und der Leidenschaft waren auf internationaler Bühne unter Flutlicht plötzlich da. Im Halbfinale gesellten sich auch noch Glück und Aluminium dazu. Magische Nächte in Mailand, Madrid, Newcastle und natürlich im heimischen Westfalenstadion, das auf europäischem Parkett wieder zur Festung wurde. Die Mischung aus Mannschaft und Wand unüberwindbar. Der Einzug ins Finale daher nicht unverdient.

Der Gegner aus Madrid immer noch das Größte, was dieser Sport aufzubieten hat. Schon 2012 beim ersten Auswärtsspiel im Bernabeu fühlte man sich als BVB-Fan wie ein Bauer auf den Bayreuther Festspielen. Die weißen Trikots, mit Abstand Rekordsieger in der Champions League und der Anmut eines Modric oder Kroos. Keine Fußballer mehr, sondern Monumente ihrer eigenen Erfolge. Zurecht königlich. Es ist kein Zufall, dass mit Jude Bellingham der beste Spieler, der in den vergangenen Jahren die schwarzgelben Farben tragen durfte und vor einem Jahr gegen Mainz so schmerzlich vermisst worden ist, in seiner ersten Saison auf Anhieb Leistungsträger und Publikumsliebling in Madrid wurde. Die perfekte Symbiose aus Können und unbedingten Willen. Die Rollenverteilung im Vorfeld des Finales also klar vorgegeben. Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass sich mit Füllkrug und Joselu ausgerechnet die beiden Stürmer gegenüberstehen, über die sich letzten Sommer die meisten Experten verwundert die Köpfe gekratzt haben. Hannover 96 bildet aus. Ein Treppenwitz der Fußballgeschichte.

Wie vor 11 Jahren ist der BVB der Außenseiter

Borussia Dortmund geht als klarer Außenseiter in dieses Endspiel. Trotzdem ist man seit Tagen nervös und reist als einer von Abertausenden hin. Hoffen auf ein Wunder. Marco Reus, der in seinem letzten Spiel für seinen BVB den Henkelpott in den Londoner Nachthimmel stemmen könnte. Der Unvollendete für immer Unsterblich. Die Chancen dafür gering, aber als Fußballfan ist man nicht nur Masochist, sondern auch hoffnungsvoller Romantiker. Eine fatale Mischung. Wieder Wembley, wieder alles eine Nummer zu groß. Wie vor elf Jahren. Damals gegen die Bayern. Das ewige Duell und das letzte auf Augenhöhe. Der Ausgang ist bekannt. Arjen Robben in der letzten Minute mit dem Stich in die schwarzgelben Herzen. Ein Märchen ohne Happy End. Der zweite Sieger als erster Verlierer.

Erst verließen die Eckpfeiler der Mannschaft und irgendwann auch Jürgen Klopp den Verein. Das ist jetzt neun Jahre her und inzwischen war er länger Trainer in England als beim BVB, schwebt aber immer noch über dem Westfalenstadion. Als Trainer größer als Borussia Dortmund und der FC Liverpool. Eine Leistung, die man in einem Leben erstmal schaffen muss. Danach gaben sich Spieler und Trainer die Klinke in die Hand beim BVB. Karrieresprungbrett für Talente und Durchlauferhitzer im verzweifelten Versuch mit dem Branchenprimus aus München mitzuhalten. Auf dieser Strecke verlor man sich als Verein ein Stück weit selbst. Das Besondere zur Beliebigkeit reduziert. Ins Stadion gingen wir trotzdem weiter, aber nicht mehr mit dem Feuer und der Begeisterung der Jahre zuvor. Mit dem Alter kamen für viele auch die Verpflichtungen. Der Ernst des Lebens hatte uns eingeholt. Der Platz im Block eine Selbstverständlichkeit, die immer da sein würde.

Bis diese Selbstverständlichkeit nicht mehr da war. Corona. Sicherheitsmaßnahmen gegen die allgemeine Unsicherheit. Zwar fanden schnell wieder Spiele statt. Ohne Publikum, ohne das eigene Ritual am Spieltag, verloren diese jedoch ihren Reiz. Unberechtigte Niederlage? Gegen den VfB Stuttgart im Westfalenstadion untergegangen? Die nächste Trainerentlassung? Egal. Es ist wie es ist. Laptop zu, Fernseher aus. Eine zwei Jahre andauernde Qual. Aber was war es, das fehlte, wenn das Produkt doch da war?

Die Borussia ist mehr als nur ein Sportverein

Die Choreographie zeigt Vater und Sohn auf der Tribüne sowie eine Textzeile aus dem Lied "Borussia" von Bruno Knust. Zitat: „Als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen und der wurd auch schon von seinem mitgenommen“
Choreographie beim Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg 2019

Es ist die Erkenntnis, dass Borussia mehr ist. Das ist der Vater, der seinen Sohn mit ins Stadion nimmt, um ihn nach dem Umzug in eine andere Stadt auf andere Gedanken zu bringen. Der Vater, der zwar seit Jahren nicht mehr ins Stadion geht, aber trotzdem noch jedes Spiel verfolgt. Am liebsten stehend, die Hände hinter dem Rücken verschränkt einen Meter vor dem großen Fernseher im noch größeren Wohnzimmer. In einer sich immer mehr entfremdenden Gesellschaft, ist es das, was alle für einen Augenblick vereint. Das sind die Fans auf der ganzen Welt, die zu Unzeiten in der Kneipe sitzen, um ein Spiel zu verfolgen. Das sind Leute, die aus Neuseeland um die ganze Welt fliegen oder auf Flughafenfußböden schlafen, um ein Spiel zu sehen. Das ist, angewidert vom eigenen Gestank stundenlang in stickigen Bussen und Zügen zu sitzen. Das sind die Freunde, mit denen man seit bald zwanzig Jahren ins Stadion geht und die alle noch da sind. Keiner ist gegangen. Im Gegenteil, mit der Zeit kamen neue Leute dazu. Freundschaften fürs Leben. Menschen, die man andernfalls nie kennengelernt hätte, mit denen man mittlerweile verreist oder die man als Gast beherbergt. Das ist plötzlich bei wildfremden Menschen im Wohnzimmer zu stehen, um den Finaleinzug zu feiern. Das ist Vereinslegenden durch Rom zu führen und sich mit diesen an Hotelbars zu betrinken. Fremde, die plötzlich Freunde werden, weil man, ehe es sich versieht, mehrere Stunden beim Bier verquatscht hat. Das ist eine gemeinsame Sprache. Borussia das ist der Katalysator an guten Tagen. Das ist die Ablenkung, wenn die Welt um einen herum zu zerbrechen scheint.

Was einen in jungen Jahren packt, das wird man nicht mehr los. Das ist die Geborgenheit im Ritual. Das kühle Pils mit Freunden. Dieselben alten Räuberpistolen und Witze in der Kneipe (sorry dafür!). Tage, an denen das Bier mit einer allgemeinen Lebensfreude um die Trunkenheit konkurriert. Momente, die man am liebsten selbst in Flaschen abfüllen würde. Ein großes Klassentreffen ohne Neid und Angeberei. Das innere Kind, das am Spieltag nicht nur an die Hand genommen, sondern auf den Rummel entführt wird. Deserteure ins (schwarzgelbe) Glück.

Vergegenwärtigt man sich die Gewissheit, dass das Wesen dieses Vereins mehr ist als die Leistung seiner Spieler auf dem Platz, ist das alles nicht nur ein großes Glück, sondern ein Geschenk des Lebens und mehr wert als jeder Pokal. Gewinnen dürfen sie den Henkelpott trotzdem gerne.

Geschrieben von Denis Baro.

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