Exklusiv-Interview mit BVB Spieler ...Marius Wolf, Teil II: "Es ist etwas ganz Besonderes, in der Nationalelf zu spielen."
Im zweiten Teil unseres großen Interviews sprechen wir mit Marius über den Beginn seiner Karriere, seine Herz-OP und die Pläne für seine Zukunft.
Schwatzgelb.de: Du bist mit 11 Jahren in eine deutsch-tschechische Fußballschule und später in das Nachwuchsleistungszentrum bzw. das Jugendinternat des 1. FC Nürnberg gegangen. Wie würdest du diese Erfahrung rückblickend bewerten?
Marius Wolf: Die Fußballschule war ein sehr spannendes Projekt, weil man die Chance hatte, gegen andere Nachwuchsleistungszentren zu spielen. Wir haben coole Reisen gemacht, z.B. nach Liverpool, und haben gegen Mannschaften gespielt, mit denen man sonst nicht in Kontakt kommen würde. Darüber ist auch der Kontakt zu Nürnberg entstanden, weil wir dort gespielt und die mich dann quasi gesichtet haben. Es war eine coole Zeit und ich habe da viel mitgenommen, viel erlebt und viel gesehen. In Nürnberg war der Schritt ins Internat dann notwendig, weil es für meine Eltern nach den ersten Jahren nicht mehr möglich war, die Belastung mit der Fahrerei allein zu tragen. Ich war in einem Alter, in dem es dann auch in Ordnung war, ins Internat zu gehen und dort meine Schule fertig zu machen. Es war vorher immer schwer mit der Schule und der Fahrerei und dann noch mit dem Training. Das hat sich im Internat dann alles gegeben. Es war manchmal keine einfache Zeit, weil man halt früh von zu Hause weg ist, aber alles in allem, mit den ganzen Jungs, die ich da kennengelernt habe und mit denen ich zum Teil noch heute Kontakt habe, war es eine gute Zeit. Sie war zurückblickend auf jeden Fall positiv.
Was verbindest du mit der Aussage zu klein und zu langsam?
Zu klein und zu langsam? Ja, ich war wirklich einer von den Kleinsten damals. Ich habe ziemlich spät mit dem Wachstum begonnen. Ich denke, es war so Ende U17, als ich richtig nach oben gegangen bin, aber vorher war ich eigentlich immer einer von den Kleineren und Langsameren, was sich dann später in die andere Richtung entwickelt hat. Früher wurde in der Jugend viel auf Größe gesetzt, weil es eher ums Gewinnen ging und nicht um die spielerische Ausbildung. Wenn dann einer mit vierzehn 20cm größer als du war, wurde mehr auf den gebaut. Aber ich sage oft: Bei Spielern, die sich in jüngerem Alter körperlich noch nicht so gut durchsetzen konnten, hat man öfter gesehen, dass diese später den Sprung eher schaffen, als andere.
Wenn du deine bisherige Fußballerkarriere betrachtest, gibt es einen Trainer oder eine andere Person, die dich auf besondere Art und Weise geprägt haben?
Auf jeden Fall. Natürlich war es in Nürnberg Reinhold Hintermaier, der mich zur U13 geholt hat, auch Wolfgang Schellenberg und Sepp Steinberger bei 1860 München im letzten A-Jugendjahr, bevor ich zu den Profis gekommen bin. Ja, das waren so in der Jugend die Trainerpersönlichkeiten. Später dann Niko Kovac, der mich damals zu Frankfurt geholt hat und einen großen Teil zu meiner Entwicklung beigetragen hat. Natürlich auch Marco Rose und Edin. Marco vor allem im letzten Jahr, als er mich aus Köln zurückgeholt hat. Als nicht klar war, ob ich hierbleibe, hat er mir klar gemacht, dass er mich braucht. Edin natürlich genauso in diesem Jahr. Das sind so die Personen im Fußball, von denen ich persönlich am meisten mitgenommen habe, auch für meine Karriere.
Du bist erstmalig bei Hannover 96 und später beim BVB häufiger ausgeliehen worden und hast in dieser Zeit auch am 21.10.2017 gegen den BVB dein erstes Bundesligator geschossen. Wie geht man als Leihspieler mit solchen Situationen um? Ist dies eine zusätzliche Motivation?
Absolut, diese Situation ist eine Motivation. Ich will immer spielen. Das war im meinem zweiten Jahr unter den Umständen hier nicht gegeben, sodass ich mich auf etwas anderes eingelassen habe. In Berlin und Köln wurde mir die Chance gegeben, mich zu zeigen. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich dem 1. FC Köln helfen konnte, in der Bundesliga zu bleiben. Auch persönlich hat es mir sehr viel in der Entwicklung, nicht nur als Fußballer, sondern auch als Mensch, gebracht.
Nicht zu vergessen, der Pokalgewinn mit der Eintracht
Absolut. Von Hannover II zu kommen und dann ein halbes Jahr später als Stammspieler mit der Mannschaft so eine geile Saison, mit einem Titel am Ende, abzuliefern, das ist schon so, wie man es sich erträumt. Es sind viele Stationen im Fußball extrem wichtig für mich gewesen, auch die, bei denen man das vielleicht nicht so denkt. Auch die Zeit in Hannover hat mich weitergebracht, auch wenn es dort fußballerisch nicht so gelaufen ist und nicht auf mich gesetzt wurde. Dafür hat es mir menschlich viel gebracht. Ich habe gelernt, wie ich mich zu verhalten habe, wenn ich in einem Loch bin oder einfach auch, wie ich mich zu verhalten habe, um gar nicht mehr in so eine Situation zu geraten. Deswegen bin ich auch froh darüber, dass das am Anfang von meiner Karriere war und ich nicht erst am Ende in so eine Situation komme.
Du hast kürzlich dein Länderspiel-Debüt gegeben. Wie waren deine Gefühle, als Hansi Flick dich angerufen und eingeladen hat?
Für mich ist die Champions-League-Hymne schon ganz oben, aber die Nationalhymne ist noch einmal ein Stück drüber und es ist natürlich etwas ganz Besonderes, in der Nationalelf zu spielen. Als Kind träumst du davon, wenn du mit deinen Freunden zugeguckt und selbst Fußball gespielt hast. Es ist schon mit das Größte.
Du bist einer von drei Protagonisten im Buch „Der große Traum“ von Ronald Reng und wurdest 10 Jahre in deiner Entwicklung begleitet. Das Buch wurde 2022 mit dem Preis "Fußballbuch des Jahres" ausgezeichnet. Kannst du uns dieses Projekt aus deiner Sicht beschreiben?
Ich habe mit Ronny ein sehr enges Verhältnis, auch immer noch und verstehe mich richtig gut mit ihm. Wir haben es quasi so gemacht, dass er meistens einmal im Monat zu mir gekommen ist und wir uns hingesetzt und einfach gequatscht haben. Er hat immer da, wo er aufgehört hat, einen Cut gemacht, sich das aufgeschrieben und von da an habe ich das nächste Treffen einfach wieder erzählt, was in diesem Monat oder in den zwei Monaten, in denen wir uns nicht gesehen haben, passiert ist. Ich glaube, hätte man alles geschrieben, hätte es ein Buch mit 15.000 Seiten gegeben (lacht). Daher musste er auch viel streichen. Es ist trotzdem ein gelungenes und schönes Buch, wie ich finde. Es beschreibt auch gerade für Eltern, die ein Kind im Nachwuchsleistungszentrum haben, dass nicht immer alles so rosig ist, wie es nach außen scheint. Aber natürlich ist die Zeit zu jetzt nochmal eine andere gewesen, heutzutage hat sich alles enorm entwickelt. Es sind großartige Einblicke, die man so von mir noch nicht bekommen hat.
Wie würdest du selbst, auf und neben dem Platz, deine Stärken und deine Schwächen beschreiben?
Die Schwäche neben dem Platz sind Autos (lacht). Stärken, ja, ich will einfach jedes Spiel gewinnen, will der Mannschaft helfen. Ich bin jemand, der sich nicht zu schade ist, auch mal die Drecksarbeit zu machen. Das ist einfach das, was mich auszeichnet. Schwächen? Was das Abwehrverhalten angeht, das oft kritisiert wird, habe ich mich von Anfang der Saison bis hierher schon extrem weiterentwickelt. Ich merke das selber auch, dass ich in den Spielen sicherer werde, von Spiel zu Spiel. Ich denke, man muss Fehler auch machen, um daraus zu lernen und zu wissen, was passieren kann. Ich denke, jeder kann sich immer weiter entwickeln. Das ist etwas, woran man arbeitet, von Woche zu Woche.
Wie geht man damit um, dass man einen bestimmten Marktwert hat - Bei dir relativ konstant in den letzten Jahren 9 Millionen - oder macht man sich darüber keine Gedanken?
Überhaupt nicht, ich habe es jetzt von dir erfahren. Mir ist das eigentlich relativ wurscht, das hat im Fußball nichts auszusagen, sage ich für mich. Wenn du siehst, für welche Summen ein Spieler teilweise wechselt. Ich weiß nicht, ob das andere Spieler interessiert. Bisher habe ich mit keinem in der Mannschaft über seinen eigenen Marktwert gesprochen.
Du hast in den letzten fünf Jahren 87 Fehltage wegen muskulärer Probleme bzw. muskulärer Verletzungen gehabt. Das ist im Vergleich zu anderen Spielern relativ wenig. Worauf führst du das zurück?
Keine Ahnung. Ich gehe halt wirklich erst raus, wenn es nicht mehr geht. Aber toi, toi, toi, ich hoffe, dass es auch so bleibt mit den wenigen Fehltagen. Wenn im Fußball was passiert, dann ist es so, es ist Hochleistungssport. Ich würde den anderen Spielern auch wünschen, dass sie weniger Verletzungen haben. Es gibt aber leider immer Spieler, die vom Pech verfolgt sind. Es tut dann weh zu sehen, wie sich einer ran kämpft, dann wieder Rückschläge bekommt und sich erneut ran kämpfen muss. Da bin ich zum Glück bis jetzt verschont geblieben und hoffe wie gesagt, dass das so bleibt!
Hat sich in diesem Zusammenhang, wenn du so zurückblickst, die medizinische Betreuung im Profifußball verändert?
Ja, absolut, nicht nur die medizinische Abteilung. Wenn ich die Zeit vor 10 Jahren bei 1860, damit vergleiche, was es heute alles im Fußball gibt, dann ist es ein komplett anderer Sport - bis auf das Spiel. Da hat sich auf jeden Fall enorm viel getan und es wird sich auch immer weiterentwickeln. Auch wenn man in anderen Ländern und Sportarten schaut, beispielsweise nach Amerika im Football, was für Technologien die da schon haben, das wird bestimmt auch irgendwann den Fußball erreichen.
Du wurdest Ende vergangenen Jahres aufgrund einer Herzrhythmusstörung operiert. Warum hast du dich entschieden, diesen Eingriff erst Monate später öffentlich zu machen?
Ich wollte erst einmal nicht, dass es jeder erfährt – abgesehen von den Menschen, die mit mir zusammenarbeiten und meiner Familie. Man weiß nicht, wie es einem damit geht, oder wie es nach so einer OP weitergeht. Es hätte vielleicht sein können, dass ich eine längere Pause gebraucht hätte, oder es wäre irgendetwas anderes gewesen. Es kann auch bei solchen Eingriffen sein, dass man das nicht nur einmal, sondern auch zweimal oder dreimal machen muss, weil man den Problembereich noch nicht lokalisieren konnte. Deswegen haben wir gesagt, dass wir das Thema erst einmal ruhig halten und ich mich auf mich konzentrieren und wieder gesund werden kann, um danach wieder beruhigt ins Training einzusteigen.
Ging dir zum Zeitpunkt der Diagnosestellung auch ein mögliches Karriereende durch den Kopf?
Schon. Vor der OP war mir ein bisschen mulmig – auch wenn du hörst, die haben das schon 100-mal gemacht und zu 99 Prozent mit gutem Ergebnis. Aber eben dieses eine Prozent und es ist dein Herz - da denkst du natürlich schon auch an die negativen Sachen, vor allem kurz davor. Ich war froh, als ich aufgewacht bin und die Ärzte mit mir gesprochen haben. Sie haben gesagt, dass es schnell ging und gut verlaufen ist. Es spielt auch immer noch eine Rolle, ich denke ab und zu daran. Ich finde, wenn man so etwas hatte, kann man noch genauer in seinen Körper reinhören, weil man dann auch auf Dinge achtet, die man zuvor nicht beachtet hat. Es ist etwas, was einem im Kopf bleibt, sodass man vielleicht auch auf zu viele Sachen hört. Ich sehe das aber als etwas Gutes, ich kann meinen Körper noch besser fühlen.
Was könntest du dir vorstellen, nach deinem Karriereende anzustreben? Suchst du dann andere Herausforderungen im Fußballgeschäft?
Ich würde nach meiner aktiven Karriere gerne im Fußballgeschäft bleiben. Es macht mir sehr viel Spaß und würde mir zu sehr fehlen, wenn ich mal mit dem Fußball aufhöre. Als was, bzw. was ich da genau machen möchte, darüber habe ich mir explizit noch keine Gedanken gemacht. Ich möchte schon noch so lange wie möglich spielen. Ich denke, das kommt dann irgendwann von allein, dass ich mir dann denke “ah, das finde ich cool”. Deswegen mache ich mir da auch keinen Druck, sondern ich schaue einfach mal was die Zukunft bringt.
Vielen Dank für das Interview!