Marco Reus fährt nicht zur EM
Am 19. Mai gab Joachim Löw seine Kader-Nominierung für die um ein Jahr verschobene EM bekannt. Unter den Namen fehlte unser Kapitän Marco Reus.
Als ich diese Nachricht am Abend zuvor erfuhr, musste ich spontan an ein Interview mit Marco Reus denken. Damals fragte ihn der Reporter nach dem Frust des verpassten WM-Titels, aber auch nach der an Titeln armen Karriere unserer Nummer „11“. Marco Reus antwortete nach kurzer Zeit überlegt, sehr gelassen und für mich überzeugend:
Ich spiele nicht Fußball, um Titel zu gewinnen, ich spiele Fußball, weil es mir Spaß macht.
Marco Reus gab für seine Entscheidung gesundheitliche Gründe an. Rein sportlich konnte unser Kapitän mit dem Ausgang der Saison und seiner Leistung in Reihen des BVB sehr zufrieden sein. Man schwärmte von dem wieder erstarkten Borussen, der in der entscheidenden Phase der Saison zu seinen alten Tugenden zurückgefunden hatte. Aber mit den Jahren überwiegt manchmal auch die Vernunft und die Akzeptanz hinsichtlich der Belastbarkeit des eigenen Körpers. Am 31. Mai wird Marco 32 Jahre alt und immer wieder hat er in der Vergangenheit Rückschläge erlitten. In einem früheren Artikel haben wir uns diesem Phänomen gewidmet. Es spricht für seine Reife (und das muss man respektvoll anerkennen), sich im jetzigen Moment kritisch mit der eigenen Belastbarkeit und Sinn und Nutzen einer anstehenden EM in Pandemie-Zeiten auseinander zu setzen. Es ist deswegen zu vermuten, dass seine Entscheidung eine multifaktorielle Genese hat, das heißt, es werden viele Faktoren eine Rolle in der Entscheidungsfindung gespielt haben.
Man muss in diesem Zusammenhang vermuten, dass sich Marco Reus in Zukunft mehr auf den BVB fokussieren wird. Es ist ihm wichtig, hier seine Körner einzubringen und dies wird man als Fan mit Freude wahrnehmen. Emre Can und Mats Hummels sind die einzigen Schwarzgelben, die mit „Jogi“ auf Reisen gehen werden. Man kann nur hoffen, dass sie gesund zurückkehren. Das gilt natürlich auch für unsere anderen EM-Teilnehmer, insbesondere für Axel Witsel. Hier bekommt der Außenstehende und Fachmann doch mehr als Bauchschmerzen bei dem Gedanken an einen Einsatz für sein Heimatland Belgien. Auch wenn das Auflaufen für Marco Reus in der „Mannschaft“ noch längst nicht sicher gewesen wäre, so glaube ich, waren andere Gründe ausschlaggebender.
Unser Capitano hat sicher neben Körperwahrnehmung und Fußball auch seine Familie entdeckt und die spielt in Pandemie-Zeiten eine ganz besondere Rolle. Im März 2019 kam seine Tochter zur Welt und er und Scarlett Gartmann-Reus machten lange Zeit ein Geheimnis aus deren Namen Emily. Gerade das Erleben des Nachwuchses in den ersten Jahren passt daher nicht zu einer coronabedingten Fußballblase. Vielleicht hat auch sein Engagement für die SOS-Kinderdörfer seit Ende 2018 das ein oder andere relativiert. So habe ich großen Respekt für seine Entscheidung. Sie ist auch ein deutliches Bekenntnis zu seiner schwarz-gelben Heimat. Dies ist nicht bei jedem Spieler zu erkennen und so ist mir ein Marco Reus ohne große Titel wichtiger und sympathischer, als ein Spieler, der im Wesentlichen auf sein Tor im WM Finale 2014 reduziert wird!