Ausbaubedarf gibt es beim Thema „Infos in Leichter Sprache“
Neben Borussen mit körperlichen Einschränkungen gibt es auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, die aber natürlich das gleiche Bedürfnis haben, am „Erlebnis Stadion“ teilhaben zu dürfen. Welche Herausforderungen es gibt und was noch zu verbessern ist, darüber sprachen wir mit Sebastian von Special Olympics NRW.
schwatzgelb.de: Wer bist Du und wer sind Deine Schützlinge?
Sebastian Bergmann: Mein Name ist Sebastian Bergmann. Ich komme aus Hamm, bin selbst BVB-Fan mit einer Dauerkarte auf der Südtribüne und ich arbeite für Special Olympics Nordrhein-Westfalen, kurz SONRW. SONRW ist der NRW-Landesverband der weltweiten Sport-Organisation Special Olympics, der größten Bewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Während die Paralympics in Deutschland sehr bekannt sind, ist es Special Olympics leider noch nicht. Wir bieten Sportangebote für Menschen mit geistiger Behinderung an. Es gibt unseren Bundesverband Special Olympics Deutschland und in jedem Bundesland einen Landesverband. Unsere Mitgliedsstruktur ist ganz breit gefächert, es können Einrichtungen der Behindertenhilfe wie z.B. Lebenshilfen sein, aber auch Förderschulen, Vereine und Privatpersonen. Seit 2015 arbeiten wir auch eng mit der BVB-Stiftung "leuchte auf" zusammen und konnten gemeinsam schon viele Projekte für Sportlerinnen und Sportler und vor allem Kinder mit geistiger Behinderung umsetzen.
Die speziellen Bedürfnisse von Fans mit Lernschwierigkeiten
schwatzgelb.de: Was macht diese anders als andere?
Sebastian: Unsere Athletinnen
und Athleten haben alle eine geistige und/oder mehrfache Behinderung.
„Anders“ macht sie eigentlich gar nichts, aber sie haben eben
spezielle Bedürfnisse und es sind ganz besondere Menschen. Wenn du
bei uns auf einem Fußball-Turnier bist, dann siehst du ziemlich
schnell, worin der Unterschied besteht. Leistungstechnisch siehst du
keinen. Da sind bei uns alle Level vertreten, aber der größte
Unterschied ist, dass du die ganze Zeit pure Freude am Sport und vor
allem echte Emotionen erleben kannst. Da wird auch keine Verletzung
vorgetäuscht oder auf Zeit gespielt. Sie machen miteinander Sport
und freuen sich auch mal für die gegnerische Mannschaft, wenn sie
ein schönes Tor geschossen hat. Es ist ehrlicher Sport, bei dem das
Miteinander ganz klar im Vordergrund steht.
schwatzgelb.de: Kannst Du erläutern, von welchem Spektrum der Einschränkung wir sprechen und wie sich das äußert?
Sebastian: Das ist bei uns ganz
unterschiedlich, daher kann man es nicht verallgemeinern. Es kann von
einer Lernbehinderung bis hin zu einer mehrfachen Behinderung alles
sein. Bekannte Behinderungsformen sind z.B. das Down Syndrom oder
auch Autismus. Es äußert sich in der Form, dass man Dinge
verständlicherweise vielleicht auch einmal mehr erklären muss. Ganz
wenige unserer Athletinnen und Athleten sitzen im Rollstuhl. Wenn man
an Menschen mit Behinderung denkt, denken die meisten natürlich
zuerst an Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder eine körperliche
Behinderung haben. Alles was man sieht, ist natürlich auch
präsenter. Bei unseren Athletinnen und Athleten kann man die
Einschränkungen meistens nicht sehen. Das ist sicherlich auch ein
Grund, weshalb wir nicht so bekannt sind.
schwatzgelb.de: Du hast oben spezielle Bedürfnisse erwähnt. Welche können das sein?
Sebastian: Spezielle
Bedürfnisse können z.B. sein, dass Informationen in Leichter
Sprache oder mit sehr vielen Bildern leicht verständlich dargestellt
werden müssen. Der Betreuungsaufwand ist sicherlich auch wesentlich
höher. Ansonsten ist es aber eigentlich doch recht individuell.
schwatzgelb.de: Und welche Auswirkungen hat dies auf das Erleben von Fußball?
Sebastian: Das beginnt bereits
bei der täglichen Informationsbeschaffung. Die Website, die
BVB-Posts bei Social Media, alles dies ist in der Regel doch in
schwerer Sprache und so für viele Athletinnen und Athleten von uns
nicht verständlich. Am Spieltag selbst ist dies dann z.B. bei der
Wegeleitung ins Stadion oder der Beschilderung im Stadion auch ein
Faktor, oder auch an den Gastronomieständen. Es lässt sich aber
natürlich auch nicht verallgemeinern, weil dies auch nicht alle
Sportlerinnen und Sportler bei uns betrifft. Für Menschen mit
Autismus z.B. kann ein volles und lautes Stadion schon eine extreme
Belastung darstellen. Aber da ist jede Athletin und jeder Athlet so
individuell wie wir alle.
alles dies ist in der Regel doch in schwerer Sprache und so für viele Athletinnen und Athleten von uns nicht verständlich
schwatzgelb.de: Wie kann sich die Belastung bei Autisten äußern?
Sebastian: Das lässt sich
natürlich auch nur schwer verallgemeinern, weil jeder Mensch anders
reagiert und es sich bei Autismus um ein weites
Spektrum handelt – darum spricht man auch von einer
Autismus-Spektrum-Störung. Meistens sind Kommunikation und
Sozialverhalten beeinträchtigt. Autistische Kinder suchen oft wenig
Kontakt zu anderen Kindern und bevorzugen es, sich alleine zu
beschäftigen. Sie fühlen sich in ihrer gewohnten Umgebung am
wohlsten. Für viele Kinder ist es dann bei uns der erste
Stadionbesuch, was natürlich schon eine Extremsituation ist. Es sind
– hoffentlich bald wieder – viele Menschen auf engem Raum im
Stadion. Es ist laut. All dies können Situationen sein, in denen
sich Autisten nicht wohlfühlen. Sie fühlen sich gestresst von der
Situation und den Umständen. Dadurch, dass es dann der erste
Stadionbesuch ist, fehlen natürlich auch Erkenntnisse, wie jemand in
so einer Situation reagiert. Ich muss aber klar sagen, dass wir
eigentlich so gut wie immer beobachten, dass ein Stadionbesuch diesen
Kindern unheimlich guttut. Es ist ein besonderes Erlebnis, über das
sie noch lange Zeit danach erzählen.
schwatzgelb.de: Wie könnte Borussia hier tätig sein, um Autisten den Stadionbesuch leichter zu machen?
Sebastian: Da muss man klar sagen, dass der BVB uns im Stadion bereits super betreut und z.B. auch geschulte Volunteers für unsere Kinder einsetzt. Ausbaubedarf gäbe es, wie bereits angesprochen, beim Thema „Infos in Leichter Sprache“. Das gilt dann natürlich nicht nur für Autisten, sondern für alle Menschen mit einer geistigen Behinderung und da ist beim BVB sicherlich noch etwas Verbesserungspotential vorhanden. Es gibt zwar viele Projekte, wie z.B. das Projekt „Leicht Kicken“, das an einem Fußball-Wörterbuch in Leichter Sprache arbeitet, insgesamt ist da aber noch viel Luft nach oben.
schwatzgelb.de: Gibt es rund um den Verein noch andere Orte, an denne es für Autisten schwierig sein kann? Und was könnte man da tun?
Sebastian: Das fängt auf jeden Fall bereits mit der Anreise an. Wir empfehlen den Eltern der Kinder immer die Anreise mit dem Auto, da auch eine Fahrt in vollen Straßenbahnen bereits eine Extremsituation darstellt. Wenn man aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreist, dann sollte man nicht den direkten Weg vom Bahnhof ins Stadion nehmen. Lieber eine andere Haltestelle wählen, die dann nicht so stark frequentiert ist und noch etwas zum Stadion laufen. Dann ist die Bahn auch nicht so überfüllt.
schwatzgelb.de: Für die Gehörlosen gibt es im Stadion eine Gebärdendolmetschung und für die Sehbehinderten die Blindenreportage um Fußball besser erleben zu können. Wie hilft man Deinen Schützlingen, um Fußball besser erleben zu können?
Sebastian: Während des Spiels brauchen unsere Athletinnen und Athleten eigentlich keinerlei Hilfestellungen. Sie genießen das Spiel genauso wie wir alle. Nach und vor dem Spiel wäre es aber schon schön, wenn es mehr BVB-Berichte in Leichter Sprache für sie geben würde – vielleicht sogar eine eigene Website.
Wie Autisten der Stadionbesuch erleichtert werden kann
schwatzgelb.de: Noch kurz einmal zurück zu der Problematik bei Stadionbesuchen von Autisten: Wäre ein Snoezel-Raum auch beim BVB wünschenswert?
Sebastian: So genannte Snoezel-Räume sind Orte mit einer gemütlichen, ruhigen und reizarmen Atmosphäre, die für Entspannung und Wohlbefinden sorgen sollen. Diese Räume sind häufig in Schulen, Kindergärten, Freizeiteinrichtungen etc. zu finden und stellen besonders für Kinder mit geistiger Behinderung oft einen wichtigen Ort zur Gefühlsregulation und Entspannung dar. Wie schon gesagt, ist so ein Stadionbesuch mit unbekannten, nicht planbaren Situationen, vielen Eindrücken und Reizen verbunden, die zu extremem Stress führen können. Ein Rückzugsort zum Durchschnaufen, Entspannen und Herunterkommen wie ein Snoezel-Raum könnte einigen Stadionbesucher*innen bestimmt helfen, den Besuch nicht abbrechen zu müssen und das Spiel nach einer Verschnaufpause wieder genießen zu können.
In einigen Stadien wie z.B. bei Arminia Bielefeld gibt es solche Räume auch bereits. Natürlich ist so ein Raum kein Allheilmittel – ob und in welcher Form er hilfreich sein kann, ist individuell personen- und situationsabhängig. Aber ich bin mir sicher, dass einige Familien sich sehr über einen Snoezel-Raum im Westfalenstadion freuen würden.
Ein Snoezel-Raum könnte einigen Stadionbesucher*innen bestimmt helfen, den Besuch nicht abbrechen zu müssen
schwatzgelb.de: Wo findet man
Euch im Stadion?
Sebastian: Unter normalen Umständen und hoffentlich sehr bald wieder, findest du zwei Kinder mit geistiger Behinderung von uns an der Hand der beiden Mannschaftskapitäne, wenn sie in das Westfalenstadion einlaufen. Seit 2015 laden wir in Kooperation mit der BVB-Stiftung "leuchte auf" zu jedem Bundesliga-Heimspiel zwei Kinder mit einer Behinderung ein. Die Kinder besuchen meistens eine Förderschule in der Region und sind natürlich auch BVB-Fans. Es ist für sie ein ganz besonderes Erlebnis, an der Hand der Kapitäne die Mannschaften mit aufs Feld begleiten zu können. Im Jahr 2019 durften wir auch beim ersten Inklusionsspieltag des BVB mitmachen. Erstmals sind an diesem Spieltag, es war im Dezember beim Spiel gegen den SC Freiburg, auch Kinder im Rollstuhl mit dabei gewesen. Außerdem hat unsere Athletensprecherin gemeinsam mit unserem Präsidenten ein Interview bei FanOmenal gegeben und weitere Athletinnen und Athleten waren in organisatorische Abläufe als Volunteers am Spieltag mit eingebunden.
schwatzgelb.de: Fühlen sich die Kinder als Teil der Fans im Stadion oder eher "außen vor", weil sie nicht so dicht bei den gleichaltrigen Fans auf der Südtribüne sein können?
Sebastian: Die Einlaufkinder genießen dann das Spiel gemeinsam mit ihren Eltern, allerdings nicht auf der Südtribüne. Wir haben aber auch Athleten von der AWO Dortmund, die bei jedem Spiel auch auf der Südtribüne stehen. Ich selbst stehe auch auf der Südtribüne und freue mich jedes Mal, wenn ich bekannte Gesichter entdecke.
schwatzgelb.de: Gibt es besondere Bedürfnisse der Kinder, auf die im Stadion besonders eingegangen werden muss? Passiert dies aktuell?
Sebastian: Der BVB betreut die Einlaufkinder über Volunteers und bringt sich nach dem Einlaufen zu ihren Eltern. Das klappt hervorragend und die Kids sind die ganze Zeit super betreut.
schwatzgelb.de: Wie viele Plätze
gibt es für Euch im Westfalenstadion?
Sebastian: Es gibt keine extra
Plätze, außer die Plätze für die Einlaufkinder und ihre
Begleitperson.
schwatzgelb.de: Fühlt Ihr Euch als Teil der BVB-Fangemeinde?
Sebastian: Ja, auf jeden Fall. Aber da müsstest du eher die BVB-Fans unter unseren Athletinnen und Athleten fragen. Ich bin mir aber sicher, dass niemand etwas anderes antworten würde.
schwatzgelb.de: Was können Fans tun, um Euch besser zu inkludieren?
Sebastian: Indem sie unsere Athletinnen und Athleten behandeln, wie jeden anderen Menschen im Stadion auch. Und das klappt schon ganz hervorragend.
schwatzgelb.de: Fahren auch
einige von Deinen Leuten auswärts mit?
Sebastian: Das weiß ich
ehrlich gesagt nicht. Wenn organisieren wir das natürlich nicht,
sondern jeder BVB-Fan für sich individuell.
Schön ist es aber doch erst, wenn es regelmäßig und normal ist.
schwatzgelb.de: Was wünscht Ihr Euch in Zukunft vom BVB?
Sebastian: Wir
würden uns wünschen, dass die erfolgreiche Kooperation noch lange
bestehen bleibt. Neben dem Einlaufkinder-Projekt veranstalten wir im
Rahmen der Europäischen Fußballwoche von Special Olympics auch
Trainingseinheiten für Kinder und Jugendliche mit geistiger
Behinderung. Von der BVB-Stiftung werden wir jedes Jahr zu einem
Training in die Fußballakademie eingeladen und danach findet noch
eine Stadionführung statt. Dieser Tag ist für alle Teilnehmenden
ein absolutes Highlight und bleibt ganz lange im Gedächtnis. Wir
arbeiten als NRW-Landesverband mit vielen Bundesligavereinen zusammen
und richten solche Trainingseinheiten bei allen Proficlubs aus. Das
Einlaufkinder-Projekt beim BVB ist aber einzigartig.
Wir sind sehr froh und stolz darüber, dass der BVB so viel auf diesem Gebiet unternimmt und uns als Partner unterstützt. Was uns ganz besonders fasziniert: Der BVB hängt das Projekt nicht an die große Glocke. Andere Vereinen setzen solche Aktionen nur an Aktionsspieltagen um. Diese sind zwar immens wichtig, um auf Themen wie Inklusion aufmerksam zu machen. Schön ist es aber doch erst, wenn es regelmäßig und normal ist und niemand groß darüber spricht. Und genauso ist es beim BVB. Wir wünschen uns natürlich aber schnellstmöglich, dass nicht nur Zuschauer wieder ins Stadion dürfen sondern auch Einlaufkinder.