Eua Senf

​An die Mannschaft

30.11.2017, 09:00 Uhr von:  Gastautor
​An die Mannschaft

Am Morgen, Sekunden nach dem Aufwachen habe ich immer das realistischste Gefühl und da war mir irgendwie klar, es wird etwas passieren. Wie dieses mulmige Gefühl auf dem Sprungbrett. - unsere Gastautorin Nina schreibt nach dem Derby einen offenen Brief an die Mannschaft

Ich werde jetzt etwas aufschreiben, was ich niemals laut aussprechen würde, wofür ich andere zur Sau mache und was ich abstreiten werde, falls mich jemand darauf ansprechen sollte: Vor dem Spiel habe ich befürchtet, das Derby endet 1:2 – weil wir von 20 Torschüssen nur einen rein machen und die Blauen zwei Mal vor unser Tor kommen und beide ganz blöde drin sind. Entgegen dieser dunklen Ahnung habe ich jedem gesagt, dass ich von einem Derbysieg überzeugt bin. Wenn ich nicht an meine Jungs glaube, wer denn bitte dann?!

Am Morgen, Sekunden nach dem Aufwachen, habe ich immer das realistischste Gefühl und da war mir irgendwie klar, es wird etwas passieren. Wie dieses mulmige Gefühl auf dem Sprungbrett.

...und dann kamen die Choreo, die Energie und diese ersten 45 Minuten! Es war unglaublich, großartig, unfassbar, grandios. Wir sind alle ausgeflippt, durchgedreht. Das hatten wir nicht erwartet. Das war nach den letzten Wochen ein Wunder. Aber irgendwie auch verdient. Wir wussten schließlich immer, dass unsere Jungs besser sind als es die Ergebnisse zeigten! Endlich hattet Ihr Euren Fluch gebrochen.

Beim 3:0 habe ich zu meinem Nachbarn gesagt: „Ich hoffe, dass nicht gleich mein Wecker klingelt.“ Es war unwirklich, ein Märchen, ein Traum. Pure Hoffnung und eine strahlende Zukunft.

In der Pause herrschte immer noch fassungslose Erleichterung. In meinem jugendlichen Leichtsinn meinte ich: „Ich will nicht dass dieses Spiel noch 4:4 ausgeht.“ Zur Halbzeit 0:4, beim Schlusspfiff 0:9 – das wär's. So voll auf Adrenalin ist der Größenwahn nur schwer zu zähmen.

Die zweite Hälfte war wie Eisduschen. Eine nach der nächsten. Und irgendwann kam das Bangen und die Panik.

Die Eskalation auf dem Platz nach der Provokation war bestimmt nicht clever, zeigte jedoch, dass es uns allen gleich ging. Nur dass wir beinahe zur Untätigkeit auf der Tribüne verdammt sind. Wir können nur laut sein. Oder leise. Wir hätten so gerne mit 25.000 unser Tor verriegelt...
Für diesen verdammten Derbysieg, aber auch damit Ihr endlich wieder belohnt werdet!

Es hat mir so unfassbar wehgetan, Euch vor der Tribüne stehen zu sehen, mit versteinerten Gesichtern, den Pfiffen ausgeliefert.
Ihr hattet sie schon "verdient", weil Ihr ein grandioses, fantastisches, traumhaftes 4:0 aus der Hand gegeben habt. Gerade noch habt Ihr uns doch gezeigt, was Ihr wirklich könnt...
Vielleicht seid Ihr aber auch schneller gelaufen als Ihr eigentlich konntet? Vielleicht habt Ihr Kraft für 90 Minuten in 45 aufgebraucht?
Ich hätte selbst in der Halbzeit nach Hause gehen und bis zum nächsten Mittag durchschlafen können.


Damit war ich auch hörbar nicht allein: Das ganze Stadion war wesentlich leiser als zuvor.

Anscheinend müssen wir alle, Spieler und Fans, lernen, nicht zu viel auf einmal zu wollen. Unsere Kräfte besser einzuteilen, damit sie für 90 Minuten reichen.
Falls wir auf den Tribünen die zweite Halbzeit genauso durchgezogen hätten, wie die erste – möglicherweise wäre es auch Euch gelungen... Falls das 5:0 rein geht, bekommen wir alle den Schub, den wir brauchen! Das wäre der Todesstoß für die Blauen gewesen. Aber daran darf es nicht hängen, nicht bei einer 4:0 Führung. Auch nicht bei einem albernen Ehrentreffer zum 4:1 oder Ergebniskosmetik zum 4:2.

Leider sind auch wir nicht frei von Unsicherheit. Wir dürfen uns zumindest ankreiden, dass wir uns ebenso haben aus dem Konzept bringen lassen wie Ihr. Wenigstens "einer von uns" hätte sich am Riemen reißen müssen!

Für einige von Euch mag es ein weiterer Arbeitstag mit bescheidenem Ergebnis gewesen sein, aber die anderen fühlen sich nicht anders als wir. Denen möchte ich sagen: Nehmt uns die Pfiffe nicht übel. Wir lieben Euch immer. Manchmal leider so. (Wir hätten auch stumm sein und/oder gehen können.)

Die Strecke zwischen Rausch und Ernüchterung war für uns alle einfach zu viel für nur 99 Minuten.

In der Rückrunde machen wir es besser und am nächsten Spieltag den nächsten Schritt.

YNWA

geschrieben von Nina

ACHTUNG: Beiträge von Gastautoren müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln, wir sind jedoch der Auffassung, dass auch solche Stimmen hier ein Forum finden sollten.

In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Lesern zugesandt wurden.

Dir brennt auch ein Thema unter den Nägeln und Du möchtest einen Text auf schwatzgelb.de veröffentlichen? Dann schick ihn an gastautor@schwatzgelb.de.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel