Spielbericht Profis

Enttäuschendes Ende einer grandiosen Saison - Borussia verliert den Pokal im Elfmeterschießen

24.05.2016, 16:52 Uhr von:  Redaktion

Sieben Endspiele in neun Jahren sind eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Mit beeindruckender Beständigkeit erarbeitet sich Borussia Dortmund Titelchance um Titelchance und hat sich in Europa zu Recht den Ruf einer der unangenehmsten Mannschaften erarbeitet, gegen die man spielen kann. Spätestens bei der Champions League Auslosung werden die Stars in Barcelona und Madrid wieder dankbar sein, wenn sie nicht mit Borussia Dortmund in einer Gruppe landen und sich das Leben ein ganzes Stück leichter machen können.

Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass nur zwei dieser sieben Endspiele gewonnen werden konnten. Fehlten 2008 das spielerische Können und Glück, waren die Borussen 2013 nach 60 Minuten stehend k.o. 2014 wollte der Schiedsrichter ein reguläres Tor partout nicht anerkennen und lieferte den endgültigen Anstoß zur Einführung der Torlinientechnik, 2015 und 2016 ging es vor allem um die Frage, warum der Gegner die 90 Minuten ohne Platzverweise überstehen konnte. Immer waren es nachvollziehbare Gründe, die den großen Triumph verhinderten, und doch waren es auch immer die eigenen Defizite, die zur Niederlage führten.

Das Drumherum

An der Gedächtniskirche wurde laute Vollanimation gebotenDer BVB und seine Sponsoren hatten trotz der heftigen Kritik 2015 auch in diesem Jahr keine Kosten und Mühen gescheut, Berlin in eine Art Ballermann für Fußballtouristen zu verwandeln. WILO-Bootstouren mit Fähnchenwedeln und „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“-Gesängen auf der Spree, Doppeldeckerstadtrundfahrten im MAN-Bus, Autogrammstunden bei Karstadt und PUMA, Kinderschminken, Fotostationen, pausenlose Musikbeschallung am traditionellen Treffpunkt an der Gedächtniskirche – nichts wurde ausgelassen. Zahlreiche Fans hatten es kommen sehen, ihre Planungen bereits im Vorfeld angepasst und (wie schon 2015) den Platz weiträumig gemieden: Die Ankunft eines Sonderzuges war erst kurz vor 15 Uhr geplant, um direkt zum Stadion durchstarten zu können. Nur wenige Meter weiter liefen in Kneipen am Kudamm, die vor wenigen Jahren noch fest in schwarzgelber Hand waren, Lieder des FC Bayern vor komplett rotem Publikum in Dauerschleife. Die urige, chaotische und sympathische Atmosphäre, die 2008 und 2012 geherrscht hatte, war von lautem Trara und Dampfhammer-Kirmesflair herzlos vertrieben worden.

Bereits frühzeitig ging es deshalb in Richtung Stadion, wo bereits um 15 Uhr ein Großaufgebot der Polizei wartete. Mehrere tausend BVB-Fans verteilten sich zwischen S-Bahn und Stadion, weil andere Optionen durch Polizeiketten von vornherein unterbunden und die Bewegungsfreiheit auf einen überschaubar großen Bereich beschränkt worden waren. Obwohl letzten Endes keine dramatischen Zustände herrschten und auch keine Versorgungsengpässe auftraten, störte es, dass die alte und liebgewonnene Finalatmosphäre um einen weiteren Bereich beschnitten wurde.

Atmosphäre im Stadion

Papptafel-Choreo des FC BayernWie immer war das Stadion mit 74.300 Zuschauern ausverkauft. Neu war jedoch, dass der Anhang des FC Bayern zahlenmäßig leicht größer zu sein schien und in der ersten Halbzeit lauter wirkte, bis der schwarzgelbe Bereich am Marathontor gegen Mitte der zweiten Halbzeit auftaute. Wie immer gab es auf Seite der Bayern eine Choreo zu sehen, die angesichts der Sicherheitsvorgaben im Stadion bestenfalls unspektakulär ausfiel, während beim BVB vor allem der untere Teil des Blocks den Ton angab, in dem sich die Ultraszene versammelt hatte. Neben großen Schwenkern und Gesang gab es zu Beginn der zweiten Halbzeit auch eine Pyroshow zu sehen – streckenweise war das ganze Spielfeld in Rauch gehüllt und konnte nicht einmal die ARD, die Pyrotechnik mittlerweile ja am liebsten gar nicht mehr zeigen möchte, ausweichen.

Das Spiel

Beide Mannschaften plagten kaum Verletzungssorgen, so dass beide Trainer weitgehend aus dem Vollen schöpfen konnten. Beim FC Bayern rückten Douglas Costa, Joshua Kimmich und Thomas Müller für Kingsley Coman, Mehdi Benatia und Mario Götze ins Team, während beim BVB Henrikh Mkhitaryan und Lukasz Piszczek für Shinji Kagawa und Adrian Ramos in die Startelf rotierten.

Das Marathontor war wieder einmal die Heimat der SchwarzgelbenFreundlich formuliert entwickelte sich schnell ein „Spiel für Taktikfreunde“, das vor allem Thomas Tuchel entscheidend prägte. Mal mit Dreierkette, mal mit Fünferkette und immer mit möglichst kleinen Räumen, wollte Tuchel die Offensivmacht der Bayern bändigen – was ihm über 120 Minuten zugegebenermaßen auch sehr gut gelang. Gerade einmal drei Torschüsse musste Roman Bürki in den vollen zwei Stunden Spieldauer abwehren, obwohl die Spieler des FC Bayern durchgehend hoch standen und sich über weite Strecken des Spiels mit sieben Spielern in der Dortmunder Hälfte aufhielten. In die Gegenrichtung wurde Manuel Neuer zu einer einzigen Abwehraktion gezwungen, weil die seltenen Abschlüsse des BVB meist viel zu schlampig ausgespielt wurden und am Tor vorbeisegelten. Während mit Pierre-Emerick Aubameyang, Marco Reus und Mkhitaryan ursprünglich drei Spieler Druck auf den Münchener Strafraum ausüben sollten, fielen Reus und Mkhitaryan frühzeitig auf die Höhe der Mittellinie zurück und ließen Aubameyang vorne weitgehend verhungern.

Die Defensive musste Schwerstarbeit leisten und bekam kaum Verschnaufpausen – Marcel Schmelzer musste nach 70 Minuten verletzt ausgewechselt werden, auch Mats Hummels warf nach 78 Minuten das Handtuch. Sven Bender und Sokratis bissen weiter auf die Zähne, schleppten sich durch die Verlängerung bis ins Elfmeterschießen und konnten kaum noch stehen, als sie zu ihren entscheidenden Fehlschüssen antraten. Demgegenüber fehlten dem BVB über weite Strecken die kreativen Elemente und Ideengeber. Hummels lange, messerscharfe Pässe zur Spieleröffnung fanden so gut wie gar nicht statt, auch Reus und Mkhitaryan blieben bis auf wenige Szenen blass. Die erste Dortmunder Torchance durch Bender kurz vor der Halbzeitpause war symptomatisch für ein Spiel, in dem der BVB einfach viel zu wenig tat, um das Spiel zu gewinnen.

Beim BVB-Anhang überzeugte vor allem der Ultrabereich durch lautstarke UnterstützungErst in der Verlängerung zeigte der BVB endlich Biss, doch blieben die Bayern aufmerksam und setzten ihrerseits gefährliche Konter. Am Ende ihrer Kräfte schleppten sich dann beide Mannschaften ins Elfmeterschießen, wo das eigentliche Drama begann: Wo sich sonst Spieler um die Ehre streiten einen Elfmeter schießen zu dürfen, hatte Tuchel ernsthafte Probleme fünf Schützen zu finden. Statt sich nach einer müden Partie die gesamte Offensivriege und frisch eingewechselten Spieler zur Brust zu nehmen und an ihren Teil der Verantwortung zu erinnern, ließ er mit Bender und Sokratis die zuvor besten (und vollkommen erschöpften) Spieler des BVB zwei frühe Elfmeter schießen – mit negativem Ausgang.

Während die Bayern wie gewohnt „ausgelassen“ feierten, traten die enttäuschten Borussen die Heimreise an. Verteilt auf Busse, Sonderzüge und Autos ging zurück nach Hause – schwere Unwetter und schier endlose Staus rundeten den Abend in perfekter Weise ab.

Randnotizen

Nach dem Spiel nahm Tuchel die Schuld für das verkorkste Elfmeterschießen auf seine Kappe - das war eine große Geste. Auch hätte er sich mehr Mut von seinen Spielern, insbesondere von Kapitän Hummels gewünscht – der war mit 45 Prozent gewonnenen Zweikämpfen und gerade einmal 47 Ballkontakten deutlich hinter seinen Möglichkeiten geblieben. Mit fünf Niederlagen aus acht Teilnahmen hatten nun keine Mannschaft öfter ein DFB-Pokalfinale verloren, als der BVB – auch drei Niederlagen in Folge stellten einen Negativrekord dar, auf den man gerne hätte verzichten können. Tuchel hat in dieser Saison eine großartige Leistung vollbracht – er trat in die riesigen Fußstapfen von Jürgen Klopp, verpasste der Mannschaft in Windeseile einen neuen taktischen Anzug und überzeugte selbst größte Kritiker. Allerdings wird auch Tuchel noch einiges dazu lernen und die Mannschaft weiter entwickeln müssen.

Statistik

FC Bayern: Neuer - Lahm, Kimmich, Boateng, Alaba - Vidal - Thiago - Müller - Douglas Costa, Ribery - Lewandowski
Wechsel: Coman für Ribery (108.)

BVB09: Bürki - Bender, Sokratis, Hummels - Piszczek, Schmelzer - Weigl - Mkhitaryan, Castro - Reus - Aubameyang
Wechsel: Durm für Schmelzer (70.), Ginter für Hummels (78.), Kagawa für Castro (106.)

Elfmeterschießen (0:0, 0:0, 0:0, 4:3 n.E.):

  • 0:1 Kagawa - 1:1 Vidal
  • 1:1 Bender (gehalten) - 2:1 Lewandowski
  • 2:1 Sokratis (Pfosten) - 2:1 Kimmich (gehalten)
  • 2:2 Aubameyang - 3:2 Müller
  • 3:3 Reus - 4:3 Douglas Costa

Gelbe Karten: Ribery, Kimmich, Vidal, Müller – Castro, Hummels, Sokratis

SSC, 24.05.2016

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