Eua Senf

Stimmung im Westfalenstadion

02.10.2015, 00:00 Uhr von:  Gastautor
Stimmung im Westfalenstadion

Für jedes Kind, das die Borussia liebt, ist es ein Traum. Einmal auf der Südtribüne, dem Herzen des Westfalenstadions, zu stehen. Auch ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch im Westfalenstadion, mit Papa auf der Süd. Ob das heute noch das gleiche wäre?

Wie die Stimmung kippt und Platz für den Kommerz macht

Für jedes Kind, das die Borussia liebt, ist es ein Traum. Einmal auf der Südtribüne, dem Herzen des Westfalenstadions, zu stehen. Auch ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch im Westfalenstadion, mit Papa auf der Süd. Ich muss wohl kaum beschreiben, wie das war, denn so ziemlich jeder von uns hatte sein erstes Mal auf der Süd. Es war gigantisch. Als ich Jahre später wieder die Möglichkeiten hatte, das schönste Stadion der Welt zu besuchen, merkte ich, dass sich einiges verändert hat.

Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht mehr sechs Jahre alt und 1,20 m groß bin und die Welt nun mit anderen Augen wahrnehme. Vielleicht liegt es daran, dass ich im Block 81 stehe, wo die Herren immer grauer werden und nur – wenn auch bei Wind und Wetter – zum Quatschen und „Wir sind hier nicht beim Ballett!!!!“ rufen ins Stadion gehen. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass die Leute, die um mich herumstehen, absolut erfolgsverwöhnt sind, da sie eine Doppelmeisterschaft miterleben durften und zu der einen auch noch den DFB-Pokal bekamen.

Ist mir egal, was es ist. Es gefällt mir nicht.

Die Gelbe Wand im momentanen Dornrösschenschlaf

An die verwirrten Blicke von den anderen und daran, meine eigene Stimme zu hören, habe ich mich längst gewöhnt. Ich ziehe mein Ding durch, singe bei jedem Spiel eifrig mit und habe eigentlich immer zwei, drei Mitsinger. Dann halt nicht, denke ich. Ist mir egal. Ist eben ihr Ding, wenn sie mit verschränkten Armen da stehen wollen. So viele Sitzplätze kann es eben gar nicht geben, wie eigentlich im Stadion sind.

Als ich bei einem anderen Spiel in Block 12 rutsche, denke ich, was ist denn jetzt passiert? Block 13 direkt nebenan fühlt sich an wie kilometerweit entfernt. Kaum einer kriegt den Mund auf, wenn doch, dann nur zum Meckern. An Klatschen ist sowieso nicht zu denken. Dabei könnten ja die Hände kalt werden. Aber kann ihnen ja keiner verdenken, immerhin haben sie eh wichtigeres zu tun, denn sie müssen gerade über Whatsapp verkünden, dass sie auf der Südtribüne stehen und bei Facebook angeben, dass sie im Signal-Iduna-Park waren.

Selbst im Block 13 konnte sich nicht jeder erweichen, anzufeuern und die Mannschaft weiter nach vorne zu singen. Erst, wenn es 4:0 steht und der Sieg wirklich sicher in der Tasche steckt, scheinen sie aufgetaut und springen ein paar Mal mit rum, damit alle anderen Handyvideos von der „Gelben Wand“ machen können, um dem Internet zu zeigen, wie magisch diese ist. Je weiter weg von den Ultras, desto weniger geben sich Mühe, so scheint es mir.

Von den Sitzplätzen fange ich gar nicht erst an (wobei man natürlich auch hier beachten muss, dass Ausnahmen die Regeln bestätigen und eben nicht jeder das „Glück“ hat, an Stehplatzkarten zu kommen). Aber irgendwann gewöhne ich mich auch daran. Finde ich auch scheiße, aber ist halt eben so. Mehr, als ihnen ins Ohr schreien, damit sie bloß nicht behaupten können, sie würden das Lied nicht kennen, kann ich wohl nicht.

Als ich dann aber kurz vor dem Beginn der neuen Saison (2013/14) der Profis zum Drittligaspiel der Amateure in die Rote Erde gehe, bin ich völlig baff. In der dritten Liga stehen sie da, mit eigenen Fahnen, Schals und Logo, Amateure Allez, schreien sich die Seele aus dem Leib, singen eigene Lieder, kommen mit Trommeln, Stickern und Choreos und sind so laut, dass man sie schon an den Rosenterrassen hört. Als ich mich zu ihnen stelle, bin ich gleich einer von ihnen. Ich sehe zwar kaum was vom Spiel, aber das ist mir in diesem Moment egal, das Drumherum ist mir viel wichtiger.

Block H in der vergangenen Saison

Block H springt, singt und feuert an, bis die Köpfe rot werden und Schweißperlen rinnen. Bei „alle einhaken“ haken sich alle ein, egal, wer neben ihnen steht, ob man sich kennt oder eben nicht, bei „alle die Arme nach oben“ machen sie alle die Arme nach oben und sie klatschen, bis die Finger rot sind und würden wahrscheinlich auch noch weiter klatschen, bis sie bluten.

Genauso wie mein erstes Amasspiel habe ich mein erstes Spiel auf der Südtribüne etwa zehn Jahre zuvor in Erinnerung. Und ich muss mir ganz ehrlich eingestehen: Das gefällt mir besser. Wenn keine Überschneidung ist, ist es in der Roten Erde tausend Mal schöner als bei einem BuLi-Spiel auf der Süd.

Denn es ist ehrlicher. Nicht umsonst heißt es „Für unser Team mit Herz und gegen scheiß Kommerz“ oder „hier spielt man den Fußball noch mit Herz und Verstand“.

Ich persönlich empfinde die Amateure – aufs Drumherum bezogen – als eine Art Dorffußball. Mit einer Menge Leidenschaft und Emotionen. Man trifft die bekannten Gesichter, man gibt bedingungslos alles und nach dem Spiel kommen die Spieler zum Abklatschen und auf ein kurzes Gespräch zu einem. Eben noch Fußball zum Anfassen.

„Das ist nicht mehr das, wohin Papa mich mit hingenommen hat.“

Von immer mehr Ecken höre ich, dass sie darauf keine Lust mehr haben. Immer mehr Leute appellieren an den BVB, dass es so nicht weiter gehen kann (bsp. „Mein lieber BVB, wir müssen reden“), aber Artikel, Rufe und Spruchbanner scheinen nicht erhört zu werden. Oder werden gekonnt ignoriert.


Als mir ein Freund erzählte, dass er wirklich gerne nur noch zu Auswärtsfahrten oder eben zu den Amas geht, denke ich an einen Mann, den ich beim letzten Pokalspiel in München getroffen habe. Obwohl ich fest davon überzeugt war, dass alle Bayernfans absolut erfolgsverwöhnte Idioten sind, bei denen Stimmung ein Fremdwort ist, ließ ich mich auf ein Gespräch mit ihm ein und er erklärte mir, dass er schon lange nicht mehr zu Bundesliga-Heimspielen gehen würde. „Nur noch Pokale und Auswärtsspiele“, erklärte er mir und er tat mir leid, weil es schrecklich sein muss, im eigenen Stadion nicht zu Hause zu sein und dann auch noch, als Bayern-Fan, dafür zu stehen, dass man eh kein richtiger Fan sei und nicht wisse, was wahre Liebe und Treue ist. Da sind wir auch bald. Nur mit dem Unterschied, dass wir im Moment wohl noch als die besten Fans der Liga bekannt sind.

Natürlich sehe ich mir gerne spannende Fußballspiele an, natürlich gucke ich gerne International, natürlich liebe ich es, im Westfalenstadion zu sein, aber bevor es dort so aussieht wie in der Arroganz-Arena, mache ich es lieber den Ultras von ’96 nach und gehe ausschließlich zu den Amas, um ein Zeichen zu setzen und um wieder das mitzuerleben, was den Fußball, den wir so lieben ausmacht - Leidenschaft, Stimmung, Aufrichtigkeit und Emotion.

geschrieben von Elli

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