Hallo, ich bin der Jürgen
Ich hatte das Glück, Jürgen Klopp zwei Mal in kleiner Runde, abseits der Autogrammstunden, Stammtische und Weihnachtsfeiern zu treffen. Einmal direkt zu Beginn seiner BVB-Zeit und dieses Jahr in der Woche vor dem Derby. Oder eben zum Ende, wie man jetzt leider sagen könnte. Doch dazu später mehr.
Als Klopp 2008 zu uns wechselte, war ich skeptisch. Zum einen hatte ich ganz starke Zweifel, ob der Schritt von Mainz nach Dortmund nicht eine ganze Nummer zu groß war. Schließlich würde bei uns, trotz der einschneidenden Vorjahre, niemand bei Platz 8 die Humba anstimmen. Zum anderen, und dieser Punkt spricht nicht gerade für mich, misstraue ich Menschen, die von allen gemocht werden. Aus der Ferne hielt ich Klopp für einen Blender mit Zahnpastalächeln. Dementsprechend gespannt war ich auf seinen Antrittsbesuch vor Vertretern von Fanclubs und Fanzines. Und gleich mit dem ersten Satz hatte er mich. Es war keine große Fußballphilosophie, kein Zeichen taktischer Genialität. Der erste Satz lautete: "Hallo, ich bin der Jürgen." Unprätentiös, locker und ehrlich. Das war nicht das "It-Girl" des deutschen Fußballs oder der gewiefte Selbstdarsteller, den ich befürchtet hatte. Das war ein Mensch, der sich mit anderen duzt, weil man das unter Fußballern so macht. Worum es sonst noch ging, weiß ich gar nicht mehr. Sehr wahrscheinlich fielen die Worte "Vollgasfußball" und "alles raushauen" - die Begrüßung ist mir aber in Erinnerung geblieben.
Bei dem zweiten Treffen kurz vor dem Derby, ebenfalls mit Vertretern von Fanclubs und -zines, ging es um eine zunehmende Distanz zwischen der Mannschaft und den Fans. Und natürlich nicht zuletzt auch um die miserable Saison. Jürgen hätte so richtig loslegen und seine Hände in Unschuld waschen können. Er hätte von Spielern, die seine Anweisungen nicht befolgen, erzählen können. Davon, dass sich manche mehr im Glanz errungener Meriten sonnen, oder sich eher für Angebote, die bei ihren Beratern reinflattern, interessieren als für ihre sportliche Arbeit. Von Egoshootern und Selbstdarstellern, die ihr Wohl über das der Mannschaft stellen - und wir hätten es geglaubt. Es waren ja schließlich unsere eigenen Gedanken und Befürchtungen.
Er hat nichts von dem gemacht und ist keinen Zentimeter von der Darstellung der "guten Jungs" abgewichen. Er hat darauf verzichtet, den schwarzen Peter der Mannschaft hin zu schieben und hat sich stattdessen weiterhin voll vor die Mannschaft gestellt.
Ich habe in diesen Gesprächen zwei Wesenszüge erkannt: Offenheit und absolute Loyalität. Und das in einer Welt, in der die Superstars, und als solchen kann man auch den Trainer Jürgen Klopp sehen, nicht nur wie Halbgötter verehrt werden, sondern sich auch wie solche verhalten. Abgeschottet und zurückgezogen, umgeben von einer Aura des Entrückten. Und in einer Welt, in der Loyalität etwas ist, das man mit einem Preisschild versehen kann. Neben Titeln und Gänsehautmomenten hat Klopp mir eigentlich eins gegeben: den Glauben, dass man auch im Profifußball Werte für sich erhalten kann. Wo immer Jürgen Klopp nächste Saison trainieren mag, auf eins können sich die Leute dort freuen: auf einen sympathischen Menschen. Und das ist unendlich viel mehr, als es auf den ersten Blick klingen mag.
Sicherlich wird Klopp sich nicht an mich erinnern. Ein Gesicht unter vielen, vielen tausend, die allein in seiner Zeit hier in Dortmund an ihm vorbei gerauscht sind. Aber wenn wir in zwanzig oder dreißig Jahren über die grandiosen Zeiten unter dem Trainer Klopp reden, werde ich es vermutlich immer noch im Ohr haben. Das "Hallo, ich bin der Jürgen."
Danke für ein wilde Reise und Momente, die nur die wenigsten Fans erleben dürfen.
Sascha, 16.04.2015