Ein Fußball für alle?
„Manche sagen, Fußball braucht gigantische Stadien, perfekten Rasen, high-tech Ausrüstung, Logen für die oberen Zehntausend. Aber das ist nicht unser Fußball. Wir glauben, beim Fußball geht es um uns Alle, die, die das Spiel feiern. Wir jubeln zusammen, hoffen zusammen und jeder, der mitmacht, macht uns besser. Denn WM, das sind wir alle!“- Coca-Cola WM-Werbesport 2014 -
Die WM 2014 wirft ihre Schatten voraus, zwar nicht so große wie die 2022 und auch wahrlich bisher keine sportlichen, aber sie steht vor der Tür. Noch stehen andere Dinge in Deutschland im Mittelpunkt…die Über-Bayern zum Beispiel, die anscheinend doch schlagbar sind, oder der HSV, der allem Anschein nach echt das erste Mal den Gang in die zweite Liga antreten muss. Aber bald, spätestens nach dem Champions League Finale, werden alle Augen gen Brasilien gerichtet. Die wichtigste Frage zurzeit scheint die zu sein, ob das Quartier der Deutschen rechtzeitig fertig wird und somit alle 5 Sterne der Anlage auch gerechtfertigt sind.
Aber was wurde nicht alles über das Austragungsland geredet. Brasilien, Land des Fußballs, Karneval, Copacabana…aber genau in eben jenem Stadtteil gab es nun weitere Proteste, begleitet von mindestens einem Todesopfer. Die Regierung Brasiliens versucht händeringend, Ruhe in ihr Land zu bekommen, um sich als friedlich-fröhliches Gastgeberland zu präsentieren, das seinen Vorgängern Südafrika und Deutschland in Nichts nachsteht. Aber so wird es nicht kommen. Gewerkschaften, Opposition und große Teile der Bevölkerung haben für die Zeit während der WM weitere Proteste angekündigt. Sie protestierten gegen den Umbau des Maracana, das nach seinem Umbau so gut wie nichts mehr mit dem legendären, über 100.000 Zuschauer fassenden Nationalstadion zu tun hat - Ich gebe zu, ich war noch nicht in Brasilien und konnte dementsprechend keine Erfahrungen über das alte Maracana und dessen Wirkung sammeln – allerdings wurde mir und vielen anderen Fußballbegeisterten auch die Möglichkeit genommen, dies irgendwann nachholen zu können. Sie protestieren gegen die hohen Investitionen in Infrastruktur, Hotels und Stadien, die in anderen Bereichen wie Bildung und Gesundheit dem brasilianischen Volk deutlich nützlicher wären. Und sie protestieren gegen die (zum Teil schon umgesetzten) Pläne der Regierung, durch Einsätze von Polizei und Militär die Favelas „ruhig zu stellen“, was soviel bedeutet, dass einzelne Favelas von der Polizei und Militär besetzt werden und Einwohner ihr Zuhause verlassen müssen und umgesiedelt werden.
Hier in Deutschland wird über diese Missstände berichtet, noch. Wie vor der WM in Südafrika, als auch vor den Olympischen Spielen in Sotchi haben nahezu alle Medien die negativen Begleiterscheinungen der Vorbereitungen auf diese Turniere auf ihrer Agenda. Menschen aus den genannten Ländern kamen und kommen zu Wort, konnten und können Ihre Beweggründe der Öffentlichkeit mitteilen. Vor Sotchi wurden Menschenrechtsverletzungen und der Umgang Putins mit Kritikern und Oppositionellen (nicht zu Unrecht) kritisiert. Es wurde von „Putins Spielen“ geredet, ein Event, um das Image eines Mannes zu polieren. Ebenso nutzte Wiktor Janukowytsch die EM 2012, um die Welt von seiner Weltoffenheit zu überzeugen, das Land wurde als moderner Staat in Europas Osten angepriesen. Von politisch kritischer Auseinandersetzung war man bis auf ein paar Ausnahmen und gemessen an den derzeitigen Entwicklungen weit entfernt. Vor Südafrika und jetzt vor Brasilien und auch mit Blick auf Katar wird die FIFA (nicht zu Unrecht) als Wurzel des Übels ausgemacht, an den Pranger gestellt und aufgefordert, etwas gegen die Missstände zu unternehmen. Dabei ist sich die FIFA keiner Schuld bewusst und schiebt die alleinige Verantwortung der Regierung bzw. dem Organisations-Komitee des jeweiligen Ausrichterlandes zu. Die Schere, die sich zwischen den Ausgaben der Ausrichterländer und den finanziellen wie Image fördernden Gewinnen der FIFA und deren Sponsoren auftut, wird immer größer. Während die WM 2010 den Staat Südafrika ca. 2 Milliarden Dollar kostete, verzeichnete die FIFA einen Gewinn von über 2 Milliarden Dollar. Die prognostizierten Kosten für die diesjährige WM wurden vor kurzem wieder angepasst, liegen nun bei ca. 10 Milliarden Euro – sicher nicht nur Investitionen in die WM, sondern auch in die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro, trotzdem Zahlen, die im Angesicht der Gewinne von FIFA und Sponsoren surreal und in keiner Weise gerechtfertigt erscheinen.
Wenn das Groß-Event allerdings einmal begonnen hat, wird alles in den Hintergrund rücken. Dann scheint es immer so, als hätte es die kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen nie gegeben. Proteste werden nicht mehr täglich gezeigt, die Begleitumstände weniger beleuchtet werden. Dann wird es den TV-Anstalten darum gehen, ihre für teures Geld erstandenen Übertragungsrechte auch zu nutzen: Die größte Eröffnungsfeier aller Zeiten (bis in 4 Jahren) wird bis ins Detail zu beleuchtet werden, der Namen des Maskottchen analysiert und durch Einblicke in das Leben ‚ganz normaler Brasilianer‘ ein feines Rahmenprogramm neben dem sportlichen Wettkampf gestaltet. Für negative Themen wird da kaum Zeit bleiben, außer es kommt zu wirklich dramatischen Vorkommnissen, die sich absolut niemand wünscht. Auch die Nachberichterstattung eines solchen Events ist immer sehr einseitig – sportlich. Es geht um den Sport, den Fußball, nicht um die Rahmenbedingungen oder wie die Bevölkerung des Ausrichterlandes das Spektakel erlebt hat. „Fußball ist Fußball und Politik ist Politik!“ Nirgendwo wird die Unsinnigkeit dieses Ausspruches deutlicher.
Vor zwei Jahren war ich in Südafrika. In Kapstadt, in unmittelbarer Nähe der luxuriösen Waterfront steht das WM Stadion Capetown. Während meiner Zeit besuchte ich dieses zu einem Spiel von Ajax Capetown gegen die Orlando Pirates aus Johannesburg. Der Unterrang des Stadions war halb gefüllt, der Oberrang nicht einmal geöffnet. So sieht es dort jetzt immer aus, wenn Fußball gespielt wird. Voll wird das Stadion nur, wenn angesehene Geistliche aus Südafrika einen Gottesdienst im Stadion abhalten. Es gab Überlegungen, das Stadion zur Heimspielstätte des Rugby Teams der Stadt, den Stormers, zu machen. Das Vorhaben scheiterte einfach daran, dass die Stormers ihre bisherige Heimspielstätte nicht verlassen wollten. Blickt man in andere WM-Städte oder auch nach Peking, sieht es da nicht anders aus. Geld – investiert in den Verfall.
Ich persönlich kann seit dem Hype, der 2006 während der WM ausgebrochen ist, mit den großen Turnieren immer weniger anfangen. Es wird in den Jahren und Monaten vorher ausgiebig über die möglicherweise negativen Begleitumstände berichtet, hat das Spektakel aber einmal angefangen, scheinen die Menschen dahinter egal zu sein. Zudem ist es immer interessant zu sehen, wie plötzlich Millionen von Fußballfans aus ihren Löchern gekrochen kommen, die sich wegen der rasant steigenden Gewalt im deutschen Fußball in kein Stadion mehr wagen. Negative Vorkommnisse wie Schlägereien oder betrunkene Unfälle auf Fanfesten oder einer der vielen Fanmeilen werden durch die Medien nicht verbreitet und angeprangert – zumindest nicht annähernd in der Form, wie es der Fall ist, wenn etwas vergleichbares in und um Bundesliga-Stadien passiert. Ich kann zudem nicht einem Manuel Neuer oder Mario Götze ausgiebig zujubeln, während ich sie die restliche Zeit des Jahres nicht ausstehen kann. Ich möchte damit keine generelle Verurteilung der Fans der deutschen Nationalmannschaft vorantreiben. Es ist toll, mit abertausenden Gleichgesinnten den Erfolg ein und derselben Mannschaft zu feiern, das beweisen Fans jedes Wochenende in der Bundesliga. Und es gibt mit Sicherheit auch genug Fans, die ihren Verein genauso unterstützen wie die Nationalmannschaft. Das ist in Ordnung, denn auch ich werde mit Sicherheit einige Spiele sehen. Ich möchte nur meine Beweggründe vortragen, warum ich, je näher diese WM rückt, immer weniger Bezug zu dieser herstellen kann.
„Manche sagen, Fußball braucht gigantische Stadien, perfekten Rasen, high-tech Ausrüstung, Logen für die oberen Zehntausend. Aber das ist nicht unser Fußball...“
Dies ist eine Aussage, wegen der die aktiven Fan- und vor Allem Ultraszenen seit langem belächelt werden. Die Kommerzialisierung gehört nunmal dazu oder nicht?
„…Wir glauben, beim Fußball geht es um uns Alle, die, die das Spiel feiern. Wir jubeln zusammen, hoffen zusammen und jeder, der mitmacht, macht uns besser…“
„…Denn WM, das sind wir alle!“
Ist das so?
geschrieben von Fabian
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