Keine Bange, die Hausse hält lange
Die BVB-Fangemeinde wähnt ihren Verein beinahe kollektiv am Rande des Abgrunds, seitdem die Bombe platzte. Mario Götze verbindet sich mit den Mächten den Bösen und verlässt Borussia Dortmund für 37 Millionen Euro. "Geld, das man nicht haben wollte." Als Jürgen Klopp diesen Satz schon einmal gebrauchte, zog es Nuri Sahin der Weltkarriere halber zu Real Madrid. Nun steht dieser wieder auf der richtigen Seite. Nicht nur moralisch, sondern auch sportlich. Er steht nach dem erfolgreichen Halbfinale gegen seinen Ex-Verein erstmals in seiner Karriere im Finale der Champions League.
Dass der BVB nach einer finanziellen und sportlichen Rosskur bereits wieder so weit ist, darf man getrost als Fußballwunder bezeichnen. Eines, "das allerdings auf natürliche Weise zu Stande kam". Die Zahl sind manchem mittlerweile bekannt, aber doch vielleicht nicht allen. Also sollte man noch einmal auf die Transferbilanz des Ballspielvereins seit 2008 verwiesen. Die KGaA kostete diese fabelhafte Mannschaft nur rund 800.000 Euro an Nettotransferausgaben. Dank der hervorragenden Arbeit des Teams Zorc in den Büros und auf den Sportplätzen dieser Welt und des Teams Klopp in Brackel wurde so praktisch für lau aus einem Abstiegskandidaten eine der besten Mannschaften Europas geformt. Eine, die möglicherweise in Kürze die Chance hat, sich selbst zur Besten zu krönen.
Für einen Mario Götze scheint sie wohl trotzdem nicht peppig genug zu sein. Er entschied sich aus finanz...ähm...sportlichen Gründen für die Fortsetzung der Karriere an anderer Stelle. Ein in dieser Woche von der Presse gern geschriebener Satz lautet: "Borussia Dortmund verliert seinen besten Spieler." Das ist reichlich unreflektiert, denn diese Mannschaft hat einige Hochkaräter zu bieten. Vergleicht man einmal die Daten der Spieler der offensiven Dreiereihe, erhält man nahezu identische Werte. Mario Götze kommt in dieser Saison in 28 Spielen auf 23 Scorer-Punkte (10 Tore und 13 Vorlagen). Marco Reus steht dem mit 23 Punkten aus 12 Toren und 11 Assists in nichts nach, absolvierte allerdings ein Spiel und 122 Minuten mehr. So gesehen ist Kuba mit jeweils 11 Toren und Vorlagen aus 24 Spielen gar der effektivste der drei Spieler. Defensiv ist er vermutlich sowieso der Stärkste aus dem Trio. Man muss den Allgäuer nicht kleiner reden als er ist, aber eben auch nicht größer machen. Aus dieser Mannschaft sticht er nicht heraus.
Mario Götze ist im Status Quo als tatsächlich nicht besser als vergleichbare Spieler im Kader des BVB. Von der Klasse und Bedeutung eines Gündogan oder eine Lewandowski gar nicht zu reden. Es geht in diesem Fall also mehr um den Erwartungswert für die Zukunft. Da ist es gut möglich, dass Mario Götze in den nächsten Jahren noch deutlich zulegen kann. Er ist ja der jüngste der genannten Spieler. Doch sicher ist das natürlich nicht - "the future's not ours to see". Beim ersten Meistertitel war Mario Götze 18 Jahre alt und zeigte eine Leistung, die noch kein deutscher Spieler in seinem Alter je zuvor gebracht hat. Nun ist er zwanzig und hat sich, daran gemessen (21 Scorerpunkte), nahezu nicht gesteigert. Natürlich hat Götze technisch enorme Möglichkeiten. Aber je mehr er sich dessen bewusst wurde, desto eigensinniger wurde auch sein Spiel. Immer öfter dribbelte sich der Zehner gegen zwei Spieler fest und entfernte sich in seiner Spielweise mehr und mehr vom effektiven BVB-Fußball.
In dieser Phase seiner Entwicklung und bei seinem Leistungsstand ist der Abgang des Eigengewächses sportlich durchaus zu kompensieren. Erst recht mit weiteren 37 Millionen auf dem Konto. Der verbesserten Jugendarbeit sei Dank, gibt es viele Kandidaten auf dem Fußballglobus. Christian Eriksen, Kevin de Bruyne, Julian Draxler, Isco, Gerard Deulofeu, Kevin Boateng, Patrick Herrmann, Heung-Min Son - die Liste der Namen von hervorragenden Flügelspielern oder Zehnern, die im Zusammenhang mit den BVB genannt werden, ist nahezu beliebig lang. Finanzierbar ist derzeit vieles. Und mit Jürgen Klopp haben wir einen Trainer, der scheinbar aus fast jedem Talent das Optimum herausholen kann. Um die eigene Zukunft muss Borussia also nicht bange sein. An dieser Front wird dem BVB-Fan der Wechsel vielleicht gar nicht so weh tun, wie es viele fürchten. Schmerzhafter könnte es da schon sein, wenn man irgendwann erleben müsste, dass Mario Götze wirklich zum dem Ausnahmespieler reift, als der er teilweise heute schon gesehen wird. Ein Spieler auf einem Niveau, den sich der BVB nicht einfach neu backen könnte. Für diese Hoffnung nimmt der Todesstern des Südens 37 Millionen Euro in die Hand und noch einmal kolportierte 12 Millionen per annum. Es ist eine Menge Geld für eine Hoffnung.
Aber im Großen hat dieser Transfer natürlich noch einen anderen Subtext. Der große Satan lässt die Muskeln spielen, um dem Emporkömmling zu zeigen, wer der Herr im Haus ist oder zu sein meint. Doch es könnte gut und gerne sein, dass er da sein Wurstfinger zu spät anlegt, um den BVB klein zu halten. Timing scheint derzeit sein Kardinalproblem zu sein. Denn auch nach dem Wechsel steht der BVB sowohl in der sportlichen, als auch in der wirtschaftlichen Substanz hervorragend da. Gut möglich, dass das unerwünschte Geld den Ballspielverein nachhaltig weiter stärkt. Was passiert erst, wenn man Leuten die Mittel für richtige Investitionen zur Verfügung stellt, die bereits bewiesen haben, eine Topmannschaft quasi ohne Geld aufbauen zu können? Natürlich müssen sich die letzten Jahre nicht zwingend linear fortschreiben, schon gar nicht um den Faktor des Investitionsrahmens gesteigert. Doch Zorc und Klopp bietet sich nun die Chance, die Mannschaft auf noch höherem Niveau weiterentwickeln zu können.
Die Basis steht mit einer sportlichen Leitung vom Feinsten und einem Kader, auf dessen Gerüst man mit einigen Neuverpflichtungen eine noch stärkere Mannschaft formen könnte. Die wirtschaftliche Basis hingegen wächst weiter im erheblichen Tempo. Nachdem in der letzten Saison erstmals die 200-Millionen-Marke beim Umsatz geknackt wurde, geht die Entwicklung dank der Erfolge in der Champions League und der Rekordablöse für Götze stramm auf die 300 Millionen zu. Sollte eventuell auch noch Robert Lewandowski gehen, dann wird diese Zahl sogar noch klar übertroffen. Aber auch wenn der Pole noch eine letzte Saison hier bleiben würde, sprengt der Gewinn alle bisher bekannten Dimensionen. Der Bundesligarekord, den der Konzern bereits in der letzten Saison in dieser Sparte aufstellte, könnte noch einmal pulverisiert werden. Operativ dürften nach den sehr guten Halbjahreszahlen vermutlich mindestens 40 Millionen Euro hängen bleiben. Von der Ablöse für Ivan Perisic, die erst im dritten Quartal anfiel, gehen ebenfalls über die Hälfte in den Gewinn und für Mario Götze fallen keine Sonderabschreibungen an, sodass die 37 Millionen ebenfalls voll gewinnwirksam sind. Lassen sich Thomas Treß und Co. keine Maßnahmen einfallen, die den Gewinn schmälern können, dann darf man heute bereits von einem Jahresgewinn in Regionen von 80 Millionen Euro ausgehen. Ginge auch noch unser Torjäger, stiege die Summe noch einmal enorm an. Der Restbuchwert für den Polen beträgt lediglich eine gute Million. Jeder Euro an Ablöse, der diese Summe übersteigt, ist ebenfalls gewinnwirksam. Daran lässt sich erkennen, dass es Hans-Joachim Watzke keinerlei finanzielle Schmerzen bereiten würde, den Spieler noch eine weitere Saison in Dortmund zu behalten.
Wie könnten angesprochene Maßnahmen aussehen, die den Gewinn reduzieren helfen? Viele Möglichkeiten bleiben nicht. Ablösesummen für neue Spieler reduzieren den Gewinn im laufenden Geschäftsjahr nicht, weil sie erst während der Vertragslaufzeit über die Jahre hinweg abgeschrieben werden. Anders sieht es bei der Zahlung von Handgeldern aus. Bei Vertragsverlängerungen oder der Verpflichtung von ablösefreien Kickern könnte der Verein dem Spieler ein gewisse Summe für die Unterschrift überweisen. Um diese Summe würde dann der Gewinn sofort vermindert werden. Solche Zahlungen könnten auch helfen, die Gehaltszahlungen der späteren Spielzeiten im Rahmen zu halten.
Doch auch ohne solche Maßnahmen gibt es dank der stetig steigenden Umsätze noch genügend Luft, den Personaletat zu erhöhen, ohne sich vor einer Saison ohne Champions League fürchten zu müssen. Der BVB liegt im Vergleich zu den den ganz großen europäischen Klubs bei den Personalkosten noch deutlich zurück. In der letzten Saison verschlagen die Angestellten 74,5 Mio. Euro. Das ist gerade mal die die Hälfte der Summe, die es benötigt, um in die Liste der Top-10-Vereine des europäischen Geldausgebens zu gelangen. Der Dortmunder Gehaltsetat ist aber sehr konservativ geplant und machte in der letzten Saison nur 37 Prozent der Einnahmen aus. Das ist deutlich weniger als bei den Vereinen, mit denen man sich in der Champions League misst. Sieht man von den Klubs ab, die durch einen Mäzen finanziert werden, dann liegt der Wert gewöhnlich bei rund 50 Prozent.
Mit der bereits sicheren dritten CL-Teilnahme am Stück darf man von der Verstetigung des Erfolgs reden und der schlägt sich auch auf der wirtschaftliche Seite nieder. Umsätze von 200 Mio. Euro dürfte der Verein in den nächsten Jahren nicht mehr unterschreiten, selbst wenn einmal kein Spieler verkauft wird und die internationalen Gelder nicht so üppig fließen. Dafür sorgen weiter steigenden Umsätze im Bereich des Sponsoring, zuletzt durch den neuen Partner Turkish Airlines repräsentiert. In der neuen Saison tritt der neue TV-Vertrag in Kraft, der für deutliche Mehreinnahmen sorgen wird. Bald läuft der Catering-Vertrag für das Stadion aus. Auch dort werden deutliche Einnahmesteigerungen erwartet. Phantasie steckt zudem in der Idee, eventuell aus dem Vertrag mit Vermarkter SportFive auszusteigen. Ob und wann es eine Klausel gibt, die dies ermöglichen würde ist unbekannt. Ebenso, ob die Vereinsführung für diesen Schritt Geld in die Hand nehmen würde. Tut sie es irgendwann, dann könnte die KGaA auf der Ausgabeseite gut zehn Millionen Euro einsparen.
Für die Mannschaft der neuen Saison dürften Hans-Joachim Watzke und Thomas Treß ihrem Sportdirektor Michael Zorc einen großzügigen Personaletat zur Verfügung stellen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre, sollte Jürgen Klopp in der Lage sein, daraus eine Mannschaft zu formen, die uns weiterhin begeistern wird. Eine Mannschaft, die an die Erfolge der letzten Jahre wird anknüpfen können. Das Beste daran ist, dass dafür große finanzielle Spielräume zur Verfügung stehen, die die Existenz des Verein in keiner Weise gefährden. Die Ausgabensteigerung folgen den wachsenden Einnahmen - nicht umgekehrt. Das ist nun bereits seit drei Jahren der Fall. Dadurch entstehen Jahr für Jahr größere Liquiditätspolster. Bei der letzten sportlichen Hausse in den Neunziger Jahre war es umkehrt. Eine permanente Einnahmelücke führte damals in die wirtschaftliche Baisse und würgte dadurch zwangsläufig auch die sportliche Entwicklung ab. Wirtschaftlich wachsende Potenz und kluge sportliche Entscheidungen lassen heute für die nächsten Jahre eine Verlängerung der sportlichen Hausse erwarten.
Beinahe macht es den Eindruck, als wäre der niemeiersche Geist nach München weitergezogen. Vor zwei Dekaden wollten die Dortmunder Macher unbedingt so sein wie die Münchner. Und gingen finanziell an die Grenze des Machbaren und darüber hinaus. Heute erleben wir die kuriose Situation, dass sich die Rollen verkehrt zu haben scheinen. Als flösse das Wasser den Berg hinauf. Nicht der wirtschaftlich kleinere Verein eifert dem größeren nach. Seit einigen Jahren wollen die Münchner nun unbedingt besser sein als der schwarz-gelbe Riese. Dafür gehen sie mehr und mehr an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten und lassen die eher konservative Vereinspolitik der letzten Jahrzehnte hinter sich. Man setzt auf "brutalen Kapitaleinsatz", wie es Aki Watzke formulierte. Dieser muss für den BVB nicht nur negative Folgen haben, wie beim Abgang von Götze. Denn um der Borussia wichtige Spieler abzujagen, müssen die Münchner mittlerweile tief in die Tasche greifen. So tief, dass es gut möglich ist, dass die Summe, die ins Ruhrgebiet fließt, den Gegner nicht schwächt, sondern substanziell stärkt. Der Kauf von Mario Götze und das Interesse an Robert Lewandowski kann durchaus als Beleg dafür gesehen werden, dass der Todesstern des Südens, den Zeitpunkt verpasst hat, den aufziehenden strategischen Rivalen klein zu halten. Sie werden mit uns leben müssen.
geschrieben von Chappi1991
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