Eua Senf

Komm mit mir ins Abenteuerland

19.02.2013, 19:09 Uhr von:  Gastautor
Komm mit mir ins Abenteuerland

Los ging"s für mich und einen Freund schon einen Tag vor dem Spiel - Richtung Türkei. Am allseits bekannten Sabiha-Gökçen-Flughafen sollte nach fünf Stunden Aufenthalt unser Anschlussflug nach Donezk starten. Aber der Reihe nach: Abflug Dienstagmittag in Düsseldorf. Auf dem Weg zum Flughafen sollte aber seltsamerweise nicht die Bahn zum Problem werden, sondern etwas ganz neues. Ein Anruf von HRS, plötzlich und unerwartet, zerstörte die trügerische Sicherheit, dass alles nach Plan laufen wird: "Ihr Hotel hat Probleme mit der Elektrizität und kann Sie so zur Zeit nicht aufnehmen." Bäm! Gemeint war das TipTop-Hotel in Donezk (ich verzichte an dieser Stelle auf sich anbietende Namens-Witze), die Geschichte hatte sich ja im Anschluss durchaus herumgesprochen.

Nun also das. Knapp drei Stunden vor Abflug und wir standen ohne Hotel dar. Donezk (zu diesem Zeitpunkt offenbar so beliebt wie Mallorca im Sommer) war hoteltechnisch komplett ausgebucht, davon hatte ich mich erst am vorherigen Tag bei einem Probeblick auf einschlägige Buchungsportale überzeugt. Umso erleichterter war ich beim folgenden Satz des Anrufers, er könne uns lediglich ein Alternativ-Hotel zu unserer Buchung anbieten. Drei statt zwei Sterne, Wellness-Bereich, gleicher Preis. Er könne allerdings nicht genau sagen, wie weit es vom Stadion entfernt ist. Egal, gekauft. Dass es sich bei einem solchen Angebot um ein Hotel sprichwörtlich auf dem Land handeln musste, war längst klar, eine Wahl hatten wir allerdings nicht. Tschüss urige Fahrten in völlig überfüllten, heruntergekommenen Bussen in der Innenstadt, hallo Verhandlungen mit ukrainischen Taxifahrern über Fahrpreise in die City (um es an dieser Stelle vorweg zu nehmen: das Hotel war 15 km von der Innenstadt entfernt, bezahlt haben wir für eine Fahrt zwischen 7 und 15 Euro, je nach Lust, Laune und vorhandenem Taxameter des Fahrers).

Da wir von einer anderen Reisegruppe wussten, dass sie ebenfalls im TipTop gebucht hatten, aber schon seit dem frühen Morgen in Istanbul sind, haben wir vorsichtshalber auch mal durchgegeben, dass das mit unserem Hotel nichts wird (man wusste dort noch von nichts und war damit offenbar nicht alleine…). So weit so gut, dann konnte es also endlich losgehen. Der Flug im definitiv stickigsten Flieger, den ich bis dato bestiegen hatte, hinter uns gebracht, die erneute Passkontrolle in ähnlicher Rekordzeit durchlaufen, haben wir es uns bei einem 4,50€-Bier für die nächsten Stunden am Istanbuler Flughafen gemütlich gemacht. Kurz vor Mitternacht ging es dann für den zu 80% mit Dortmund-Fans gefüllten Flieger Richtung Donezk, wo man auch pünktlich um 1.30 Uhr am Mittwoch aufsetzte – trotz erbitterter russischer Protestes eines erbosten älteren Herren, der sich mit dem im Flugzeug vorgetragenen BVB-Walzer unter Zuhilfenahme der Servietten-ähnlichen gelben Auflagen auf den Kopfstützen so gar nicht anfreunden konnte.

Eine Stunde später und nur (ich betone: nur!) weil wir selbst ein Navi besaßen, hatte unser völlig überforderter Taxifahrer dann den Weg zu unserem neuen Hotel gefunden.

Erster Eindruck: Nobel um nicht zu sagen luxuriös für ukrainische Verhältnisse, aber natürlich mitten im Nirgendwo. Hat zu dem Zeitpunkt natürlich nicht weiter interessiert, Hauptsache ein Bett stand drin (dazu später mehr). Frühstück gab es am nächsten Morgen übrigens zur bestellten Zeit im dekadenten Speiseraum. Da aus Reisegruppe 2 noch 50% der Beteiligten geschlafen haben, entschlossen wir uns, den Blick auf die Gegend rund um unser Hotel zu wagen. Wir wurden nicht enttäuscht. Zwar wurden in direkter Nachbarschaft doch einige, den westeuropäischen Standards ähnelnde Anwesen gebaut, der Rest zeugte allerdings von der erdrückenden Ärmlichkeit der hier lebenden Bevölkerung. Touristen kennt man wohl allenfalls aus Erzählungen. Als Faustformel sollte man bei derartigen Spaziergängen übrigens rechnen, pro zehn Minuten einen streunenden Hund mehr an den Hacken zu haben. Da uns unser Navi an dieser Stelle auf der Suche nach einem Kiosk (oder ähnlichem) komplett enttäuschte, haben wir unseren Ausflug kurzerhand erfolglos wieder beendet.Zurück im Hotel (und mittlerweile mit kompletter zweiter Reisegruppe) begab man sich dann erneut in den edlen Speiseraum – dieses Mal aber mit Bier statt Tee auf den gedeckten Tischen. Danke an dieser Stelle übrigens nochmal an unsere russisch sprechende Begleitung, ohne die wir an der Rezeption nicht so wahnsinnig weitergekommen wären. Obwohl sich die Damen dort merklich Mühe gaben, klappte die Verständigung doch eher mit Händen und Füßen denn auf Englisch. So gelang uns schließlich sogar die Bestellung eines Großraumtaxis für die Fahrt ins bereits berüchtigte Liverpool.

Die Zeit dort verflog dann auch schneller als gedacht – allerdings nicht in der Bar selbst (so ein Mangel an Bier kann auf durstige Fußballfans ziemlich abschreckende Wirkung haben), sondern vor der Tür bei beständigem Nachschub an Getränken aus dem Restaurant im oberen Stockwerk. Und das bei teils abenteuerlicher Rechnung – zahle 50 Hrywnja für zwei Bier à 11,50 UAH und bekomme 40 Hrywnja zurück.

Bevor es dann los Richtung Stadion gehen sollte, schnell noch auf eine Chicken-Pizza (wo war da Chicken auf der Pizza??) in eine gegenüberliegende Lokalität und anschließend mit dem bereits vorbeiziehenden Mob zur Donbass-Arena. Das weithin sichtbare, blau erstrahlende Etwas am Horizont war bald erreicht und erinnerte auf den ersten Blick dann auch eher an die Münchener Allianz-Arena denn an ein Fußballstadion. Einen ähnlichen Eindruck hatte man auch bei den anschließenden Kontrollen, die die Sicherheitsschleusen am Flughafen wie Kindergarten haben aussehen lassen.

Zum Spiel wurde bereits genug geschrieben – und obwohl ich mich durchaus an die Heizstrahler im Stadion gewöhnen könnte, WLAN geht dann doch einen Schritt zu weit. Hallo? Sind wir hier im Kino? Gibt’s hier auch Popcorn? Ach ne, das war in Kiew …Anschließend haben wir zwei mit Blick auf die bevorstehende Zugfahrt am sehr, sehr frühen nächsten Morgen entschlossen, auf den Gang ins „Chicago“ zu verzichten und lieber wieder unsere Abenteuerfahrt ins Hotel anzutreten.

Man konnte ja nicht wissen, wie lange es dieses Mal dauern sollte (zügiger als beim ersten Mal, die Nacht selbst verging allerdings noch schneller…). Um fünf Uhr klingelte der Wecker, um 5.35 Uhr stand (fast pünktlich) das bestellte Taxi vor der Tür, um kurz nach sechs war der Bahnhof erreicht, um 6.30 fuhr unser Zug … nicht. Wer sich von den rund 100 Dortmundern am Bahnhof (und mit weiteren einheimischen Reisenden) auf den neuen Interciti+ zur Fahrt nach Kiew gefreut hatte, wurde schlagartig enttäuscht. Der Zug fuhr zwar, aus der Hauptstadt kommend, im Bahnhof ein, allerdings durfte dort niemand einsteigen. Gerüchteweise gab es einen Defekt (Déjà-vu) und man schickte uns zunächst auf ein anderes Gleis. Dort fuhr dann zum Entsetzen insbesondere der deutschen Reisenden ein typisch ukrainischer „Bummelzug“ ans Gleis, der möglicherweise unser Ersatz sein könnte. Auch hier galt: Nichts Genaues weiß man nicht, Durchsagen gab es zwar zuhauf, allerdings nur auf Russisch. So musste man ukrainischen Passagieren Gesten und einzelne Worte zum derzeitigen Stand der Reise entlocken. Umso erstaunlicher, als sich der gesamte Tross ohne ein Wort (deutsch oder englisch) nach rund einer Stunde in Bewegung zurück zum eigentlichen Gleis machte, an dem immer noch unser Schnellzug stand. In der Zwischenzeit hatte man auf dem Dach ordentlich gewerkelt und den Zug offenbar wieder repariert – wer übrigens während der Fahrt einen Blick ins Behindertenklo im ersten Waggon geworfen hat, wird sich dort vermutlich über ein herumliegendes riesiges, undefinierbares Stück Metall gewundert haben, das genauso gut von eben diesem Dach hätte stammen können.

Sieben Stunden im modernen und offenbar exklusivsten Verkehrsmittel der Ukraine später (schließt man vom Blick der Reisenden in anderen Zügen und an der Strecke stehend) hatten wir dann endlich Kiew erreicht. Auf uns wartete am Abend das Europa League-Spiel Dynamo Kiew – Girondins Bordeaux. Zunächst aber wartete das Hostel bzw. die Fahrt dorthin. Endlich eine, wenn auch kurze, Reise in einem landestypischen Verkehrsmittel: der Metro mit ihrem recht eigenwilligen Bezahlsystem.

Statt Papiertickets gab es wiederverwendbare Plastikchips, die man genauso gut im hiesigen Autoscooter wiederfinden könnte. Wieder was gelernt. Das Hostel hingegen ließe sich am ehesten mit einer Studenten-WG vergleichen: eine große Wohnung mit Gemeinschaftsbad, Küche und einzelnen Zimmern. Büro und Schreibtisch befanden sich direkt im Flur. Unser Zimmer war sicherlich das abenteuerlichste: Durch einen Schlafsaal hindurch ging es zu einer weiteren Tür, die ich erst für eine Abstellkammer gehalten hätte (und die hierzulande sicherlich auch als solche genutzt worden wäre), welche sich dann aber doch als unser Zimmer herausstellte. Ein Raum, ein Bett, das war’s. Das heißt nein, denn neben dem Bett befand sich eine Leiter zu einem weiteren Bett eine „Etage“ darüber. Gut, mehr hatte man beim vermutlich billigsten Hostel der Stadt auch nicht erwartet. Interessant aber allemal.

Also direkt weiter in die Stadt und zum alten Stadion von Dynamo Kiew. Schade, dass hier heute Abend kein Spiel ausgetragen werden würde – es hätte dem zweifellos vorhandenen Charme der Stadt und ihrem Charakter viel eher entsprochen als der Nobelbau namens Olympiastadion. Dennoch: Die UEFA verlangt zu Großereignissen nach 5-Sterne-Stadien, also bauen die Veranstalter eben welche. Über Sinn und Zweck und Wiederverwendbarkeit darf bekanntlich gestritten werden und optisch macht so ein Monstrum mitten in der Stadt natürlich auch einiges her. Dennoch ist es traurig zu sehen, dass das 70.000-Zuschauer Stadion bei solch einem Spiel gerade einmal zur Hälfte gefüllt war. Immerhin machten die Dynamo-Anhänger akustisch einiges wieder wett. Und zu so einem Spiel kann man sich dann auch mal die guten Plätze in Unterrang, Höhe Mittellinie für umgerechnet 15 Euro gönnen. Ich hab schon wesentlich mehr Geld für deutlich schlechtere Spiele bezahlt.

Um anschließend noch die zahlreich vorhandenen Kneipen der Stadt zu erkunden (z.B. den Pub „London“ – offenbar mag man in der Ukraine englische und amerikanische Großstädte), fehlte uns dann doch die Lust … also dem einen Teil der Reisegruppe, der bereits gegen sechs Uhr morgens seinen Flieger zurück in die Heimat erwischen musste.

Ich hatte mich für die bequeme Variante am Nachmittag entschieden und so noch Zeit, die Stadt etwas zu erkunden. Auffällig war für mich dabei vor allem der krasse Gegensatz zwischen dem Theater-Viertel, in dem unser Hotel lag und wo es rund um den Platz der Unabhängigkeit praktisch alle Läden gab, die man auch in einer größeren deutschen Stadt vorfinden würde (mein persönliches Highlight: der Lagerfeld-Shop) und dem Bereich rund um den Bahnhof. Dort begrüßte den Zugreisenden direkt ein herrlicher Blick auf das davorstehende, dicke Rauchwolken produzierende Kraftwerk. Ein schöner Kontrast dazu ist übrigens die neu errichtete Empfangshalle am südlichen Ausgang des Bahnhofs – und eine treffende Metapher für den Gegensatz von Arm und Reich in der Stadt.

Mit reichlich neuen Eindrücken aus dem „Wilden Osten“, einigen bestätigten Vorurteilen (finde eine ukrainische Frau ohne Stiefel und Pfennigabsatz in unter einer Minute – top, die Wette gilt!), und einem Hauch von Abenteuer gingen so knapp vier Tage Ukraine zu Ende. Auf dem Rückflug, unbeeindruckt von allen Streiks, lernte man das warme Essen und Freigetränke an Board der Lufthansa wieder neu zu schätzen und zurück in der Domstadt hieß es am Bahnhof erneut: „Die elektronischen Anzeigetafeln sind vorübergehend außer Betrieb“ … bin ich eigentlich weg gewesen?

geschrieben von Goldkind

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