Mein Gänsehautmoment: Der 12. Mann
An diese Stelle präsentieren wir Euch den ersten Gewinner unseres Gänsehautmoment-Gewinnspiels. Wir hatten unsere Leser gebeten, uns ihren persönlichen Gänsehautmoment aus der letzten Saison zu childern, die ja nun wirklich genug Anlass für Ganzkörper-Gänsepelle geboten hat. Heute schildert Nadja Ihr empfinden beim 4:4 gegen den VfB Stuttgart.
Ich hatte die letzten sieben Jahre das Glück, bei allen Entscheidungen live im Stadion zu sein und habe dabei – aber nicht nur dabei – gerade die letzten zwei Jahre unendlich viele kaum für möglich gehaltene Gänsehautmomente und Steigerungen davon erleben dürfen. Dieses Team mit seiner Leidenschaft, Einsatzfreude, der schönen und erfolgreichen Spielweise und den sympatischen Protagonisten hat sich bei zahllosen Gelegenheiten einen Platz in meinem Herz erspielt. Und doch gibt es in den ganzen Glücks- und Euphoriemomenten diese Saison einer, der ganz besonders heraussticht.
Es war die 79. Minute, Stuttgart hatte gerade das 3:2 geschossen und ich stand völlig fassungslos auf der Tribüne, fragte meine Nachbarin in blankem Entsetzen "Das ist jetzt nicht wirklich passiert, oder?". Es war passiert. Ich wollte tun, was ich in solchen Momenten immer tue: mich so klein möglich machen, das Licht ausmachen und die ganze Welt von mir abschliessen. Aber ich stand mitten im Block 13, das war einfach nicht möglich! Da tat der Vorsänger etwas sehr Unerwartetes und Kluges: Anstelle eines kurzen wütenden Gesangs, der zu diesem Zeitpunkt wohl schnell verstummt wäre, nahm er das ganze Stadion mit ins Boot. "Deutscher Meister steh auf!" kam Sekunden später von der Südtribüne - und alle standen auf. Nicht, um nachhause zu gehen, sondern um alles zu geben für dieses Team, das uns in dem Moment offensichtlich nötig hatte. Die hängenden Köpfe auf den Tribünen und auf dem Rasen kamen auf einmal alle wieder hoch, es baute sich innerhalb kürzester Zeit eine Energie auf, noch bevor sich die Lautstärke merklich veränderte.
Meine Gänsehaut begann und würde sich in den nächsten Minuten exponentiell steigern. Wie von einem unsichtbaren Magneten zog es beide Mannschaften vor die Südtribüne, während der Geräuschpegel immer lauter wurde. "Borussia! Borussia! Borussia!", der kurze Anfeuerungsruf wurde zum Dauergesang, wurde aber nicht nach ein paar Minuten leiser, wie das normal mit Dauergesängen ist, er wurde immer lauter! "Borussia! Borussia! Borussia!", es brauchte keine Koordination mehr, kein Vorklatschen, kein Auffordern, jeder kannte seine Aufgabe. "Borussia! Borussia! Borussia!". Dass Mats Hummels den Ausgleich schoss war kein Zufall. Es war nicht eine Einzelaktion eines Innenverteidigers, der seinen gewohnten Platz verlassen hatte, um mit einer genialen Idee die Offensive zu unterstützen.
Ein Journalist kommentierte später "Ich hatte das Gefühl sie würden den zweiten Ball auch noch reinschreien." Und genau das taten wir. Die Luft war zum Schneiden, gefüllt mit Lärm, vertonte Energie, als kurz vor Ende der regulären Spielzeit der Eckball getreten wurde. Perisic' Direktabnahme blieb wie in Zeitlupe im oberen Winkel des Tornetzes hängen. All die Energie entlud sich mit einem Knall, ein Blitz, Körperteile flogen durch die Luft, die Süd wurde einmal auf Links gedreht. In diesem Moment hätte die Saison zu ende sein müssen, hätte die Welt stillstehen müssen, das war Perfektion!
Wochen später durfte ich während der Meisterschaftsentscheidung einige Stunden Gänsehaut erleben und beim Pokalfinale, dem schönsten Tag meines Fanseins, sogar zwei Tage lang. Doch diese 10 Minuten, dieses 4:3 war anders - bei allem Respekt für die Leistung von Hummels und Perisic - diese letzten zwei Tore hat das Westfalenstadion geschossen. Noch nie habe ich den 12. Mann so leibhaftig auf dem Feld stehen sehen. Das war definitiv ein Gänsehautmoment, den ich für den Rest meines Lebens in Erinnerung halten werde und so treffend für das Gefühl, das mich mit diesem Verein verbindet.
geschrieben von Nadja
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