Gibt es den richtigen Zeitpunkt einer Trainerentlassung?
Nun ist doch alles beinahe unerwartet schnell gegangen. Die seit Wochen prognostizierte Demission von Thomas Doll wurde am ersten Arbeitstag nach dem letzten Pflichtspiel der Saison 2007/08 erwartungsgemäß vollzogen.
Schließlich hatte das wilde Spekulieren um Thomas Dolls Entlassung und seinem potentiellen Nachfolger spätestens nach den beiden demütigenden Niederlagen im Vorlauf des DFB-Pokalendspiels die Gemüter rund um die Strobelallee nahezu täglich erhitzt, und nicht nur in den - zugegebenermaßen in dieser Frage ambivalenten - Fankreisen als auch in Medien aller Glaubwürdigkeitsstufen wurde die Frage mit auffälliger Regelmäßigkeit aufgewärmt.
Mit dem Entschluss der geschäftsführenden Leitung, durch vielsagendes Schweigen die anstehende Trennung zu verleugnen, wurde die Diskussion angefacht und am Leben erhalten, was unter anderem zu den auf eine eigene Weise beeindruckenden Rundumschlägen des kaum zu beneidenden Übungsleiters gegen Medien und Spieler führte. Der Druck, der sich in diesen Äußerungen entlud, verdeutlicht, in welch bemitleidenswerter Position sich der bei dem meisten Spielern beliebte Coach befand. Eine Situation, die von nicht wenigen als „unwürdig" beurteilt wurde, und in der Konsequenz von der Forderung begleitet wurde, entweder einen deutlichen Vertrauensbeweis für den Trainer auszusprechen oder seine sofortige Entlassung zu verkünden. Eine Situation ferner, deren Nichtbehebung zu schwerwiegenden Vorwürfen gegen das Management führte.
Wie aber ist das Verhalten von Watzke und Zorc in diesem konkreten Fall zu beurteilen? Also explizit jenseits der auffälligen und kaum wegzudiskutierenden strukturellen Probleme der KGaA Borussia Dortmund, der fehlerhaften Hierarchie und der Einmischungen des Geschäftsführers in die tägliche Arbeit seiner von ihm ausgewählten Verantwortlichen für den sportlichen Bereich. Oder ganz konkret gefragt: Wurde von Seiten der Geschäftsleitung der optimale Zeitpunkt für den Trainerwechsel verpasst? Wurde Thomas Doll in der Rückrunde übel mitgespielt? Ist die möglicherweise fällige Abfindung „verschenktes Geld", das sich durch eine klügere Politik und durch Verzicht auf die Vertragsverlängerung „ohne Not" hätte vermeiden lassen?
Die Beantwortung dieser Fragen erfordert einen Rückblick in die Winterpause der Saison. Spätestens nach der Niederlage in Nürnberg im November 2007 war auch den wohlwollensten Beobachtern deutlich geworden, dass es im Verhältnis Thomas Doll - Borussia Dortmund kriselte. Der erschreckend blutleere Auftritt der Mannschaft, die gravierende Verunsicherung der Spieler, nicht zuletzt durch die andauernden Systemumstellung, das mangelnde Spielkonzept, die Probleme in der Innenverteidigung, die Stagnation junger Spieler und schwer nachzuvollziehende personalpolitische Entscheidungen des Trainers; all dies war bereits nach dem 14. Spieltag deutlich und ließ sich auch nur mühsam durch die begeisternden Auftritte gegen Stuttgart und Bielefeld kaschieren. Die schmerzhafte Niederlage in Wolfsburg führte einige der Defizite erneut nachdrücklich vor Augen.
Trotz alledem entschied sich die Führungsebene der Borussia im Winter dafür, Thomas Doll weiterhin das Vertrauen auszusprechen. Eine Entscheidung, die durchaus kontrovers beurteilt werden kann, für die es aber noch genügend hinreichende Argumente gab: War es denn nicht so, dass Borussia Dortmund vereinzelt das schlummernde Potential angedeutet hatte? War der Verein nicht immer noch im Pokal vertreten? Waren nicht mit Sebastian Kehl und dem Toptorschützen Alexander Frei zwei für die Kaderhierarchie enorm wichtige Kräfte lange Zeit ausgefallen oder erst auf dem Weg, ihren Spielrhythmus wiederzufinden? Hatte nicht Thomas Doll großen Anteil am letztjährigen Klassenerhalt und habe er nicht deswegen auch über die erste Krise hinausgehendes Vertrauen verdient?
Die Tabellenplatzierung war alles andere als zufriedenstellend, aber dramatisch war die Lage keineswegs. Für den Einzelnen nachvollziehbar oder nicht, die Entscheidung ging dahin, dem kritisierten Trainer die Möglichkeit zu geben, unter besseren Bedingungen - d.h. nach Behebung sportlicher Baustellen durch Neuverpflichtungen und Rückkehr von Leistungsträgern - sich dem Saisonziel anzunähern. Schließlich war die jüngere Geschichte auch nicht auf Seiten derjenigen, die den Trainerkopf forderten, waren doch im letzten Jahrzehnt zweimal übereilte Trainerentlassungen gescheitert, als die eigenen Erwartungen größer als das Leistungspotential der Mannschaft waren.
Problematischer wurde die Situation aber durch die Vertragslage des Protagonisten Doll, dessen Vertrag zum Saisonende auslief. Galt es das Risiko des bundesligaweit-bekannten Phänomens der „lame duck", in Dortmund auch „Röber" genannt, zu vermeiden, durfte die Bewährungssituation für den Trainer nicht allzu deutlich nach außen bekannt geben werden. Die Geschäftsleitung entschloss sich deshalb für einen Mittelweg: Rückendeckung für den Trainer durch Vertragsverlängerung, aber Minimierung des finanziellen Risikos durch Verlängerung um vorerst nur ein Jahr (wohl inklusive erfolgsabhängiger Verlängerungsklausel, diese Analogie lässt sich aus dem Zorc-Vertrag ohne weiteres schließen.) Dem Trainer hingegen war dies als öffentlicher Vertrauensbeweis wohl zu wenig, er pokerte auf ein zweites Jahr - und musste dafür eine festgeschriebene Entschädigungsklausel hinnehmen, die in etwa dem finanziellen Risiko des vom Verein präferierten Konstrukts entsprach.
Soviel zur Ausgangslage. Während der Rückrunde aber verdeutlichte sich recht schnell, dass es dem Trainer nicht gelang, die ihm eingeräumte Bewährungschance überzeugend zu nutzen. Der herausragenden Leistung seiner Mannschaft im Pokal stand eine Ligabilanz gegenüber, die die dürftige Ausbeute der Vorrunde noch unterbot. So kam es, dass die auffälligen Defizite die Trainerfrage erneut auf die Tagesordnung brachten. Spätestens die Doppelniederlage in München und gegen Hannover dürfte die Geschäftsführung in ihrer Überzeugung bestätigt haben, mit einem neuen Trainer in der kommenden Saison den Versuch zu starten, sich den seit nunmehr fünf Jahren hinterher gehechelten Ansprüchen von Verein und Umfeld anzunähern.
Hätte zu diesem Zeitpunkt eine Trainerentlassung Sinn gemacht? Dass Thomas Doll noch das Pokalfinale betreuen durfte, erschließt sich schon aus Anstandsgründen. Eine Entlassung unmittelbar nach diesem hätte nicht nur einen Märtyrer geschaffen, sondern auch dem Verein absolut nichts gebracht. Die Saison war so gut wie gelaufen, der drohende Abstiegskampf doch noch recht weit entfernt und die Unruhe eines Trainerwechsels wäre wahrscheinlicher gefährlicher geworden, als mit der gewohnt konstanten Inkonstanz unter dem amtierenden Trainer die notwendigen drei bis vier Punkte sicherzustellen. An einen fähigen Nachfolger, der sofort hätte übernehmen können, war in der laufenden Saison eh nicht zu denken. Eine Beförderung des Amateurtrainers hätte der mit dem Klassenerhalt beschäftigten zweiten Mannschaft geschadet und womöglich, bei exzellentem Verlauf, dem Nachfolger das Leben schwer gemacht (siehe die falsche Borussia und Horst Köppel.) Und auch die Co-Trainer drängten sich nicht ohne weiteres für einen Neuanfang auf.. Es sprach also nichts dafür, dass der amtierende Trainer nicht für die Zeit, die er vom Verein für diese Aufgabe bezahlt wird, die Saison vernünftig zu Ende bringt.
Blieb noch die Frage, wie mit dieser Entscheidung nach außen umgegangen werden sollte? Sollte diese Lösung offensiv nach außen vertreten und damit die bereits kaum zu unterbindende Nachfolgediskussion weiter angeheizt werden, wobei gleichzeitig wieder eine „lame duck" generiert würde? Oder wäre der Weg der dreisten Lüge eine Alternative, also dem Trainer eine glänzende Zukunft vorauszusagen, auf die Gefahr hin, selbst dadurch die Medienlandschaft nicht nachhaltig zu beruhigen und später als Lügner entlarvt zu werden?
Auch hier entschied sich die sportliche Leitung für einen Mittelweg: Verweigerung einer Blankovollmacht, aber auch keine deutliche Distanzierung vom Trainer. Dass auch dies nicht der Ruhe dienlich war, ist offenkundig. Aber nüchtern betrachtet gab es hier die Möglichkeit einer „richtigen Entscheidung" nicht. Jeder Weg für sich hätte im Einzelfall gut gehen, aber auch katastrophal scheitern können. Der Dortmunder Weg erwies sich im Nachhinein als kleines Übel: der Klassenerhalt wurde mühelos gesichert, die Unruhe, die auch durch die in Dortmund wohl unvermeidliche interne Weitergabe der angelaufenen Marktsondierung entstand, war störend, aber hielt sich doch im Rahmen. Der Geschäftsführer klang unglaubwürdig, konnte aber - so gut es in einer solchen Situation eben geht - sein Gesicht wahren.
Was aber wurde Thomas Doll mit dieser Situation angetan? Hier lässt sich nur spekulieren, inwieweit er in die Pläne eingeweiht war: Wusste er bereits von seiner folgenden Demission und machte gute Miene zum bösen Spiel? Oder glaubte er sich in einer Bewährungssituation, und wurde erst am Tag seines Rücktritts / seiner Entlassung von seinem Scheitern informiert, wie es das von Deutschlands großer Boulevardzeitung kolportierte Bild von dem ausdruckslosen und wortlosen Abgang suggeriert?
Im zweiten Fall hätte die Geschäftsführung sich moralisch alles andere als akzeptabel verhalten. Es sind aber nicht wenige Hinweise, die auf erste Vermutung schließen lassen: die wenig spontane Wutrede gegen Umfeld und Medien, die scharfe Kritik an einzelnen Spieler, die er noch kurz zuvor vehement verteidigt hatte und die nur wenig verklausulierte Kritik an der Kaderzusammensetzung legen den Verdacht nahe, als versuche hier ein Trainer nachträglich seine Verantwortung für die Gesamtlage zu minimieren und die eigene Leistung besser darzustellen, als sie öffentlich wahrgenommen wird. Die auffällige Resignation in seinen Äußerungen und die auch nach außen getragene mangelnde Überzeugung, Trainer über das Saisonende zu bleiben, deuten in die gleiche Richtung. Nicht zuletzt ist aber auch die offizielle Sprachregelung des eigenen Rücktritts ein deutliches Zeichen für eine durchdachte und bereits länger beschlossene Trennung, da sie nicht nur der Vereinsführung bei der Gesichtswahrung hilft, sondern auch dem Trainer selbst. So ist es doch bereits in normalen Angestelltenverhältnissen nicht unüblich, Kündigungen durch angeblich eigenständige Rücktritte zu kaschieren, um einen positiven Lebenslauf zu wahren.
Wer die letztgenannte Alternative für nicht abwegig hält, kann
schwerlich Watzke und Zorc für die Art und den Zeitpunkt der Kündigung
Dolls kritisieren.
Der Trainer erhielt zu einem Zeitpunkt, als der Niedergang im
Anfangsstadium, die Lage aber noch zu retten gewesen wäre, die durch
eigene Leistung verdiente Möglichkeit, eigenständig die Kehrtwende zu
schaffen. Da er zwar nicht grandios, aber doch offensichtlich daran
scheiterte, wurde ihm eine weitere Chance verwehrt. Weil eine
frühzeitige Trennung kontraproduktiv gewesen wäre, hat er die
angefangene Tätigkeit zu Ende geführt. Der mediale Gegenwind in dieser
Übergangsphase war nicht angenehm, sollte aber durch den in
marktüblichen Trainergehältern enthaltenen Schmerzensgeldanteil
abgegolten sein.
Ohne Vertragsverlängerung im Winter wäre der begründbare Versuch einer Bewährungschance für Thomas Doll nicht durchführbar gewesen, die jetzt fällige kolportiere Abfindung war die notwendige Bedingung, quasi der Wetteinsatz für das Projekt Thomas Doll. Er ist verkraftbar, insbesondere für die zentrale Stellung, die dem Trainerposten im Konstrukt Bundesligaverein zukommt. Nicht zuletzt ist dieser Betrag, so pervers es auch klingen mag, lächerlich gegenüber den sonstigen Ausgaben der Lizenzspielermannschaft. Nicht zu vergessen: ein im Winter gefeuerter Doll hätte die gleiche Summe gekostet, da er vermutlich keinen neuen Verein bis Ende der Saison übernommen, also sein Gehalt weiterhin kassiert hätte..
Den richtigen Zeitpunkt für eine Trainerentlassung mag es nicht geben. Die Trennung zu Beginn der Sommerpause ist sicherlich für die Belange des Vereins die glücklichste Lösung. Aus diesem Grund haben Watzke und Zorc in diesem konkreten Fall richtig gehandelt, was aber nicht ihre Verantwortung für Fehlentwicklungen auf anderen Feldern vergessen machen sollte.
geschrieben von Thomas Podranski
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