Fußball offline

Das Wunder von Bern - Nostalgischer Griff in die Klamottenkiste

16.10.2003, 00:00 Uhr von:  Desperado09
Das Wunder von Bern - Nostalgischer Griff in die Klamottenkiste
© Amazon

Heute startet der Film, auf den ganz (Fußball-) Deutschland gewartet hat: Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern" lässt den Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 noch einmal Revue passieren - angereichert mit sehr viel Phantasie, Humor und kitschigen 50er-Jahre-Technicolor-Farben.

Es beginnt trist: Das Ruhrgebiet 1954, eine schmutzige Arbeitersiedlung, irgendwo in Essen. Eine Kokerei qualmt vor sich hin, die Fassaden der Häuser sind schwarz - genau der Ort, an dem Fußball-Helden geboren werden. Hier wohnt der kleine Matthias Lubanski (Louis Klamroth). Der Junge, selbst ein mäßiger Kicker, himmelt den großen Helmut Rahn, genannt "der Boss", an und arbeitet als Taschenträger für sein Idol. Die Ruhrpott-Idylle täuscht. Matthias' Familie wartet auf die Rückkehr des Vaters (Peter Lohmeyer) aus russischer Kriegsgefangenschaft. Und tatsächlich: Eines Tages steigt der Vater aus dem Zug, und für die Familie beginnen völlig neue, harte Zeiten. Der verbitterte Vater findet sich nicht in der neuen Republik zurecht und führt daheim ein strenges Regiment. Erst ein Gespräch mit dem Pfarrer bringt ihn zum Umdenken, und so entschließt er spontan, mit seinem Sohn zum WM-Finale nach Bern zu fahren. Denn eines ist sicher: Ohne Matthias gewinnt der Boss Helmut Rahn kein wichtiges Spiel.


Unterdessen fiebert der Münchner Sportjournalist Ackermann der WM entgegen, da er für einen Kollegen einspringen darf. Kurzerhand sagt er die geplante Hochzeitsreise mit seiner wenig verständnisvollen Frau ab und nimmt sie stattdessen mit in die Schweiz. Dort bereitet Sepp Herberger seine Mannschaft auf das Turnier vor. Die Deutschen starten mit einem Sieg über die Türkei in die WM, verlieren dann gegen Ungarn, spielen erneut gegen die Türken und erreichen so das Viertelfinale gegen Jugoslawien. Ackermann besucht Spiele und Pressekonferenzen, während seine Frau ihre Liebe zum Fußball entdeckt.

Am großen Tag des Finals kommt es zum großen Showdown: Deutschland spielt gegen Ungarn, Matthias und sein Vater fahren im vom Pfarrer geliehenen Auto gen Schweiz, und die Ackermanns fiebern im Stadion mit - auch, weil eine Wette über den Ausgang des Spiels über das spätere Geschick der Familie entscheiden wird.
Der Ruhrpott-Junge Wortmann, in den frühen 80ern selbst Profi bei der SpVgg Erkenschwick, hat besonders die Ruhrgebiets-Szenen mit sehr viel Liebe inszeniert. Dennoch wirken manche Charaktere nicht wirklich authentisch. Insbesondere die Mentalität der Ruhrgebietler wird nur schemenhaft gezeichnet, was sich besonders stark in der Sprache niederschlägt: Mutter Lubanski spricht einfach zu perfektes Deutsch und wirkt etwas fehl am Platze. Ganz anders Peter Lohmeyer. Der gebürtige Sauerländer und (leider bekennende Schlacke-Fan) spielt den Heimkehrer mit viel Gefühl und Ausdruck. Die zerrissene Persönlichkeit, die harte Schale mit butterweichem Kern - Lohmeyer bringt schauspielerisches Flair auf die Leinwand. Gleiches gilt für seinen Sohn Louis Klamroth (im Film und im richtigen Leben ein Lohmeyer-Spross), der mit Begeisterung, Naivität und offenkundig großem Talent den Matthias gibt.
Warum Wortmann den Nebenschauplatz München mit den Eheleuten Ackermann in die Geschichte integriert hat, bleibt bis zum Ende des Films unverständlich. Meist dienen die beiden als Steigbügelhalter für Slapstick-artige Lachnummern, die der Film eigentlich nicht braucht. Mehr Mühe hat sich der Regisseur da bei der Besetzung der Nationalmannschaft gegeben. Alle Spieler reden in der entsprechenden Mundart, und sofort lebt der Film. Wunderbar, wie die beiden Gegensätze Rahn und Fritz Walter auf einem Zimmer wohnen: Hier Rahn, der pragmatische Ruhrpott-Rabauke, dort Walter, der ordentlich und penibel auf seinen Zimmernachbarn aufpasst. Herrlich ist auch die Szene, in der Sepp Herberger Helmut Rahn nach einer Sauftour bestrafen möchte und von einer gemütlichen, weisen schweizer Putzfrau daran gehindert wird.

Ansonsten spielt Wortmann sehr viel, wenn nicht zu viel, mit historischen Begebenheiten und gibt sich die Mühe, alle Vorkommnisse rund um die WM irgendwie mit seinen Protagonisten in Verbindung zu bringen - egal, ob es nun ein Sprechchor im Stadion, die Herbergersche Lebensweisheit oder das legendäre Tor zum 3-2 ist. Hier trägt Wortmann deutlich zu dick auf und läuft Gefahr, dass der Film allzu oft ins Alberne abrutscht. Das hat der Mythos um das Wunder von Bern nicht verdient.

Alles in allem ist der Film sicherlich sehenswert - allein wegen der hervorragenden Kulissen und der offenbar sehr gründlichen Recherche. Nur zu viel sollte der Zuschauer nicht erwarten. Ruhrpott-Flair und kleine Comedy-Einlagen machen noch keinen wirklich guten Film. Lohmeyer und sein Sohn Louis retten den wunderbar fotografierten Streifen durch ihr engagiertes Spiel vor dem Abrutschen in die Klamotte. Etwas mehr Sachlichkeit hätte dem Werk gut getan. So heißt es im Kino: zurücklehnen, entspannen, berieseln lassen. Und um's vorweg zu nehmen: Deutschland wird Weltmeister!

Homepage zum Film: www.DasWundervonBern.de

Senator-Film

Kaufen bei Amazon.de:
Das Wunder von Bern - Das Buch

Das Wunder von Bern, 2 Audio-CDs

Das Wunder von Bern (2er DVD-Set)

Das Wunder von Bern (Single-DVD)

Das Wunder von Bern (VHS)

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel