Neues aus Block 11 - Oder: Tschuldigung, ich muss hier `mal durch
Der Mensch ist einfach ein unvollkommenes Wesen. Den Beweis kann man jeden zweiten Samstag im Westfalenstadion, Block 11, besichtigen: Nicht nur, dass der Durchschnittsmensch absolut ungeeignet ist, die Ergebnisse von Fußballenspielen richtig vorherzusagen. (Ich: "Ich tipp drei zu eins für uns gegen Legokusen". Ecki: "Meinze, die Pillendreher machen überhaupt `ne Bude?" Holger: "Ich glaub an `nen Kantersieg." Andi: "Ich glaub es wird schwer, zwei zu eins für uns." usw.).
Nein, Leute, und glaubt auch nicht an die Legenden von tapferen Menschen, die mit einem halben Liter Wasser und einem Schokokeks die Sahara durchquert oder mit einer Tüte Studentenfutter im Socken den Mount Everest bezwungen haben. Der Durchschnittsbürger, zumindest der Fußballfan, ist noch nicht `mal in der Lage 45 Minuten am Stück ohne Flüssigkeitsaufnahme auszuhalten.
Das heißt: Eigentlich gibt es wohl zwei Spezies. Die einen müssen spätestens 15 Minuten nach dem Anpfiff schon wieder bestimmte Örtlichkeiten unter der Südtribüne aufsuchen, um Flüssigkeit zu absorbieren (obwohl sie vor dem Spiel stundenlang das dritte Becken von rechts blockiert und mich an meinen siegbringenden Verrichtungen gehindert haben, siehe "Neues aus Block 11, Folge 1). Die anderen haben das genau entgegengesetzte Problem: Sie müssen nach spätestens 15 Minuten massive Austrocknungserscheinungen bekämpfen und suchen dazu andere Örtlichkeiten unter der Tribüne auf. Menschen, die zu dieser Spezies gehören, sind allerdings höflich und vorausschauend: Sie warten bis zum Anpfiff, um sich erst dann mit einem größeren Flüssigkeitsvorrat auf ihre Plätze zu drängeln; dann, wenn der erste oder zweite Angriff schon läuft. Dank dieser weisen Voraussicht sieht man diese Menschen erst etwa ab der 17. Minute wieder, wenn sie sich nicht nur durch alle hindurch, sondern auch noch um die herumzwängen müssen, die gerade wieder zurückkommen. Diejenigen, die am schwersten leiden, hat der Verein vorausschauend auf der Nordtribüne, Oberrang, untergebracht. Mein Gott, ich dachte, die kommen nach der Pause überhaupt nicht mehr wieder.
Natürlich gibt es auch Mischformen. Irgendwo muss die zugeführte Flüssigkeit schließlich wieder hin.
Eine dritte Spezies hätte ich beinahe vergessen: Das sind diejenigen, die unter einer extremen Fixierung auf ihren Autoschlüssel leiden. Dieses Phänomen tritt aber glücklicherweise erst ab etwa der 75.Minute eines Fußballspiels auf: Meist drängen sie - Autoschlüssel voran - durch die Reihen nach unten oder zu den Eingängen nach oben. Manchmal - wenn sie sich noch einigermaßen im Griff haben - klimpern sie nur ungeduldig mit den Schlüsseln in der Jackentasche, bleiben einem meist direkt vor der Nase stehen, weil sie hin und her gerissen sind zwischen Autoschlüsselzwang und Fußballgucken. Der Autoschlüssel ist immer stärker.
Eines haben alle diese Menschen jedoch gemeinsam: Den Punkt, der ihnen Halt gibt in der Unübersichtlichkeit von Block 11. Der ihnen offenbar Orientierung gibt auf ihrem Weg nach unten oder nach oben - und das bin ich.
"Hey", sagt das Unterbewusstsein all dieser Menschen, "das ist doch dieser unauffällige Typ mit Brille, der einen schwatzgelben Schal wie alle anderen trägt, der weder besonders groß noch besonders klein ist und auch sonst keine auffälligen Merkmale hat. Den merkst Du Dir. Und von dem aus nur noch ans andere Ende des Blocks und zehn Reihen höher. Da sind Deine Kumpels, die auf das Bier warten."
Beim letzten Spiel gegen Legokusen, da hatte ich die Nase voll. Da wollte ich endlich in Ruhe Fußball gucken. Da habe ich mir einen schlechten Platz gesucht, ganz außen, direkt am Zaun.
15 Minuten lang ist alles gut gegangen: Meine
Halsmuskeln bekommen zwar schon Krämpfe, weil ich um den Lulatsch vor
mir herumlinsen muss, aber ich kann noch einigermaßen was sehen. Null zu Zwei
steht´s, ein Freistoß von Oliseh knallt an die Latte, Matysek
erwischt auch den Nachschuss nicht richtig. Wörns fliegt heran und ...
...eine Hand mit mit fünf Bierbechern schiebt sich vor meine Augen. Eine
Schulter rempelt mich gegen den Zaun. Und im Torschrei um mich `rum höre ich
eine Stimme: "Tschuldigung, ich muss hier `mal durch."
P.S. Der Autor ist derzeit nicht erreichbar. Er ist wegen der Folgen eines Tobsuchtsanfalls und akutem Verfolgungswahn in Behandlung.