Mittwoch, 01.10., Westfalenstadion Dortmund, 21 Uhr. Als das Champions League-Spiel gegen Bilbao angepfiffen wird, stehe ich auf meinem üblichen Platz in Block 83. Um mich herum drängeln sich die Menschen, es riecht nach Bier und Zigarettenrauch. Stehplatztribüne halt.
Das Spiel kostet mich 14,52€ mit meiner Dauerkarte. An der Tageskasse wären es 18,50€ gewesen. Gegenüber auf der Nord hat sich ein ordentlicher Gästemob aus Spanien eingefunden.
Alles normal also? Leider nein. Ich muss in diesem Moment an Kathas Vorbericht zum Spiel denken.
„Wie traurig, 200€ zahlen zu müssen, Wenn du das Spiel in San Mamés sehen willst und 18,50€, wenn du es in Deutschland schaust."
Gästefans? Immer häufiger Fehlanzeige.
Immerhin, man hätte in Bilbao als Gästefan zumindest wohl anreisen dürfen. Ein Umstand, der vor allem in Italien und Frankreich schon lange nicht mehr selbstverständlich ist. Bereits zum zweiten Mal trifft es gerade die Fans von Eintracht Frankfurt: Erneut gibt es keine Gästetickets für das Spiel in Neapel.
Kein Einzelfall. Chaled Nahar hat für sportschau.de seit 2022 17 internationale Partien aufgelistet, in denen ein Gästefanausschluss mindestens angestrebt wurde.
Eine Maßnahme, die in Deutschland bei internationalen Spielen kaum denkbar ist. Selbst eine Reduzierung des vorgeschriebenen Gästekontingents von 5%, in anderen Ländern eine gängige Praxis, kommt in Deutschland nicht vor.
„Europe wants to stand“
Jahrzehntelang galt in Europa: International sitzt man sich den Arsch platt. Nach der Katastrophe von Heysel wurden Stehplätze verbannt. Auch national gerieten Stehplätze immer weiter in die Defensive. Den einen warfen sie nicht genug Gewinn ab, den anderen waren Stehplätze der Quell aller angeblichen Gewalt. Doch 2022 dann die Kehrtwende der UEFA: Auch international erstrahlt die Südtribüne nun in vollem Glanz, ein Privileg, dass sich Deutschland seit einigen Jahren mit ausgewählten anderen Nationen teilt.
Fußballparadies Deutschland
Deutschland ist in Europa ein fußballkulturelles Paradies: Stehplätze, moderate Preise, volle Gästeblöcke - das gibt es woanders kaum. Ein Paradies, das hart erkämpft wurde. Nicht von Vereins- oder Verbandsfunktionären (ein paar leuchtende Beispiele mal ausgenommen), die ja im Sinne des Sports genau so etwas anstreben müssten, sondern von Fans. Fans, die sich engagieren, die protestieren, die sich einbringen und für den Fußball, den wir lieben kämpfen.
Und während ich in Block 83 stehe und das Spiel verfolge, wird mir wieder bewusst, wie bedroht dieses Paradies ist: Durch geldgierige Funktionäre, Innenminister*innen mit Law-and-Order-Fetisch und rechtspopulistische Polizeigewerkschaftler, die aus Fußballspielen sterile Eventveranstaltungen mit einer noch größeren Gelddruckgarantie machen wollen.
Wenn also zukünftig mal wieder Tennisbälle auf den Platz fliegen, Spiele unterbrochen werden und Reporter*innen von „unverbesserlichen Chaoten“ schwadronieren, dann denkt dran: Genau diese Chaoten tragen dazu bei, dass ihr für 18,50 € auf einem Stehplatz das Spiel schauen könnt - und nicht für 200 € auf einem Plastiksitz.
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