
Hand aufs Herz: wer hätte Mitte März gedacht, dass wir aus den Spielen gegen Mainz, Freiburg, Bayern und Mönchengladbach nicht nur ungeschlagen herausgehen, sondern mit zehn Punkten auch ziemlich nahe an die maximal mögliche Ausbeute herankommen? Ergänzt noch durch einen 3:1 Heimsieg gegen den FC Barcelona, der zwar nicht mehr für ein Weiterkommen ausgereicht hat, aber dennoch die erste Niederlage der Katalanen im Jahr 2025 darstellte. Auf einmal scheint die Teilnahme am Europapokal wieder in relativ greifbarer Nähe zu sein und selbst die Champions League-Plätze sind nicht mehr weit entfernt.
Mut macht dabei, dass die Punkte nicht nur irgendwie glücklich zusammenergaunert wurden, sondern absolut verdient waren. Anders als zum Beispiel in der vorletzten Fast-Meister-Saison, bei der man sich zwischen Bällen, die vom Rücken ins gegnerische Tor geplumpst sind, und Eckballtoren in allerletzter Minute häufiger gefragt hat, wie man es auf den ersten Tabellenplatz schaffen konnte, wirkt die Mannschaft mittlerweile strukturiert und stabilisiert. Selbst eine bis zum Ausgleich schwächere erste Halbzeit gegen Mönchengladbach wirkte nicht wirklich chaotisch, sondern eher einer Hektik geschuldet, weil man es zu sehr wollte und in der Folge die Angriffe nicht konzentriert zu Ende gespielt hat. In der zweiten Halbzeit ist man dann nach dem Elfmetertor der Gladbacher ruhig und konzentriert geblieben. Ein Setting, in dem man vor einigen Wochen vermutlich in heillose Panik verfallen wäre und weitere Gegentore kassiert hätte.
Der Trainerwechsel als Wendepunkt

Ein entscheidender Faktor für diesen Wandel dürfte der Wechsel auf der Trainerbank von Nuri Sahin hin zu Niko Kovac gewesen sein, der nach anfänglichen Startschwierigkeiten gut erkannt hat, welche Grundordnung für den Kader die passende ist und wie er die zur Verfügung stehenden Spieler am besten einsetzen kann. Folgerichtig ging dann auch das Hinspiel in Barcelona, in dem Kovac davon abwich, mit 0:4 deutlich in die Hose. Fairerweise muss man anmerken, dass er auch von so großen Ausfallwellen, wie Sahin sie aushalten musste und in der bis zu neun Ausfälle zu verkraften waren, verschont geblieben ist. Dennoch ist der Unterschied zwischen beiden Trainern mehr als deutlich. Auf der einen Seite Sahin, der eine fußballerische Idee umsetzen wollte, ohne darauf zu achten, ob er die Spieler dafür hat und auf der anderen Seite Kovac, der schlicht und ergreifend pragmatisch an die Sache heran ging und mit den vorhandenen Mitteln gearbeitet hat. Stand jetzt hat er zumindest einiges dafür getan, dass die große Skepsis, die ihm bei seiner Verpflichtung von Fanseite aus entgegenschlug, deutlich abgeebbt und eine Weiterbeschäftigung zur neuen Saison sehr wahrscheinlich ist.
Es ist sogar recht angenehm, auf der Trainerbank mal wieder eine „alltägliche“ Lösung zu haben, die nicht emotional überfrachtet ist. Niko Kovac ist kein „Dortmunder Jung“, kein „Borusse von Kindheit an“, sondern eine ganz normale Geschichte, bei der allen klar ist, dass sie zeitlich begrenzt ist. Anders als bei Terzic und Sahin erwartet hier niemand mit aller Macht das große, romantische Märchen, bei dem aus dem Aschenputtel der Meistertrainer wird und alle glücklich bis ans Ende ihrer Tage zusammenbleiben. Und diese Normalität tut Borussia Dortmund auch ganz gut.
Dennoch: kein "weiter so wie bisher"
Also, alles gut, wenn man mit einem Gewaltmarsch am Ende doch noch die Champions League erreicht, weil man mit Kovac die richtige Personalentscheidung getroffen hat? Die Befürchtung ist nicht unbegründet, dass man am Rheinlanddamm genau in diese Denkweise verfallen könnte und sich heimlich auf die Schulter klopft. Was allerdings grundfalsch wäre. Viel wichtiger ist, dass man sich fragt, warum man überhaupt erst in diese Situation gekommen ist, dass man permanent seine Trainer wechselt?Warum man im Januar so lange eine Entscheidung in der Trainerfrage vor sich hergeschoben hat, warum man sich in der Causa Cherki zum zweiten Mal eine Kopfnuss abgeholt hat und warum mit Sven Mislintat ein alter Bekannter nach kurzer Zeit wieder gehen musste? Und das sind nur die Vorgänge aus der jüngsten Vergangenheit, die es zu analysieren gilt. Jedem BVB-Fan fallen aus dem Stehgreif weitere Vorgänge ein, die ein Stirnrunzeln zur Folge haben. Zum Beispiel der Umstand, dass man mit Moukoko einen Vertrag für ein irres Jahresgehalt verlängert hat, ohne dass der Spieler zuvor in der Bundesliga den Eindruck erweckt hat, die erhoffte spielerische Klasse wirklich liefern zu können. Auch dass man jetzt im zweiten Jahr hintereinander mit Verpflichtungen in der Winterpause Schwachstellen ausbessern musste, die man in der Vorbereitung auf die Saison offenbar nicht erkannt hat, ist kein befriedigendes Arbeitszeugnis.
Der aufsteigende Trend der letzten Wochen darf, selbst wenn es doch noch zum Erreichen des Minimalziels reichen sollte, nicht dazu führen, dass man die erforderlichen Änderungen in personeller Hinsicht und auch in Sachen Unternehmenskultur unterlässt. Das System „Stallgeruch“ ist an seinem Ende angekommen und muss durch eins ersetzt werden, in dem Qualifikation wichtiger ist als alte Bekanntschaften und Verbundenheit. Dann kommen wir vielleicht auch wieder dahin, Borussia für die Zukunft zu gestalten, statt nur zu versuchen, irgendwie den Glanz der letzten Jahre zu konservieren.
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