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Interview mit BVB-Fan Chris „Die Positionen der AfD stehen diametral gegen die Werte des BVB“

30.08.2024, 19:09 Uhr von:  Caroline
Sticker "BVB Fans gegen Rechts", Faust zerschlägt Hakenkreuz

Von Zorc bis Reus – 31 Jahre Fandasein im Osten Deutschlands: Chris verfolgt nicht nur seit 1993 die Dortmunder Spiele, sondern schreibt auch rege im BVB-Forum als Pa1n mit. Wir sprachen mit dem gebürtigen Sachsen über unsere Borussia, das Leipziger Marketingprodukt und die kommenden Landtagswahlen.

Wie bist du BVB-Fan geworden? 

Ganz klassisch übers Fernsehen. Gelb war schon immer meine Lieblingsfarbe und dieses leuchtende Neon-Gelb der 90er Jahre fand ich schöner als das „schmutzige“ von z.B. Dynamo Dresden. Ich habe daher von ~1993 an die Spiele des BVB in den Zusammenfassungen von Sportschau und später ran verfolgt. 

Im Nachhinein finde ich die damaligen Trikots eher katastrophal, mittlerweile bevorzuge ich ein schlichtes klassisches Design im mittlerweile puren Gelb.

Wer ist dein Lieblingsborusse?

Hier nur einen zu nennen, würde den vielen anderen nicht gerecht. Der erste war Matthias Sammer, weil er immer auch über seine Schmerzgrenze hinaus ging. Dazu kommen natürlich Michael Zorc, Tomáš Rosický, Marcel Schmelzer und selbstverständlich Marco Reus. Ein – auch im Nachgang – meiner Meinung unterschätzter Borusse ist Ebi Smolarek. Unvergessen sein Tor zum 2:0 gegen die Blauen 2007 und der anschließende Jubel auf dem Zaun.

Aus der Ferne sieht man jubelnde Spieler zur schwarzgelben Südtribüne rennen. Torschütze Ebi Smolarek feiert auf dem Zaun.
Smolarek wird zum Derbyhelden 2007

Welches war dein erstes BVB-Spiel im Stadion?  

Relativ spät, ok, ich war damals auch „erst“ 15, das war erst 2002 am 34. Spieltag gegen Werder Bremen, Osttribüne. Als Jan Koller das 1:1 erzielte, stand er direkt vor mir.

Wie verfolgst du die Spiele in der Regel? 

Meistens am Fernseher ob der geografischen Hürde. (Heim-)Spiele des BVB sind immer extrem zeit- und auch kostenaufwändig. Ich versuche dennoch möglichst 10x/Jahr im Stadion zu sein, meistens mit einem 50/50-Split zwischen Heim- und Auswärtsspielen. In dieser Saison gibt es leider nicht (mehr) allzu viele reizende Auswärtsspiele.

Du kommst selbst aus dem Umkreis von Leipzig. Deine Heimat wurde gezielt als Standort für ein unliebsames Marketingprodukt ausgewählt – auch mit der Argumentation, die Menschen im Osten würden sich nach Bundesliga-Fußball sehnen. Wie bewertest du die Rolle von RaBa Leipzig im Osten?  

Das ist aber auch nur die Geschichte, die nach außen erzählt wird. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass diese Firma auch bei vielen anderen Vereinen angefragt hat u.a. St. Pauli – nur scheiterte es dort an der Fan-Basis. 

Die Menschen nehmen das Produkt schon an, wenngleich auch nicht in dem Maße, wie man es sich vorstellte. Die kommunizierten Zahlen sprechen zwar immer von einer Stadion-Auslastung von >90%, aber wenn man dann mal auf die Ränge schaut, sieht man sehr deutlich, dass es oft nur maximal 60% sind. Und das als 600.000-Einwohner-Stadt – mit Umland kommt man sogar auf über eine Million Einwohner – ohne großen Konkurrenz-Verein in der Nähe. Ich muss auch dazu sagen, dass der „Verein“ in der Stadt fast gar nicht stattfindet. Wenn man sich durch Leipzig bewegt, deutet nicht so viel daraufhin, dass hier ein Bundesligist ansässig ist.

Wie schwarzgelb ist Fußball-Sachsen?

Der BVB hat schon viele Fans in Sachsen, und auch Thüringen aufgrund der Erfolge in den 90er Jahren. Es gibt daher auch zahlreiche Fanclubs in der Region und mit den Ostborussen auch einen der größeren mit über 500 Mitgliedern. Es gibt auch Kontakte zwischen den Fanclubs: Wenn es sich ergibt, begibt man sich auch mal gemeinsam auf die Reise.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen Landtagswahlen an. Wir hören oft, Politik und Fußball solle man trennen. Wie siehst du das? 

Ich glaube, dass Sport im Allgemeinen und Fußball im Speziellen nie unpolitisch war und je sein wird. Das beginnt ja schon damit, dass in jedem Verein Menschen unterschiedlicher Herkünfte zusammenkommen – sowohl bei den aktiven (Spieler) als auch passiven (Fans) Mitgliedern. Fußball hat für mich auch immer eine verbindende Funktion – sowohl auf als auch abseits des Platzes. 

Dazu kommen aber auch fanpolitische Themen wie fangerechte Anstoßzeiten und natürlich auch erschwingliche Ticketpreise. Fußball darf nicht zu einem Luxusgut für ausschließlich höhere Schichten verkommen, wie es in England teilweise oder größtenteils der Fall ist. 

Ergänzend noch dazu: Ein jeder Verein hat nach meiner Ansicht eine soziale Verpflichtung seinen Fans und Mitgliedern gegenüber. Gerade bei einem so großen Verein wie dem BVB mit seinen über 200.000 Mitgliedern hast du zwangsläufig Mitglieder aus vielen Nationen und Religionen, sexuellen Orientierungen und – natürlich – politischen Gesinnungen.

Wieso sollte man auch als Fußballfan den Weg zur Wahlurne antreten?  

Das Wahlrecht ist ein hohes Gut, das alle Bürgerinnen und Bürger einer Demokratie zu schätzen wissen sollten. 

Dazu eine persönliche Anmerkung: Wer nicht wählen geht, sollte sich auch nicht über Politik und politische Entscheidungen beschweren, denn man hatte die Chance, etwas zu verändern, aber hat sie nicht wahrgenommen.

Angelehnt an eine von dir initiierte Diskussion in unserem BVB-Forum: Warum ist für dich als Borusse die Wahl der AfD unvereinbar mit den Werten des BVB? 

Die Positionen der AfD (oder noch rechteren Bestrebungen) stehen diametral gegen die Werte des Ballspielvereins, besonders in den Punkten Vielfalt, Inklusion und sozialer Teilhabe.

Banner von THE UNITY mit der Aufschrift: "Westfalenstadion – Keine Bühne für Nazis"
Ob in Dortmund, Sachsen oder anderswo: Kein Platz für Nazis!

In Umfragen kommt die AfD derzeit auf rund 30% in Sachsen. Du musst demnach davon ausgehen, dass nahezu jeder Dritte, mit dem du zu tun hast, eine Partei wählt, die du selbst im Forum als faschistisch und undemokratisch bezeichnest. Was bedeutet das für dich im Alltag? 

Ich verfolge das auch mit großer Sorge. Wir haben aber auch stets einen Nichtwähler-Anteil von über 30%, und ich kann keine Mutmaßungen anstellen, wie diese wählen würden. 

Aber es ist schon so, dass die allermeisten der AfD-Wähler genau wissen, für was die Partei steht und sie auch genau deswegen wählen. Das hat längst nichts mehr mit Protestwahl zu tun. 

Und sie werden immer selbstbewusster und verbreiten ihren Hass auf andere immer öffentlicher – gerade in kleineren Städten oder ländlichen Regionen. Wenn man AfD-Kundgebungen beiwohnt, sei es im Gegenprotest oder weil man gerade dort anderweitige Angelegenheiten zu erledigen hat, hört und sieht man widerlichste Parolen. 

Im beruflichen Alltag begegnet mir das zum Glück selten, mein Arbeitgeber ist von grundauf sehr divers aufgestellt. Im privaten Alltag betrifft es eher die Nachbarn, die man sich leider nicht aussuchen kann.

Kylian Mbappé, Kapitän der französischen Nationalmannschaft, hat sich während der Europameisterschaft und vor den Wahlen in Frankreich prominent gegen den Rechtsruck in seinem Land ausgesprochen. Anscheinend mit Wirkung: der befürchtete Wahlerfolg der Rechten blieb aus. Würdest du dir ähnlich klare Statements von Borussia Dortmund und seinen Spielern wünschen?  

Ja, ich wünsche mir ein klares Statement des e.V.!

Nicht mal unbedingt von der GmbH & Co KGaA, zum Beispiel in der Form, wie es Peter Fischer bei Eintracht Frankfurt getan hat, also in unserem Fall Dr. Reinhold Lunow. Mir würde es schon reichen, wenn die Anhänger:innen antidemokratischer Bestrebungen von ihrem Herzensverein mitgeteilt bekämen, dass sie nicht länger willkommen sind. 

Da es auch ein sensibles Thema ist, wäre es auch eine gute Idee, das in einem breiteren Forum wie der Mitgliederversammlung anzusprechen und ggf. abstimmen zu lassen. 

Allerdings sind grundsätzlich wir alle gefordert, diesen Rechtsruck aufzuhalten. Da muss die Regierung vorangehen und auch wir als Gesellschaft sind gefordert. Überzeugte Rechtsextremisten wirst du nicht zurückgewinnen können, aber einige von denen, die sich tatsächlich nicht mit dem Parteiprogramm beschäftigt haben, habe ich noch nicht aufgegeben.

Vielen Dank, Chris, für das Interview und deine offenen Worte. Wir schließen uns mit einem kleinen Wahlaufruf an: Geht wählen und helft mit, den Rechtsruck in Deutschland zu verhindern. 

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