Der BVB verspielt die Meisterschaft Wenn der große Traum zerbricht
Gefühlt waren wir in der vergangenen Woche schon Deutscher Meister. Umso härter holte unseren Autoren Tim das Spiel am Samstag auf den Boden der Tatsachen zurück. Ein Blick in die Gefühlswelt eines Borussen etwas mehr als zwei Tage nach dem letzten Saisonspiel.
An dieser Stelle möchte ich mal ein paar Worte zur vergangenen Woche sowie zum Saisonfinale verlieren. Zwischen dem Sieg in Augsburg und dem Anpfiff des Spiels gegen Mainz waren das die euphorischsten Tage, die ich je im Fußball-Kontext erlebt habe.
Seit dem Auswärtssieg in Augsburg war ich mir sicher, dass wir Deutscher Meister werden würden. Wir hatten es mit einem Heimspiel in der eigenen Hand. Nach all den Rückschlagen in der Hinrunde erzählte diese Rückrunde so viele großartige Geschichten. Marco Reus würde endlich die Schale in den Händen halten, Edin Terzic, Fan des Vereins, würde als Meistertrainer in die Geschichte eingehen, Sebastien Haller, der den Krebs besiegt hat, einen großen Beitrag zur Meisterschaft leisten. All das hatte niemand auch nur ansatzweise nach der 4:2-Niederlage in Gladbach Anfang November für möglich gehalten.
Und dort war sie dann am Samstag um 15:30. Die große Gelegenheit, nach 11 Jahren wieder Deutscher Meister zu werden. Ich habe eine solche Vorfreude auf ein Fußballspiel noch nie erlebt. Eine Stadt, ja gar eine ganze Region, war förmlich elektrisiert ob der anstehenden Meisterschaft.
Als ich am Samstag gegen 10 Uhr in die Bahn stieg war diese bereits rappelvoll. Voller euphorischer BVB-Fans, bei denen viele überhaupt nicht ins Stadion konnten, weil sie im Vorverkauf leer ausgegangen waren. Vermutlich hätte Borussia 500.000 Tickets für das Spiel verkaufen können, doch das schönste Stadion der Welt fasst nun einmal nur 81.365. So zog es viele, die mit besagtem RE3 um kurz vor 11 in Dortmund ankamen, in die City. Ob dort alle einen Platz gefunden haben? Keine Ahnung. Um 8 Uhr morgens gingen schon die ersten Bilder rum, als Leute vor Dortmunds Kneipen anstanden, um sich dort einen Platz zu sichern. Als wir gegen 12:45 am Stadion ankamen – gute drei Stunden vor dem Spiel – bot sich ein für mich unglaubliches Bild. Die Stadiontore waren noch dicht, da war es vor dem Nordeingang so voll wie sonst vielleicht um 14:45. Bei jedem war die Anspannung, aber auch die unglaublich große Vorfreude auf das Spiel anzumerken. Wie viele Leute ich wohl in den Tagen und Stunden zuvor damit verabschiedet hatte, dass wir uns gegen 18 Uhr auf dem Rasen sehen würden? Vielleicht etwa ein Duzend, vielleicht auch mehr. In meiner Gedankenwelt gab keine andere Möglichkeit, als dass Borussia Dortmund an diesem Tag um 17:25 Deutscher Meister sein würde. Die Südtribüne füllte sich so früh wie noch nie, seit ich im Jahr 2015 das erste Mal bei einem Pflichtspiel auf ihr stand. Spätestens zum Einlaufen der Mannschaft zum Aufwärmen war die Stimmung grandios. Immer näher rückte der Anpfiff – und dann war es so weit. „Wir haben es in der Hand!“ stand beim Einlaufen der Mannschaften groß auf der Südtribüne zu lesen.
Und dann stechen mit Hanche-Olsen und Onisiwo zwei Mainzer ins Dortmunder Herz. Ausgerechnet Sebastien Haller, der viel Größeres geschafft hat als einen Gewinn der Deutschen Meisterschaft, verschießt einen Elfmeter, die Treffer von Guerreiro und Süle kommen zu spät. Und plötzlich landest du nach diesen 96 Minuten auf dem Boden der Tatsachen. Vielleicht wurde es noch härter dadurch, dass ich diese Möglichkeit niemals ernsthaft in Betracht gezogen zu habe. Auch zwei Tage später verstehe ich nicht, wie das passieren konnte.
Fakt ist: Ich habe für meine gerade einmal 23 Jahre mit 315 Spielen der BVB-Profis im Stadion sicherlich schon ein bisschen was erlebt. Der 27.05.2023 war wohl das bitterste dieser 315 Spiele. Vermutlich wird es eine lange Zeit dauern, bis ich verarbeitet habe, dass wir diese große Chance liegen gelassen haben. Und doch möchte ich noch ein paar Worte dazu verlieren, was nach Abpfiff passiert ist. Nach minutenlanger Schockstarre bei Spielern und Fans, begann die Südtribüne irgendwann mit einer Forderung an die Spieler: „Aufstehen! Aufstehen!“. Es war das erste Mal, dass sich auf dem Rasen etwas tat. Die Borussen standen nach und nach auf und richteten ihren Blick in Richtung Südtribüne, die u.a. folgenden Fangesang preisgab:
„Und wir werden immer Borussen sein! Es gibt nie, nie, nie einen anderen Verein!“
Nicht nur der mit Sprechchören gewürdigte Edin Terzic war zu Tränen gerührt, auch ich heulte auf der Tribüne wie auch im Verlauf des Abends wie ein Schlosshund. Und doch schaffte es diese Tribüne, aus diesem bitteren Moment trotzdem noch zu einem Besonderen zu machen. Was für ein mächtiges Gegenstück zu Fans aus dem Süden, die eine Woche zuvor in Massen das Stadion verließen, weil ihre Mannschaft die Meisterschaft zu verspielen schien. Das ist Borussia Dortmund!
Nach dem Spiel wusste ich nicht so recht wohin mit mir. Nachdem ich einfach gefühlte Stunden (es war eine) jeden Bekannten auf der Umlaufebene unter der Südtribüne umarmt hatte, stand ich schon bereits in der Schlange zur U-Bahn Richtung Hauptbahnhof, um einfach nur nach Hause zu fahren. Gut, dass ich mich noch dagegen entschieden habe. Gemeinschaftlich ließ sich das Erlebte so viel besser verarbeiten. Vielen Dank an euch alle für den großartigen Abend! Ihr wisst, wenn ihr euch angesprochen fühlen sollt. Und damit bleibt mir nur noch eines zu sagen:
Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n, Borussia Dortmund wird nie unter geh’n!