BVB in der Krise Terzic am Scheideweg
Borussia Dortmund steht vor Herausforderungen: Edin Terzić kämpft um seinen Posten, während das "System Watzke" an seine Grenzen stößt. Ein tiefgreifender Umbruch scheint unvermeidlich.
Während diese Zeilen geschrieben werden, ist es noch völlig unklar, ob Edin Terzić zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch Trainer von Borussia Dortmund sein wird. Vieles spricht dagegen. Die rein tabellarische Situation mit 27 Punkten, die auf eine Saison hochgerechnet nicht für eine Teilnahme an der Champions League ausreichen würden, und Platz fünf lassen sich vielleicht gerade noch mit Verweis auf die letzte Saison erklären, doch zwei andere Aspekte wiegen schwerer.
Zum einen der spielerische Zustand einer, das gehört auch zur Wahrheit, immer wieder von Verletzungen durcheinander gewürfelten Mannschaft, die in verschiedenen Konstellationen beim geringsten Druck des Gegners wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und nur mit äußerster Mühe einen Ball unfallfrei über die Mittellinie befördern kann. Im Vergleich mit anderen Anwärtern auf einen der ersten vier Plätze scheint sie hoffnungslos unterlegen, wobei fairerweise erwähnt werden muss, dass Leipzig aufgrund numerischer Unterzahl nicht vollständig in die Bewertung einfließen kann.
Zum anderen aber wird immer offensichtlicher, dass der Trainer, wie es so euphemistisch heißt, die Kabine verloren hat. Wenn medial kolportiert wird, dass Spieler nicht nur das Gespräch mit dem Trainer gesucht, sondern auch in der Chefetage ihren Unmut geäußert haben, dann schrillen alle Alarmglocken. Die zweite Halbzeit gegen Mainz zeigte zumindest keine Mannschaft, die mit dem Trainer und seinen taktischen Maßnahmen im Reinen ist.
Nun könnte man das alles als üblichen Vorgang im Fußballgeschäft sehen. Trainerentlassungen gehören nicht nur dazu, jeder Trainer, der sich für diese Laufbahn im Fußballgeschäft entscheidet, muss von Anfang an einkalkulieren, nur für einen sehr eng begrenzten Zeitraum bei einem Verein angestellt zu sein und in Zeiten des Misserfolges als Erster gehen zu müssen. Man mag die „Mechanismen des Marktes“ belächeln, aber es ist für einen Verein auch die erste und am schnellsten wirksamste Maßnahme, in den Spielbetrieb einzugreifen. Insofern wäre eine Entlassung von Terzić nachvollziehbar. Rein auf den Aufgabenbereich bezogen, gibt es viele Punkte, die in seiner Verantwortung liegen und die nicht, oder nur unzureichend funktionieren. Die fehlenden Lösungsmöglichkeiten, auf ein Pressing zu reagieren und nur selten sichtbar eingeübte Laufwege in der Offensive seien da nur beispielhaft zu nennen. Niemand behauptet, dass mit einem erneuten Trainerwechsel alles gut wird, aber es könnte kurzfristig besser werden.
Eine Tragik bekommt das Ganze durch die enge Bindung von Edin Terzić zum BVB. Vielleicht ist es noch der Zeit unter Jürgen Klopp geschuldet, dass man auch vom Trainer Identifikation mit dem Verein fordert, vielleicht auch nur die Sehnsucht nach Menschen, denen das alles noch mehr bedeutet als nur einen exorbitanten Gehaltsscheck am Monatsende. Terzić übererfüllt diesen Punkt. Er könnte nicht nur einer von uns sein, er ist es. Bevor ein BVB-Fan seinen Namen kannte, stand er schon mit uns zusammen auf der Tribüne und wenn er sich auf das schwatzgelbe Emblem klopft, dann weil darunter ein Herz für Borussia Dortmund schlägt. Zum einen ist es enorm schade, auch um den Menschen Edin Terzić, wenn diese Geschichte so auseinandergeht, zum anderen muss spätestens das auch ein Grund sein, die Strukturen des BVB in ihrer Grundfeste zu erschüttern. Diesmal jedoch vollständig und inklusive der bisherigen Steineumdreher.
System Watzke am Ende
Es mag jetzt ein neuer Übungsleiter kommen, der in der Lage ist, die Situation kurzfristig zu verbessern, mittel- und langfristig muss allerdings viel mehr passieren. Kurz gesagt: das System Watzke, das dem BVB eine der erfolgreichsten Zeiten seiner Geschichte beschert hat, ist am Ende. Seine Personalentscheidungen erweisen sich immer häufiger als falsch, bei öffentlichen Auftritten vor Fans wirkt er immer unsouveräner und reagiert auf andere Meinungen mit einer Bockigkeit, die für den Geschäftsführer eines börsennotierten Unternehmens schlichtweg unangebracht ist.
Die Überzeugung einiger Führungskräfte, nur sie könnten die richtigen Entscheidungen treffen, ist für ein Unternehmen fatal. Der Weg der letzten Jahre hat dafür gesorgt, dass die Schere zwischen finanziellen Aufwand und sportlichen Ertrag immer weiter auseinandergeklafft ist und diese Saison zeigt eindrücklich, wie massiv Borussia Dortmund in den letzten Jahren von einzelnen Starspielern wie Jadon Sancho, Erling Haaland oder Jude Bellingham abhängig war.
Fehlen diese Starspieler zeigt sich eine dysfunktional zusammengestellte Mannschaft gespickt mit Spielern, bei denen Zweifel angebracht sind, ob sie die erforderliche Qualität für die Ligaspitze mit sich bringen. Ein Punkt, bei dem Aki Watzke sich nicht zurücklehnen und auf Michael Zorc und Sebastian Kehl als ehemalige und aktuelle Kaderverantwortliche verweisen kann, da er bei personellen Entscheidungen auch im sportlichen Bereich ein gewichtiges Wort mitsprechen will. Er steht voll mit in der Verantwortung für den aktuellen, sportlichen Zustand und die Meriten, mit Jürgen Klopp DEN Glücksgriff getätigt zu haben, verblassen. Ob er derjenigen ist, der jetzt mit den richtigen Entscheidungen den Turnaround schaffen kann, muss man mit einem Fragezeichen versehen.
Er hat sich zumindest nicht eingemischt, als Michael Zorc, neben ein paar absoluten Highlighttransfers, auch den Bestand an überbezahlten Mittelmaßspielern aufgebaut und das Gehaltsgefüge massiv aufgebläht hat. Die oben genannten Namen überstrahlen vieles, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Großteil der Transferaktivitäten in den letzten Jahren darin bestand, Ladenhüter wie Thorgan Hazard und Thomas Meunier auf dem Markt wie Sauerbier anzupreisen, weil die Spieler sportlich beim BVB kaum noch eine Rolle gespielt haben, aufgrund hoher Gehaltszahlungen aber verständlicherweise nur wenig Interesse an einem Wechsel zeigten.
Sebastian Kehls Rolle und Verantwortung
Sebastian Kehl als Nachfolger ist angetreten, und das ist erst einmal grundsätzlich positiv, um diesen Umstand zu beheben und wieder eine leistungsfördernde Struktur in den Kader zu bringen und auch die Gehaltskosten zu senken.
Schon vor Zorcs Rücktritt hat er quasi als „Azubi“ in der zweiten Reihe den Kader mit geplant und kann sich deshalb nicht aus der Verantwortung für den aktuellen Zustand stehlen. Die andere Lesart, nach der er andere Transfers geplant habe, aber von Edin Terzić unter Rückendeckung von Aki Watzke überstimmt wurde, wirft auch kein besseres Licht auf die Sache. Wenn er sich gegen seine Vorstellung vom Architekten zum reinen „Beschaffer“ degradieren lässt, ohne Konsequenzen daraus zu ziehen und einen gut bezahlten Posten über berufliche Ambitionen stellt, dann wäre das genau der schlechte Spirit, den er bei der Mannschaft eigentlich austreiben will. Wer Wasser predigt, aber Wein trinkt, hätte allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Dabei braucht der BVB gerade jetzt jemanden, der die notwendigen und richtigen Personalentscheidungen für den Kader trifft. Der BVB ist gezwungen, die Saison mindestens auf Platz vier zu beenden und erneut in die Champions-League einzuziehen. Dieses Geld braucht er, damit aus einem sportlichen Umbruch kein Abbruch wird. Die Spieler sind also ein Stück weit gefordert, in der Rückrunde die Grundlage für ihren eigenen Abschied zu schaffen. Hart, aber so ist das Geschäft. Die sportliche Leitung sollte genau hingucken, wer hier seinen Unmut über den Trainer äußerst und gleichzeitig auf dem Platz mit einem desolaten, individuellen Zustand aufwartet – und dann auch ganz hart diese Spieler rasieren. Es reicht einfach nicht, mit der Kapitänsbinde planlos über den Platz zu stolpern, nach einer indiskutablen Leistung mit einem auf den Boden geschmissen Schweißband demonstrativ „Mentalität“ zu schauspielern oder nach einer Vertragsverlängerung in Zweikämpfen wieder die Körperspannung eines nassen Handtuchs zu zeigen.
Liebe Spieler, egal was für berechtigte Kritik es an der Arbeit des Trainers geben mag, keiner von Euch kann sich da aus der Verantwortung stehlen. Ihr habt oft genug einfach beschissen gespielt und eine Fehlerquote aufgewiesen, die einfach nicht akzeptabel ist.
Am Ende wird es wohl so kommen, dass man die kurzfristige Stellschraube Trainerposten drehen wird. Alle anderen Maßnahmen hätten auch keinen, oder nur einen deutlich überschaubaren, direkten Effekt. Gleichzeitig muss man allerdings in der Rückrunde auch die Weichen dafür stellen, dass der Verein sich mittel- und langfristig wieder auf einen gesunden Kurs begibt. Und die aktuell Verantwortlichen sind nicht die richtigen Personen dafür.