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Gedenkveranstaltung des BVB Gegen das Vergessen - „Die letzte Nacht in Dortmund“

09.03.2023, 07:53 Uhr von:  DocKay
Der Blick geht durch Stacheldrahtzäune auf das Gebäude von Auschwitz Birkenau. Zu erkennen ist auch die Rampe!

Vor 80 Jahren fand die letzte Deportation von Juden vom Südbahnhof in Dortmund nach Auschwitz statt. Im Sammellager in der Börse verbrachte eine große Gruppe von Juden aus dem Südwesten des Deutschen Reiches ihre letzte Nacht In Dortmund. Unter Ihnen befand sich auch der deutsche Nationalspieler Julius Hirsch.

Der mit diesem Transport ebenfalls deportierte Hans Frankenthal konnte später aufgrund seiner guten Erinnerung detaillierte Angaben zur „Großaktion Juden“ machen. Diese wurde später häufig auch als „Fabrikation“ bezeichnet. Da in vielen Regionen und Städten jedoch nur mehr wenige Juden von der Verschleppung in Ghettos und Lager in Osteuropa verschont geblieben waren und so die vorgegebene Sollstärke von 1000 Personen pro Transport außerhalb Berlins kaum mehr erfüllt werden konnte, fuhren nun Sammeltransporte über lange Strecken, machten an zahlreichen Bahnhöfen Station, um kleinere und größere Gruppen von Juden aufzunehmen. Auch wurden zuweilen Waggons an Züge angekoppelt bzw. regionale Transporte an zentralen Bahnhöfen zusammengeführt. Diese im Nachhinein hinsichtlich der Details schwer zu überblickende Art der Durchführung des letzten Deportationsschubs hat eine Reihe von Fragen bezüglich der Terminierung und der Routen der Sammeltransporte aufgeworfen, von denen einige bis heute nicht befriedigend beantwortet werden können. Das gilt besonders auch für den Dortmunder Deportationstransport nach Auschwitz.

Sicher ist, dass der mehrfache Nationalspieler und Olympia-Teilnehmer Julius Hirsch diesem letzten Deportationstransport aus Dortmund nach Auschwitz-Birkenau angehörte. Esther Hirsch (1928-2012) , die Tochter von Julius Hirsch, berichtet in der Niederschrift „Wie hat ein Kind das Dritte Reich erlebt“ von ihren Gefühlen am 1. März 1943:

Am 1. März 1943 habe ich meinen Vater Julius Hirsch zum Hauptbahnhof in Karlsruhe gebracht, und von dort wurde er abtransportiert, in einem normalen Zugabteil. Es war eines der schrecklichsten Erlebnisse meines Lebens. Wir haben nicht geglaubt, dass wir ihn nie mehr wiedersehen werden.


Esther Hirsch

Von Karlsruhe ging es dann für Julius Hirsch, auch „Juller“ genannt, nach Dortmund. Er war die einzige männliche Person, die an diesem Tag aus Karlsruhe deportiert wurde. Lange Zeit war es ungewiss, an welchem Tag der Transport nach Auschwitz Dortmund verließ. Das letzte Lebenszeichen des Fußball-Nationalspielers und Frontkämpfers im Ersten Weltkrieg ist eine in Dortmund am 3. März abgestempelte Postkarte an seine Tochter. Inzwischen gilt es aufgrund verschiedener Dokumente als relativ sicher, dass sich der Zug am 2. März 1943 in Richtung Auschwitz in Bewegung setzte.

Man sieht das Cover der Biografie von Julius Hirsch. Es zeigt ihn als Spieler und sitzend im fortgeschrittenen Alter. Die Farbe ist braun.
Das im Verlag Die Werkstatt erschienene Buch

Zu diesem Zeitpunkt war Julius Hirsch fast 51 Jahre alt und blickte auf eine einzigartige Fußballerkarriere zurück. Mit dem Fußballspielen begann er in der Schülermannschaft des Karlsruher Fußball-Vereins (KFV). Mit 17 Jahren gab er bereits sein Debüt in der 1. Mannschaft beim 4:0 gegen den FC Freiburg. Ein Jahr später wurde er mit dem KFV Deutscher Meister. Im Endspiel in Köln bezwang man mit einem 1:0 n.V. die Mannschaft von Holstein Kiel. Es ging steil bergauf und bereits am 17.12.1911 erfolgte seine erste Berufung in die Deutsche Nationalmannschaft.

Am 24.03.1912 erzielte er als erster deutscher Nationalspieler beim 5:5 gegen Holland in Zwolle vier Tore. Schon im November 1913 bestritt er sein letztes Länderspiel gegen Belgien. Im Mai 1914 gewann Hirsch als erster deutscher Fußballer mit zwei unterschiedlichen Vereinen die Deutsche Meisterschaft, diesmal mit der SpVgg Fürth gegen den VfB Leipzig mit 1:0 n.V. in Magdeburg. Dann wurde er zum Wehrdienst eingezogen und erst nach Entlassung im November 1918 widmete er sich erneut seiner Leidenschaft und schloss seine Laufbahn beim KFV ab. Die folgenden Jahre waren von Rückschlägen geprägt und der zunehmenden Arisierung. Die Verzweiflung führte zu einem Selbstmordversuch und zur Behandlung in einer „Provinzialirrenanstalt“ in Lothringen. Im Jahr 1939 kehrte er aus Frankreich nach Karlsruhe zurück und wurde in der Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern behandelt. Zwangsarbeit, der Umzug in ein sog. „Judenhaus“ und das Ende seiner Ehe, zum Schutz der Kinder, zerstörten den Menschen Julius Hirsch und zunächst auch das Gedenken an einen ganz besonderen Fußballer.

Blick auf den Eingang zur Todesfabrik mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei"
Der Eingang zur "Todesfabrik"
© Nina Nikelowski

Am 3. März 1943 trafen im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau drei Transporte aus Deutschland mit jeweils 1.500 Menschen ein, zwei aus Berlin und einer aus Dortmund mit Julius Hirsch. Im Eingangsbuch des KZ, das die Häftlingsnummern nennt, ist der Name Julius Hirsch nicht registriert. Dies spricht für eine unmittelbare Ermordung des jüdischen Fußballers nach seiner Ankunft. Das Amtsgericht Karlsruhe erklärte Julius Hirsch mit dem Datum 8. Mai 1945, 24 Uhr, für tot. Viele Jahre hüllte sich der DFB in Schweigen und verhielt sich wie viele Institutionen in der Nachkriegszeit. Die Gründe liegen auf der Hand und deren Klärung wird mit den Jahren immer schwieriger. Nur noch wenige Zeitzeugen und deren Angehörige sind in der Lage, Klarheit in das eine oder andere Geheimnis zu bringen. Die bisherige wissenschaftliche Aufarbeitung muss deswegen fortgeführt werden.

Im Jahr 2005 verlieh der DFB erstmalig den Julius-Hirsch-Preis. Er zeichnet Menschen und Institutionen aus, die sich im Umfeld des Fußballs gegen Rassimus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Im Jahr 2014 wird der BVB für sein Engagement mit diesem Preis ausgezeichnet.

Blick auf eine neue Straßenbahn von DSW21 #WeRemember. Namentlich erwähnt werden alle Jüdinnen und Juden, die Im Holocaust ermordet wurden. Namentlich werden
Eine neue Stadtbahn von DSW21 mit den Namen der im Holocaust ermordeten Dortmunder Jüdinnen und Juden
© Impressum deportationen-dortmund.de

Die Veranstaltung des BVB am 5. März 2023 am Wasserturm des ehemaligen Südbahnhofs galt dem Gedenken an Julius Hirsch. Sie erinnerte aber auch an die unzähligen Opfer des Nationalsozialismus und war ein weiterer Schritt „Gegen das Vergessen“. Gerade in der heutigen Zeit gilt es immer wieder an die Greueltaten des Nationalsozialismus zu erinnern. Dazu trägt auch eine Aktion von DSW21 bei. Eine künftige Stadtbahn trägt die Namen aller namentlich bekannten 1.973 Dortmunder Jüdinnen und Juden, die im Holocaust ermordet wurden.

Das Bild zeigt die Kranzniederlegung am Wasserturm mit dem Rabbiner Nosikov und einer Abordnung des BVB. An der Wand sieht man die Gedenktafel.und
Die Kranzniederlegung mit dem Rabbiner Nosikov am alten Wasserturm

Ich danke dem Historiker Dr. Rolf Fischer für die Unterstützung und die Bereitstellung von historischen Daten und Analysen. Für diejenigen, die mehr über den jüdischen Fußballer Julius Hirsch erfahren möchten, empfehle ich die von Werner Skrentny geschriebene Biografie „Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet“. Sie ist in der 2. aktualisierten und überarbeiteten Auflage im Jahr 2016 im „Verlag Die Werkstatt“ zum Preis von 26,00 Euro erschienen.

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