Ein Jahr nach dem Kriegsbeginn - wie geht es den BVB Fans?
Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir ein Interview mit zwei BVB Fans aus Kyiv und Moskau geführt. Nach einem Jahr haben wir die beiden erneut getroffen und ihnen ein paar Fragen zu den Entwicklungen in den vergangenen 12 Monaten gestellt.
Im letzten Interview haben wir uns gemeinsam mit den beiden Interviewpartnern entschieden, dass die beiden Fans anonym bleiben. Für Igor aus Russland ist es weiterhin so, dass sein Name nicht veröffentlicht werden soll, weil die Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg aussprechen, Haftstrafen bekommen können. Oleg, der in Wirklichkeit Alexander heißt, kann und möchte sich nicht mehr verstecken. Während er im März 2022 noch nicht wusste, wie es mit seinem Leben weitergeht, seine Familie in Berlin war und die russische Armee gar nicht so weit weg von Kyiv, ist er jetzt zuversichtlicher, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen könnte und weder er noch seine Familie gefährdet sind.
Wir haben den beiden ein paar Fragen gestellt.
Wie geht es dir und deiner Familie?
Alexander: Erstmal Hallo zusammen. Vielen Dank für die Nachfrage. Als erstes muss ich erzählen, dass meine Familie im August nach Kyiv zurückgekehrt ist. Wir wohnen dort jetzt alle zusammen in unserem Haus. Tja, uns geht es so gut, wie es einem während des Krieges gehen kann. Es ist klar, dass wir ganz viele Probleme/Schwierigkeiten haben, z.B. durch regelmäßige Raketen- oder Drohnenangriffe in der Stadt. Die Inflation im Land ist sehr hoch, aber das kann man überleben. Schulen und Kindergärten sind ganz normal geöffnet, während des Luftalarmes werden die Kinder in den Luftschutzbunker geführt. Wenn man die ersten Monate des Krieges außer Acht lässt, als die russische Armee vor Kyiv stand, waren vor allem die Monate Oktober, November und Dezember sehr schwierig, weil es kaum Strom gab und die Heizungen nicht funktionierten. Dazu kam natürlich die Inflation.
Igor: Mir geht es eigentlich gut.
Was hat sich bei dir in den letzten 12 Monaten geändert? Welche Folgen hat dir der Krieg gebracht?
Igor: Also wenn man es objektiv sieht, hat sich hier in der Großstadt wenig bis gar nichts geändert. Ja, einige Sachen sind deutlich teurer geworden, einige kann man gar nicht mehr kaufen, man kann nicht mehr überall hinreisen. Aber insgesamt waren es keine lebensnotwendigen Dinge, die man unbedingt braucht, deswegen stört es nicht unbedingt groß. Hier bei uns, im Gegensatz zu den Grenzregionen, bekommt man vom Krieg wenig mit. Wenn man den Fernseher ausgeschaltet lassen würde, würde man nicht mal mitbekommen, dass es einen Krieg gibt. Aber das trifft natürlich nur auf die zu, deren Verwandte und Bekannte nicht am Krieg teilnehmen.
Alexander: Änderung der
Weltanschauung. Du freust dich über irgendwelche Kleinigkeiten, die
man in einem normalen Leben gar nicht merken würde. Wir leben immer
mehr von Tag zu Tag. Das Denken hat sich auch stark verändert.
Die
Folgen? In der ersten Linie leidet die Psyche. Ich habe Mal irgendwo
gelesen, dass wir die Folgen des Krieges erst viel später spüren
werden. Aber bisher fühle ich mich OK. Ich träume oft von
Flugzeugen, Raketen und Explosionen. Ab und zu wache ich von einer
Explosion auf und stelle fest, dass es nur ein Traum war.
In Deutschland gibt es Leute, die der Meinung sind, dass die Ukraine keine Waffen mehr erhalten und man über ein mögliches Kriegsende verhandeln soll. Auch wenn es eine sehr politische Frage ist, was sagt man bei euch darüber? Wie denkst du darüber?
Alexander: Als erstes muss man
eigentlich die Wahrheit erkennen bzw. anmerken, dass die Ukraine sich
ausschließlich verteidigt und nicht angreift. Putin spricht dem
ukrainischen Volk sein Existenzrecht ab und das hat er schon mehrmals
betont. Russland wird von Schurken regiert und es ist klar, dass man
sich mit der Ukraine nicht zufrieden geben würde und weitere Länder
angreifen könnte. Im russischen Fernsehen wird immer wieder
gefordert, dass Polen und Deutschland mit Raketen angegriffen werden
sollen. Die Ukraine verteidigt nicht nur sich alleine, sondern auch
Deutschland und Europa. In der Ukraine ist man Deutschland für die
Waffen, die Ausrüstung und vor allem die humanitäre Hilfe sehr
dankbar. Und dann muss man noch hinzufügen, dass Deutschland und die
Menschen dort eine enorme Hilfe für die Geflüchtete leisten. Vielen
Dank dafür!
Igor: Ich musste lange überlegen,
wie ich diese politische Frage beantworte. Meiner Meinung nach, kann
es unmöglich sein, dass in diesem Krieg das in Russland etablierte
Regime gewinnt – dies wäre unter anderem ein gefährlicher
Präzedenzfall, der zeigt, dass ein Land, das über eine große
militärische Macht verfügt, sich alles erlauben kann und nach
seinem Willen tausende Menschen ermorden oder sich, was man will,
einverleiben bzw. annektieren kann.
Es gibt immer noch viele, die
mit dem Krieg nicht einverstanden sind. Aber die Strafverfolgungen
sind im vollen Gange. Es ist ja nicht nur so, dass man nicht mehr mit
einem Protest auf die Straße gehen kann. Ein falscher „Like“ in
den sozialen Medien kann dir schon eine Geld- oder sogar
Gefängnisstrafe bringen. Deswegen haben viele, die konnten, das Land
verlassen. Die anderen haben keine andere Wahl als die Meinung/Kritik
geheim zu halten.
Gab es in den letzten 12 Monaten irgendetwas Positives?
Igor: Wenn, dann waren es persönliche Momente. Ich habe eine neue Arbeit und bin innerhalb der Stadt umgezogen.
Alexander: Als Erstes (und das ist
das Wichtigste) bin ich mit meiner Familie wieder vereint. Es ist
sehr kompliziert nicht zu wissen, wann du deine Familie wiedersehen
kannst und ob du es überhaupt irgendwann dazu kommt. Als ich meine
Frau und die Kinder in aller Eile ins Ausland „geschickt“ habe,
habe ich sie nicht umarmt und hatte danach Angst bzw. machte mir
Sorgen, dass ich die nie wiedersehen würde, dass es meine letzte
Möglichkeit war sie zu umarmen. Das war ein sehr unangenehmes
Gefühl. Das Wiedersehen, die Wiedervereinigung mit meiner Familie
machte mich zum glücklichsten Mensch auf dieser Welt. Außerdem
mache ich weiterhin meine Ausbildung zum Fußballtrainer, die ich in
diesem Jahr absolvieren werde. Mein Traum ist es eine Mannschaft in
Deutschland zu trainieren. Ich mag die Bundesliga und vor allem
natürlich unsere Borussia ;)
Igor, machst du dir Gedanken darüber Russland zu verlassen?
Igor: Ich mache mir schon häufiger
Gedanken darüber das Land zu verlassen. Eigentlich gibt es keine
Gründe, die mich hier aufhalten würden. Ist es einfach das in die
Tat umzusetzen? Eigentlich wäre es gar nicht so kompliziert, wenn
man in eines der ehemaligen sowjetischen Länder oder Asien gehen
würde. Aber auch dort muss man erst eine Arbeit finden (Anm.
der Redaktion: Igor ist ITler im Bereich der Informationssicherheit).
Nach Europa oder in die USA zu gehen, wäre deutlich schwieriger,
falls es überhaupt möglich wäre. Wenn in Russland eine neue
Einberufungswelle startet und man darunterfällt, dann wird es ja
noch schlimmer sein.
Kannst du die BVB-Spiele schauen und wenn ja, wie oft?
Alexander: Ich schaue immer. Verpasse kein Spiel. Seit Sommer habe ich bisher nur ein Spiel verpasst, als es keinen Strom gab, wobei das nicht mehr vorkommt. Letztes saßen wir ohne Strom als der BVB gegen Bremen spielte, aber mit dem mobilen Internet konnte ich das Spiel trotzdem schauen.
Igor: Früher habe ich kein Spiel
verpasst, aber jetzt schaue ich relativ selten. Die Spiele laufen bei
uns immer noch im Kabelfernsehen. Aber ich habe irgendwie weder Lust
die Spiele selbst noch eine Motivation diese zu schauen.
Was denkst du über die Leistung von unserer Borussia, insbesondere im aktuellen Jahr?
Igor: Die Spielergebnisse sind natürlich sehr erfreulich, vor allem in letzter Zeit. Ich hoffe, dass die Balance zwischen den jungen Spielern und unseren Legenden, den älteren Spielern, beibehalten wird und sie noch länger zusammenspielen.
Alexander: Man sieht mittlerweile
eine positive Entwicklung. Zum Beispiel hat die Mannschaft aufgehört
in den ersten Minuten viele Gegentore zu kassieren. Das ist sehr
erfreulich. Es gibt eine gewisse Balance im Spiel. Also, dass man
viel mehr aufs Verteidigen, Angreifen und auf die Standardsituation
achtet. Aber vieles muss noch verbessert werden. Meiner Meinung nach
könnte man den Ball viel schneller an den Mitspieler abspielen. Das
sieht z.B. bei den Bayern viel besser aus. Vor allem würde ich die
bessere Chancenverwertung auf die erste Stelle stellen. So könnte
man viele knappe Spiele wie z.B. gegen Hoffenheim (Anm. der
Redaktion: das Interview wurde kurz vor dem Rückspiel gegen Chelsea
geführt) vermeiden, wenn man viel konzentrierter/ruhiger
vor dem Tor oder dem letzten Pass wäre.
Mateu Morey sollte
meiner Meinung nach im Mittelfeld spielen. Dank seinen Qualitäten,
wie das Können unter Druck zu spielen, guter Pass und Schuss,
Bewegung mit dem Ball – wäre er ein guter Spieler fürs
Mittelfeld. Ich würde ihn da gerne sehen und er ist definitiv nicht
schlechter als Mo Dahoud. Man muss kein Geld für einen neuen Spieler
ausgeben, wenn man eine „kostenlose“ Lösung schon im Verein hat.
Die Frage ist natürlich, ob Morey nach seiner Verletzung
zurückkommt.
Was wäre für unsere Borussia in
dieser Saison noch möglich?
Alexander: das weiß ich nicht. Vor jeder Saison glaube ich daran, dass wir Meister werden und die Champions League gewinnen können. Einige würden mir sagen, dass ich naiv bin. Aber wenn wir nicht an uns glauben, warum soll dann die Mannschaft aufs Feld kommen? Warum machen wir die Tribünen voll? Der Sieg beginnt im Kopf.
Igor: Über die Tabellensituation
freue ich mich sehr, aber es ist noch sehr knapp und wird sich in der
nächsten Zeit wohl entscheiden.Ich habe immer noch die Befürchtung,
dass wir den knappen Vorsprung gegen schwächere Gegner, wie im Derby
verspielen können. Ich hoffe, dass es mit dem lang ersehnten
Meisterschaftstitel endlich klappt und denke, dass alle Fans daran
glauben.
Alexander: Eine Sache möchte ich
noch ergänzen. Vielen Dank an die Borussia und deren Fans für die
Hilfe an die Ukraine, dass wir in solchen schwierigen Zeiten von euch
unterstützt werden. Und vor allem Dankeschön für das Trikot mit
den Unterschriften (Anm. der Redaktion: kurz nach dem
ersten Interview kam das BVB-Sondertrikot mit der ukrainischen Fahne
raus. Wir haben beim BVB angefragt, ob es die Möglichkeit gibt,
Alexander ein solches Trikot mit den Unterschriften zu besorgen. Dank
der Abteilung Corporate Responsibility des BVB hat es funktioniert
und wir haben dann das Trikot der Frau von Alexander in Berlin
übergeben können). Ich habe erst ein Foto vom Trikot
erhalten, habe mich schon sehr gefreut und konnte erst nicht glauben,
dass es für mich ist. Bin dann den ganzen Tag mit einem Lächeln
durch die Stadt gelaufen. Ich weiß gar nicht, was andere Menschen
über mich gedacht haben (lacht). Ich habe mir dann das Trikot auf
dem Foto genauer angeschaut und habe versucht rauszufinden, von
welchen Spielern die Autogramme sind. Eine Unterschrift sieht meiner
sehr ähnlich aus.
Zum zweiten Mal habe ich mich gefreut, als
meine Frau aus Berlin wieder zurück gekommen ist. Als sie dann
abends angefangen hat die Sachen auszupacken, gab sie mir das Trikot.
Ich war hocherfreut! Ich habe jetzt ein Trikot meiner
Lieblingsmannschaft, mit der ich groß geworden bin, wegen der ich
oft sehr nervös war und nach den Niederlagen schlechte Laune hatte
und die in mir nach den Siegen einen Sturm von Emotionen auslöste.
Geil! Habe dann von meiner Frau noch weitere BVB Klamotten
bekommen.
Noch Mal vielen Dank an alle Boruss:innen. Es zeigt mir,
dass wir alle eine große schwarz-gelbe Familie sind, unabhängig von
der Entfernung und dem Land. Das ist sehr angenehm.
Und unsere
Mannschaft soll einfach an sich selbst glauben. Nichts ist unmöglich.
Ich liebe euch alle! Ihr seid die Besten!
Ich danke euch beiden für das Interview!