Saisonvorschau der Gefühle – It’s all about the feeling
Nachdem bereits eine taktische Saisonvorschau veröffentlicht wurde, möchte ich eine etwas andere Art der Saisonvorschau vorstellen: Die emotionale Saisonvorschau.
Wieso das? Ganz einfach: Borussia ist ein emotionaler Klub. Die Stimmung der Fans kann die Mannschaft durch Spiele bringen, aber auch für Verunsicherung bei den Spielern sorgen.
Ich schaue mir zunächst die aktuelle emotionale Gemengelage beim BVB an und gehe dann darauf ein, was uns emotional in den einzelnen Wettbewerben erwarten kann.
Der BVB: All in
Es war turbulent in den Tagen und Wochen nach der vergangenen Saison. Der BVB hat Marco Rose überraschend entlassen und Edin Terzic als Nachfolger benannt. Ein klarer Kurswechsel! Während der BVB in den letzten Jahren deutlich stärker auf nüchterne Trainertypen gesetzt hat (Tuchel, Bosz, Favre und Rose), die zwar haufenweise Fußballwissen mitbrachten, oft aber eine Identifikation mit dem Klub vermissen ließen und nie bei allen Fans endgültig ankamen, macht der BVB eine 180°-Wende und setzt für die Saison 2022/23 auf den Interimstrainer der Saison 2020/21: Edin Terzic.
Edin ist bei allen Fantypen beliebt und wird die zerrüttete Verbindung zwischen Mannschaft und Kurve zu kitten versuchen, denn er weiß, was Fans für die Mannschaft tun können. Sollte auch sportlich alles rund laufen, wird diese Verbindung naturgemäß schnell entstehen. Bei Rückschlägen wird Terzic Ruhe ausstrahlen und wir werden - ihm zuliebe - die Füße stillhalten. Ob dieses Kalkül endgültig aufgeht und wir so stimmungstechnisch gut durch die Saison kommen, hängt jedoch davon, ob der sich der mittel- bis langfristige Erfolg einstellt und die Mannschaft Terzics Leidenschaft für den BVB aufs Feld bringt.
Mannschaft ist ein gutes Stichwort. Die bisher getätigten Transfers gehen nicht in diese emotionale Richtung. Man hat mit Spielern wie Süle, Özcan, Schlotterbeck und Adiemy sportlich vielversprechende Spieler geholt, die aber den BVB nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben, wie einst Großkreuz beispielsweise. Auch die Nachwuchsspieler wie Tom Rothe oder Jamie Bynoe-Gittens werden wahrscheinlich nächste Saison noch nicht für Identifikation mit der Mannschaft sorgen. Emotionalität wird uns dagegen wie gewohnt Jude Bellingham bringen, der mit seinen 19 Jahren ein Leader ist, der wie kein Zweiter Gras frisst. Wir werden auch wieder Felix Passlack die Daumen drücken. Eine richtige Identifikationsfigur, auch wenn die sportliche Limitierung für seltene Einsätze sorgen wird. Reus bleibt unser Kapitän, was richtig und wichtig ist. Damit kann jeder BVB-Fan sehr gut leben!
Die Bundesliga: Business as usual
Wir alle hoffen doch im Stillen, dass es dieses Mal wieder klappen könnte mit der Meisterschaft. Der BVB hat gut eingekauft und bei Bayern hängt der Haussegen rund um Lewandowski schief. Doch das wird auch dieses Jahr leider nix. Wir werden eine gute Saison spielen, mit vielen tollen Siegen, die uns viel Spaß bringen, aber für die Meisterschaft wird es nicht reichen. Terzic ist im ersten Jahr, einige neue Spieler müssen erst mal Fuß fassen und Bayern ist immer noch ein zu starker Gegner, vor allem über eine ganze Saison gesehen. Trotzdem wird der Spieltag endlich wieder ein „Feiertag“, denn wir alle fiebern vor allem mit Edin mit und freuen uns mit ihm über jedes Tor. Und mit dem Derby kommt wieder richtig Feuer an zwei Bundesligaspieltagen auf. Ein bisschen hat es uns doch allen gefehlt, stimmt’s?
Am Ende der Saison stehen wir (wahrscheinlich) trotzdem wieder „nur“ auf Platz 2.
Der DFB-Pokal: The only hope
Unsere einzige wirklich realistische Titelchance startet gleich mit einem Knaller gegen 1860 München. Keine Auswärtsfahrt für jeden Fan, aber sportlich sehr reizvoll. Es ist sehr gut möglich, dass wir uns von Runde zu Runde kämpfen müssen, aber hier kann Terzic seine Stärke ausspielen: Leidenschaft. Die wird nämlich im DFB-Pokal dringend gebraucht. Alle Mannschaften werden alles gegen uns reinhauen und wie Pauli letztes Jahr bewiesen hat, kann man im Pokal auch als unterklassiges Team gegen den BVB gewinnen. Wenn es gut läuft, reisen wir am Ende der Saison euphorisch mit Edin nach Berlin und da kennt er sich ja schon ganz gut aus.
Die Champions League: Enjoy every minute
Nach vergangener Champions League-Saison erwartet wohl kein*e Boruss*in, dass wir mindestens ins Viertelfinale kommen. Die Auswährtsfahrer*innen werden sich freuen, wieder internationale Spiele besuchen zu können und egal wer in unsere Gruppe kommt: in Dortmund wird es für alle unangenehm. Als Fans sollten wir diese Spiele wieder stärker würdigen. Die Champions League ist zwar inzwischen Gewohnheit, aber die Auftritte dort können schnell vorbei sein, sodass wir kommende Saison mit der Einstellung „mal sehen was geht“ gut bedient sein sollten. Sollten wir das Achtelfinale erreichen, werden die Spiele noch magischer und das überträgt sich auf die Stimmung. Flutlichtspiele gegen die Großen Europas werden nächste Saison wieder richtig Spaß machen.
Schlussendlich kann es natürlich auch keine besonders präzise emotionale Saisonvorschau geben. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Aber ich kann versprechen: Wir werden leiden, schreien und verzweifeln, wir werden ausrasten, jubeln und vor Glück überschnappen. Es wird alles dabei sein, weil unser Fußball eben so ist.
Ja, besonders der sportliche Erfolg wird entscheidend sein, denn ich glaube nicht, dass man Mitte der Saison auf Platz 12 noch freudig auf jedes Terzic-Spiel warten würde. Aber der BVB hat einen mutigen Richtungswechsel eingeschlagen und kann damit sehr viel richtig machen. Solange wir ebenso mutig in die Saison gehen, wird „die nächste Aktion die wichtigste bleiben“ und wir werden eine Chance haben. Wie es am Ende kommt, sehen wir ab Anfang August, in der Hoffnung, dass mir diese Saisonvorschau nicht um die Ohren fliegt. Auf geht’s, Ihr Schwarzgelben…!