Stimmungsbericht Köln: kein ganz gewöhnliches Auswärtsspiel
Nach einem frustrierenden sportlichen Auftritt der schwarzgelben Mannschaft lässt sich der Blick mit gutem Gewissen weg vom Spielfeld und auf die Ränge richten. Denn dort war Einiges zu beobachten.
Edin Terzic hat die Dortmunder Niederlage beim 1. FC Köln in einem Satz treffend zusammengefasst, als er sichtlich angefressen zu Protokoll gab: „Man hat heute wieder sehr genau gesehen, woran es seit Jahren hapert, um oben anzuklopfen.“. Caroline hat hierfür in ihrem Spielbericht noch prägnantere Worte gefunden: Seit Jahren die gleiche Scheiße. Anlass genug, um sich stattdessen mit dem Geschehen auf den Rängen zu beschäftigen.
Etwa 5.000 Dortmunder machten sich unter recht verrückten Wetterumständen auf den Weg ins Rheinland. Phasenweise goss es vor und während des Spiels wie aus Kübeln - während der Halbzeitpause hingegen konnte man im Gästeblock aufgrund strahlenden Sonnenscheins auch schon mal die Frage „Hat jemand Sonnencreme dabei?“ vernehmen. Wie dem auch sei: ein Auswärtsspiel im Müngersdorfer Stadion ist in vielerlei Hinsicht eine gute Sache. Man trifft auf einen Traditionsverein, das Stadion hat Charme und die Fanszene des 1. FC Köln sorgt regelmäßig für einen lautstarken Kontrahenten auf den Rängen.
Begegnungen gegen den FC bergen bringen allerdings auch die Besonderheit mit sich, dass zwischen den aktiven Fanszenen seit Jahren freundschaftliche Verhältnisse existieren. Diese Kontakte, die auf eine Gruppenfreundschaft der Desperados mit den inzwischen aufgelösten Boyz Köln zurückgehen, werden mittlerweile auch von anderen Teilen der Fan- und Ultraszene gepflegt und waren auch in und um das Stadion gut sichtbar. Angefangen mit Dortmunder und Kölner Fans, die man vor der Begegnung vor den jeweiligen Fankurven gemeinsam beobachten konnte, bis hin zu Freundschaftsschals und Fahnen der jeweiligen Szenen, die in der 2. Halbzeit in der Südkurve und dem Gästeblock verwendet wurden (hierzu gleich mehr).
Auch eine gemeinsame Spruchbandaktion wurde initiiert: mit dem Slogan „Gegen E-Ticket und Print@home-Zwang – für den Erhalt von traditionellen Eintrittskarten“ positionierten sich die Südkurve und The Unity zur vereinsübergreifend zunehmenden Verwendung von E-Tickets. Auf Dortmunder Seite wurde diese Forderung mit einer schön gestalteten oldschool-Eintrittskarte garniert, die das Anliegen auch bildlich untermalte. Selbstverständlich ist es aus Kosten- und Umweltgesichtspunkten sinnvoll, digitale Angebote zu schaffen. Gleichzeitig kann wohl niemand behaupten, dass ein ausgedruckter DIN A4-Zettel oder ein digitales Karten-Wallet einen vergleichbaren emotionalen Wert besitzen, wie die Schatzkiste mit Eintrittskarten, die man an einem verregneten Sonntag aus dem Keller holt, um in Erinnerungen an vergangene Auswärtsfahrten zu schwelgen. In meinen Augen ist die diesjährige Herangehensweise der Borussia bei den Dauerkarten eine sinnvolle Lösung: wer auf die Plastikkarte verzichten möchte, bekommt ausschließlich ein E-Ticket; wer seiner Sammelleidenschaft nachgehen möchte, lässt sich eben eine physische Karte ausstellen.
Dass die Thematik auch Aspekte betrifft, die über den bloß emotionalen Wert einer Eintrittskarte hinausgehen, lässt sich gut in den Ausführungen der Hannoverschen Kampagne „Lang lebe die Eintrittskarte“ nachvollziehen. Mit der Einführung rein digitaler Eintrittskarten steht nämlich auch die Angst vor der zunehmenden Personalisierung von Tickets im Raum.
Auch die Desperados äußerten sich via Spruchband zu fanpolitischen Themen und nahmen das leidige Thema Kollektivstrafen ins Visier. Die deutliche Aussage „UEFA: Kollektivstrafen vom Verbrecherkollektiv…“ sowie der konkrete Anlass bedürfen vermutlich keiner näherer Erläuterung - schließlich hatte die Fanszene des 1. FC Köln erst vor wenigen Tagen aufgrund der Ausschreitungen beim Conference League-Spiel in Nizza einen Gästeausschluss für die Auswärtsspiele beim FC Slovácko und bei Partizan Belgrad kassiert.
Das ist auch schon die Überleitung zu einem anderen Thema, welches rund um das Auswärtsspiel in Köln vor allem in den sozialen Netzwerken, aber auch vereinzelt im Stadion zu vernehmen war: der Umgang mit Fanfreundschaften. Kontext: nach dem Spiel in Nizza entbrannte in Köln eine Diskussion darüber, inwieweit die Jahrzehnte alte Freundschaft der Kölner Ultras nach Paris und die Anwesenheit von Pariser Freunden in Nizza zu den Ausschreitungen geführt hätte. Die Wilde Horde stellte sich logischerweise vor ihre Freundschaft und äußerte sich auf französisch sinngemäß mit der Aussage, dass es die Wilde Horde nur gemeinsam mit der befreundeten Pariser Gruppe Supras Auteuil gäbe.
Als nun am Samstagnachmittag auch Kölner und Dortmunder Schwenkfahnen in den jeweils anderen Kurven gehisst wurden, konnte man ganz ähnliche Diskussionen vernehmen (Stichwort: „Ich möchte von Gruppe/Verein XYZ keine Fahne in meiner Kurve haben!“). Hierzu ein Vorschlag zur Güte: selbstverständlich muss man weder mit der Ausrichtung unterschiedlicher Gruppen und Fanclubs der eigenen Szene einverstanden sein und erst recht nicht mit Gruppen anderer Vereine. Gleichzeitig sollte man durchaus ein wenig Respekt für die Freundschaften anderer Fans mit sich bringen, so wie immerhin auch Freundschaftsschals mit x-beliebigen Vereinsbezügen auf der Süd akzeptiert werden. (Ergänzend dazu: dass man sich selbst in der Kölner Ultrászene mit dem Verhältnis nach Dortmund lange Zeit schwertat, lässt sich im auch ansonsten sehr empfehlenswerten Podcast der Coloniacs Ultras nachhören).
Ich für meinen Teil empfinde es als angenehmen Umstand, dass man - entgegen der ganz überwiegenden Entwicklung in Deutschland, was die Rivalitäten der Fanszenen angeht - auch mal Begegnungen hat, bei denen man ganz unbeschwert ein Bier mit Fans anderer Vereine trinken und sich ein bisschen austauschen kann. Die drei Punkte würde ich aber das nächste Mal gerne in Dortmund behalten.