Der richtige Gegner zur richtigen Zeit
Voraussetzungen
Beim BVB brodelte es vor dem Spiel. Die jüngsten Nichtleistungen in Berlin und Hannover hatten tiefe Spuren hinterlassen. Alles andere als ein Heimsieg gegen das Kellerkind aus Stuttgart würde die Lage sehr ungemütlich werden lassen. Beim Gegner sah es genau umgekehrt aus. Der Entlassung von Trainer Materazzo folgten Kantersiege in Bochum (1:4) und gegen Bielefeld (6:0).
Edin Terzic musste weiter auf Marco Reus verzichten. Für ihn startete Julian Brandt hinter Moukoko, Reyna und Adeyemi kamen über außen, Süle übernahm den Part des rechten Verteidigers vom verletzten Meunier.
Beim VfB verteidigte ein alter Bekannter. Dan-Axel Zagadou kehrte zurück ins Westfalenstadion.
1. Halbzeit
Der BVB legte einen Traumstart hin. Bellingham legte den Ball auf Flügelflitzer Süle, der legte zurück auf Bellingham und nach 90 Sekunden zappelte der Ball im Schwabennetz. Ein Auftakt nach Maß, der den Borussen aber nur bedingt Sicherheit gab. Zwar ging es immer wieder zügig nach vorne, aber auch der VfB suchte sein Heil in der Offensive und tauchte immer wieder am Dortmunder Strafraum auf. Richtig gefährlich wurde es jedoch nur, als in der 09. Minute Tomas halblinks vor Kobel auftauchte, der jedoch per Fußabwehr klären konnte.
Ansonsten mühte sich der VfB redlich und lief die Dortmunder immer wieder hoch an, ließ aber gleichzeitig offensiv wie defensiv unglaublich große Lücken. Eine dieser Lücken nutzte Niklas Süle nach einem Guerreiro-Freistoß zum 2:0. Offensiv zog der Gegentreffer dem VfB den Stecker, der BVB kontrollierte das Spiel nun. Und konnte vor der Pause noch nachlegen: Gio Reyna vollendete eine Kombination von Brandt und Moukoko zum 3:0. Es war sein erster Bundesligatreffer seit 421 Tagen, was nichts über seine fußballerischen Fähigkeiten, aber alles über sein Verletzungspech aussagt.
2. Halbzeit
Für ein paar Minuten beschlich die Zuschauer ein unangenehmes Gefühl. Der BVB zog sich zurück, der VfB kam in den ersten Minuten gleich zweimal gefährlich vor das BVB-Tor. Aber noch während die ersten Fragezeichen auf den Tribünen ob der abwartenden Haltung auftauchten, regelte einmal mehr Jude Bellingham die Sache auf seine Art. Sein Schlenzer von der Strafraumgrenze ins lange Eck sorgte für klare Verhältnisse. Vorausgegangen war ein starkes Gegenpressing von Brandt und Schlotterbeck, die den Ball nach einem Ballverlust sofort zurückeroberten. Für den VfB war es der endgültige KO, während der BVB weiter unbeirrt nach vorne spielte, weitere Chancen jedoch zunächst nicht nutzen konnte.
Terzic nutzte die klaren Verhältnisse, um frühzeitig zu wechseln. Schlotterbeck, Hummels, Adeyemi und Reyna verließen das Feld, Can, Passlack, Hazard und Modeste kamen dafür in die Partie. Warum Terzic dem sichtlich ausgepumpten Bellingham keine Pause gönnte und stattdessen auch die letzte Wechseloption für Wolf gegen Guerreiro nutzte, bleibt unklar.
Ab Mitte der zweiten Halbzeit schaltete der BVB drei Gänge runter. Aber auch weiterhin bot der VfB einfach defensiv zu viel an, so dass selbst mit Halbgas noch das 5:0 durch Moukoko heraussprang.
Auf den Tribünen
Die Südtribüne legte, zusätzlich durch den Spielverlauf beflügelt, einen wirklich guten Support hin. Anders sah dies im Gästeblock aus. Der Großteil der Ultras lag in der Nähe des Fanprojekts mit der Polizei im Clinch und schaffte es gar nicht erst ins Stadion. Der Rest brachte außer einem kümmerlichen „BVB-Hurensöhne“ mal gar nichts zustande.
Die Südtribüne positionierte sich zudem sehr deutlich zum Thema Katar und zu den beiden Todesfällen bei Polizeieinsätzen in Dortmund.
Einzelkritik
Gregor Kobel: Musste nur einmal richtig eingreifen und verhindert stark den Ausgleich. Ansonsten war es ein ruhiger Nachmittag, wenn man von den verdienten lautstarken Huldigungen der Südtribüne zur Halbzeit absieht.
Niklas Süle: Machte auf der rechten Seite ein richtig starkes Spiel.
Mats Hummels (bis 66.): Räumte hinten alles ab und verhinderte mehrfach, dass Stuttgart in gefährliche Abschlusssituationen kam.
Nico Schlotterbeck (bis 56.): Auch er stand meistens sicher. Rettete in der ersten Halbzeit stark per Grätsche im Strafraum, nachdem Guerreiro Tomas hatte laufen lassen. Musste angeschlagen runter.
Raphael Guerreiro (bis 80.): Nutzte offensiv den Platz, den Stuttgart ihm gab, für zwei Torvorlagen aus. Defensiv, wie üblich, nicht immer komplett sattelfest.
Salih Özcan: Hielt das Zentrum dicht und erlaubte Bellingham so seine Ausflüge über den ganzen Platz.
Jude Bellingham: Eine 1+ mit Sternchen und einem Aber. War überall zu finden, offensiv und defensiv Weltklasse und traf zum ersten Mal doppelt in der Bundesliga. Aber: Sein großer Aktionsradius führt auch immer wieder zu großen Lücken im defensiven Mittelfeld. Dies konnte gegen harmlose Stuttgarter durch Özcan kompensiert werden, gegen Manchester City kann es problematisch werden.
Karim Adeyemi (bis 66.): Nach seinem „Anschlusstreffer-saving -Tackle“ gegen Hannover, durfte er heute wieder von Beginn an ran. Konnte jedoch nur wenig Akzente setzen und wählte häufig die falschen Lauf- und Passwege. Offensiv dafür sehr lauffreudig, defensiv auch, hier fehlt jedoch manchmal noch die Übersicht.
Julian Brandt: Dreh- und Angelpunkt in der Offensive. War immer anspielbar, viele gute Ideen und auch defensiv mit hohem Laufpensum. Dass seine Körpersprache immer noch so wirkt, als wäre er nur so nebenbei am Spiel beteiligt, wird sich vermutlich nicht mehr ändern. In seiner derzeitigen Form auf jeden Fall einer der Besten auf dem Feld.
Gio Reyna (bis 66.): Auch er freute sich über ungewohnte Freiheiten auf seiner Seite und stürzte sich mit Freuden in die Kombinationen mit Brandt, Guerreiro und Moukoko. Belohnte sich mit dem 3:0.
Youssoufa Moukoko: Lauf- und Einsatzfreude lassen keine Wünsche offen. Bereitete Reynas Treffer vor und traf schließlich auch noch selbst. Ist damit der jüngste Spieler mit 09 Bundesligatreffern.
Emre Can (ab 56.): Nahm den Platz in der Innenverteidigung ein und hatte gegen harmlose Stuttgarter keine Chance, seine gefürchteten taktischen Fouls oder Handspiele im Strafraum anzubringen.
Felix Passlack (ab 66.): Hat ein Kopfballduell gewonnen!
Thorgan Hazard (ab 66.): Verwaltete den Vorsprung mit.
Anthony Modeste (ab 66.): Hatte eine gute Chance, als er sich stark um den Verteidiger drehte und dann an Müller scheiterte. Litt ansonsten darunter, dass der BVB nicht mehr mit vollem Zug nach vorne spielte.
Marius Wolf (ab 80): Nix zu meckern.