Im Gespräch mit...

... Michael Zorc: "Da bist du schon mal mit dem Mittelfinger vom Bürgersteig begrüßt worden!"

20.05.2022, 11:58 Uhr von:  Larissa Nina T.
... Michael Zorc: "Da bist du schon mal mit dem Mittelfinger vom Bürgersteig begrüßt worden!"

Kurz vor seinem offiziellen Abschied trafen wir uns mit Michael Zorc, um seine beispiellose Karriere beim BVB Revue passieren zu lassen. Wir sprachen über harte Zeiten, viele Titel und wie Dede eigentlich genau zum BVB kam.

Aller guten Dinge sind drei: Nach 2005 und 2017 ging es zum letzten Mal zum Interview mit Michael Zorc als Sportdirektor von Borussia Dortmund: Mit einer Mischung aus Vorfreude und Aufregung machten wir uns auf den Weg. Als es dann aber losging, wurde plötzlich alles ganz einfach: Michael Zorc macht es einem leicht. Diese Mischung aus Professionalität und persönlicher Ebene ist möglicherweise sein größtes, geheimes Talent. (Zum Glück hat er uns keine Verträge vorgelegt, wir hätten alles unterzeichnet.)

Part I: Entweder... oder...

Weltpokal '97 oder Derbysieg 2007?

Derbysieg 2007, weil wir da die Meisterschaft verhindert haben? Ich bin kein missgünstiger Mensch, deshalb orientiere ich mich immer zuerst an dem, was wir selbst geschafft haben – zumal es mein letzter Titel als aktiver Spieler war. Deshalb nehme ich den Weltpokal.

Pokalsieg '89 oder Meisterschaft 2002?

Pokalsieg ‘89

La Coruna oder Malaga?

Malaga

Hitzfeld oder Klopp?

Das ist gemein. (lacht) Beide. Es sind natürlich beides Top-Trainer. Aber aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass zu Jürgen - nicht zuletzt aufgrund des relativ geringen Altersunterschiedes (lacht) - in den sieben gemeinsamen Jahren einfach eine sehr enge Verbindung und ein bis heute anhaltendes freundschaftliches Verhältnis entstanden ist. Aber beide sind einfach tolle Trainer, die es hier über viele Jahre geschafft haben, den Club auf ein neues Niveau zu heben und auch zu halten.

Lieber Shinji Kagawa für 350.000 Euro an Land ziehen oder Ousmane Dembele für 140 Millionen Euro verkaufen?

Beides ist gut (lacht laut)! Shinji war damals ein Synonym für das, was wir seitdem doch ganz gut entwickelt haben: hungrige junge, große Talente zum BVB zu holen, damals noch für sehr wenig Geld. So ging es ja mit Kuba davor oder Lewandowski, Gündogan und so weiter danach weiter. Und diese – am Ende waren es glaube ich mit den ganzen Prämien sogar mehr als 140 Millionen bei Ousmane Dembele waren das “Schmerzensgeld” für die Art und Weise, wie er uns verlassen hat.

Lieber FC Schalke für immer in Liga zwei oder als regelmäßigen Titelkandidaten in der Bundesliga?

Ich nehme immer das Positive.

Also in Liga 2?

Nein! (lacht) Lasst die doch mal wieder hochkommen.

Pils oder Export?

Ich trinke Pils. Wenn ich schon mal Bier trinke.

Part II

Würdest du widersprechen, dass du die größte Legende bist, die Borussia Dortmund in seiner langen Geschichte hervorgebracht hat?

Ja. Natürlich. Erstens ist es für mich ein Grundprinzip, dass man sich selbst nie so bezeichnen sollte. Das gehört sich nicht. Zweitens ergibt es sich, dass so etwas vor allem aus dieser langen Zeit und Verweildauer beim Verein gesagt wird. Manche hatten in den Jahren zuvor gar nicht die Möglichkeit, so lange zu bleiben – auch nicht in den 50er- und 60er-Jahren, die für den BVB teilweise auch sehr positiv waren. Da gibt es zum Beispiel Stopper Paul, der damals Kapitän dieser Mannschaft war und heute mit über 80 immer noch zu jedem Spiel kommt. Den sehe ich jedes Mal und mit dem habe ich auch regelmäßig noch Kontakt.

Deine erste Saison als Profi liegt jetzt genau 40 Jahre zurück. Wenn du die Umstände, die Spieler und das Spiel damals und heute vergleichst: Welche Unterschiede sind die größten?

Rein fußballerisch betrachtet ist das ganze Spiel schneller und dynamischer geworden, auch taktisch anspruchsvoller. Ernster ist es auch geworden, weil der Fußball eine ganz andere Bedeutung hat als in den 80er Jahren. Insbesondere durch die WM 2006 hat der Fußball gesellschaftlich nochmal eine ganz andere Rolle bekommen. Familien, Frauen, Kinder sind vermehrt in den Fußball gekommen, für Dax-Vorstände war es auf einmal schick, im Aufsichtsrat eines Bundesligaclubs zu sein, während sie vorher nur beim Golfen und beim Tennis Unterstützung gegeben haben. Das hat schon was verändert, und Borussia Dortmund hat natürlich heute auch einen ganz anderen Stellenwert als es selbst in den 80ern der Fall war. Ich glaube, ich kann das ganz gut beurteilen, weil ich das damals mitgemacht habe. Da hatten wir nicht wie heute ein eigenes Trainingszentrum, sondern sind teilweise mit dem Bus zum Training zum Fredenbaum, zum Hoeschpark oder nach Marten gefahren – und das war jetzt auch nicht die Hochzeit in der Tabellenkonstellation. Da bist du schon mal mit dem Mittelfinger vom Bürgersteig begrüßt worden (lacht)! Damals hat Borussia bei Weitem nicht den Stellenwert gehabt, den wir heute haben, das hat sich dann entwickelt. Grundsätzlich ist es so, das Dortmund eine der Städte ist, in der die Stadt und ihre Einwohner am Intensivsten mit dem Club leben. Das ist in München, in Hamburg oder in Berlin nicht so der Fall, weil das einfach Metropolen sind. Bei uns sind Verein und Stadt wie eins. Das ist die große Kraft des BVB.

Kann diese Ernsthaftigkeit auch ein Nachteil sein?

Ja, vor allem Ernsthaftigkeit in dem Sinne, dass die Aufmerksamkeit einen Riesendruck auf die Jungs ausübt. Wir sind jetzt natürlich bei Borussia in einer Position, dass wir sehr häufig Zweiter sind, und du weißt, wenn du das Spiel jetzt auch noch verlierst, dann wird es wieder nichts mit dem Titelgewinn. Das ist manchmal schon eine undankbare Situation.

Wer waren deine ersten Trainer? Was verbinden du mit diesen Personen?

Mein erster Trainer, als ich bei den Profis mittrainieren durfte, war Udo Lattek. Ich war noch Jugendlicher, ging noch im Heisenberg-Gymnasium zur Schule und hab mein Abitur gemacht. Dann hat man mir beim BVB einen Vertrag angeboten, und irgendwann kam der Udo Lattek zu mir und sagte: “Pass auf, Michael, du kannst rennen, du kannst kicken - unterschreib mal den Vertrag!” Und das hab ich dann kurze Zeit danach gemacht, ohne Berater, ohne alles. Als sein Sohn verstorben war, verließ Udo den BVB recht kurzfristig. Mein erster richtiger Profitrainer war also Branko Zebec. Der hat mich geprägt, weil er mir eine unheimliche Disziplin und ein hohes Maß an Professionalität beigebracht hat.

Auf was wurde im Training besonderen Wert gelegt? Welche Werte wurden dir mitgegeben?

Bei Branko war das Credo: Viel laufen und fit sein. Er war aber auch sehr taktisch orientiert, das war also nicht immer schöner Fußball, den wir da gespielt haben. Da ging es viel um Vermeidung von Gegentoren. Aber er hat der Mannschaft – und das war neu am Anfang der 80er Jahre – versucht, ein grundlegendes Rüstzeug mitzugeben.

Werte? Eher nicht so viele. Eine schöne Geschichte: Die jungen Spieler mussten nach dem Training immer die Bälle am Mittelkreis einsammeln, dann stand Zebec da und kurz bevor wir fertig waren, hat er mit der Pike immer noch einen Ball weggekickt. Von daher: Vom Werte vermitteln war da außer Disziplin nicht ganz so viel.

Hat sich das bis heute geändert?

Gleich geblieben ist, dass du ein taktisches Rüstzeug, aber auch ein physisches Rüstzeug brauchst – das heißt: einfach fit bist und Kondition hast, wie es damals noch hieß. Doch das sind natürlich heute ganz andere Trainingsmethoden, das alles ist viel wissenschaftlicher aufgestellt, damals gab es zum Beispiel keinen Laktattest. Durch das verbesserte Training in den 90ern und jetzt in den Jahren ist das Spiel schneller und physischer geworden. Das ist schon ein brutales Tempo. Du hast viel weniger Zeit, Bälle anzunehmen, du musst dich richtig vororienteren. Das war bei unseren Helden in den 70ern, die Weltmeister wurden, sicherlich noch anders.

Heutzutage werden selbst Jugendspieler gescoutet und bekommen gezielt Einladungen zum Probetraining. Wie lief damals dein Wechsel vom TuS Eving-Lindenhorst zum BVB ab?

(zögert) Ja, ich glaube, gescoutet wurde auch, aber in einem viel regionaleren Rahmen als heute. Ich habe bei TuS gespielt und dann auch in der Kreisauswahl und der Westfalenauswahl – und da waren dann die Jungs vom BVB natürlich auch vor Ort. Da wurde ich dann vom Hauptgeschäftsführer, wie es damals noch hieß, Walter Maaß angesprochen: “Wir wollen dich für den BVB verpflichten.” Da hatte ich meinem Trainer beim TuS aber gerade versprochen, dass ich noch ein Jahr bleibe. Sonst wäre ich mit 15 zum BVB gegangen. Also bin ich noch dieses Jahr bei Eving geblieben und hab da als C-Jugendlicher in der A-Jugend gespielt, bevor ich dann erst mit 16 zum BVB gewechselt bin. Das ist die Geschichte. Vielleicht wurde ich gescoutet, vielleicht hat der BVB auch nur von mir gehört (lacht). Ich weiß es nicht. Aber so lief das damals ab.

Was wäre denn passiert, wenn du damals als 16-Jähriger gesagt hättest “ich möchte bei den Profis spielen”, wie es heutzutage mitunter normal ist?

Damals haben die jungen Spieler ja einen ganz anderen Stellenwert gehabt. Da hat man auch nicht gedacht “der soll sich hier entwickeln und wird ein Superstar”. Wenn du massiert werden wolltest, musstest du erstmal warten, bis Manni Burgsmüller und Rolli Rüssmann fertig waren. Da gab es keine Termine, da musstest du dich als Junger hinten anstellen.

In deine Zeit als Spieler fallen die bis heute größten sportlichen Erfolge der Borussia. Dabei sah es zu Beginn gar nicht so gut aus. Im Relegationsrückspiel 1986 musstest du mit deinem Ausgleichstreffer die Wende einleiten. Wie sehr Wende war das bezogen auf die ersten Jahre BVB?

Also das erste Jahr unter Zebec war zum Beispiel ein sehr gutes Jahr, da sind wir 6. geworden und haben uns das erste Mal seit 1966 wieder für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert. Damals sind wir, wie jetzt auch, gegen die Glasgow Rangers ausgeschieden. Das waren direkt meine ersten UEFA-Cup-Spiele.

Dann kam eine sehr unruhige Zeit, die in den Relegationsspielen gegen Fortuna Köln gipfelte. Wir lagen im Rückspiel quasi 3:0 hinten, weil wir das Hinspiel in Köln auch schon mit 2:0 verloren hatten. Nach 3 von 4 Halbzeiten lagen wir hinten. Ich habe dann den Ausgleich erzielt und dann kam am Ende Kobra Wegmann, der uns ins Entscheidungsspiel geschossen hat. Anfang der 80er Jahre war nicht so eine ganz lustige Zeit hier. Es gab viele Trainerwechsel und auch auf dem Vorstandsposten den einen oder anderen Wechsel. Da hat man bei diesem Relegationsspiel sehr extreme Emotionen gemerkt. Dr. Rauball, damals schon unser Präsident, stand in den letzten Sekunden halb auf dem Spielfeld, als das 3:1 gefallen ist. Also es waren sehr extreme Emotionen, damals war er ja noch sehr jung, in seinen 30ern.

Eine Woche später gab es das Entscheidungsspiel. Wir sollten eigentlich vier Tage nach dem Rückspiel spielen, aber da wurden 13 gelbe Scheine von den Kölnern eingereicht. Ein Skandal! Wir sind trotzdem zur eigentlichen Spielzeit hingefahren und standen auf dem Rasen, aber das Spiel fand dann erst eine Woche später statt. Damals ist eine ganze gelb-schwarze Karawane über die B1 Richtung Düsseldorf gefahren, und da hat man mal richtig gesehen, wie sehr diese Stadt mit diesem Club lebt. Und dann haben wir die 8:0 weggehauen im dritten Spiel. Danach hat es sich so hochgeschaukelt. Die nächste Initialzündung war natürlich der Pokalsieg 1989 mit der Legende Nobby Dickel. Das ist wirklich eine Legende. Der hat mit diesem Spiel halb sein Knie geopfert, aber eben den Titel geholt. Jeder hat das noch im Kopf. Diese gelb-schwarzen Bananen, die im Olympiastadion zu sehen waren. Diese Begeisterung der Menschen. Das war dann wie auf einer Abschussrampe: Hitzfeld verpflichtet, Italien-Rückkehrer verpflichtet, Meister ‘95, ‘96, Champions-League-Sieger. Besonders ‘95 war schön, weil wir da einen traumhaften Fußball gespielt haben. Andy Möller, Stephane Chapuisat, Kalle Riedle, wie die Meister da alle hießen. Die sind alle an mir vorbeigelaufen, weil die schneller waren als ich (lacht).

Danach investierte der BVB massig in “Steine und Beine”, um dich herum wurde eine Mannschaft von Weltklasseformat aufgebaut. Würdest du den Gewinn der Champions League 1997 als absolutes Karriere-Highlight bezeichnen?

Hm … natürlich ist es der größte Titel, den du als Vereinsfußballer gewinnen kannst. In diesem Jahr, ‘97, da wurde ich bald 35, war ich im Spätherbst meiner Karriere, manche sagen schon im Winter. Für mich waren also die Meisterschaften prägender, muss ich ganz ehrlich sagen, ‘95 und ‘96. Damals hatten wir viel Verletzungspech: Kalle Riedle Kreuzbandriss, Chapuisat Kreuzbandriss, Povlsen Kreuzbandriss – dann mussten Ricken und Tanko einspringen, unser “Babysturm”, und ich habe in beiden Meisterjahren als Mittelfeldspieler die meisten Tore schießen können. Das war für mich schon sehr prägend, möchte ich ganz ehrlich sagen. Die erste Meisterschaft war eine sehr emotionale, ähnlich wie der Pokalsieg ‘89. Bei der zweiten Meisterschaft hatte ich eher ein Gefühl von Stolz, dass wir es wieder geschafft haben und den Titel verteidigen konnten. ‘95 war der Gegner Bremen, danach das Jahr die Bayern. Und es dann wieder geschafft zu haben, war ein sehr besonderes Gefühl. Selbstverständlich ist die Champions League auch etwas sehr besonderes. Das hefte ich mir auch gerne ans Revers. Aber emotional waren die Meisterschaften prägender.

Hättest du gern öfter für die deutsche Nationalmannschaft gespielt?

Ja, das war nur ein sehr kurzer Zeitraum von Dezember 1992 bis Mitte ‘94, aber das war auch noch ein anderes Zeitalter, was die Länderspiele angeht. Und auf meiner Position waren Lothar Matthäus und Guido Buchwald vor mir, die haben zusammen gefühlt 400 Länderspiele! Da bin ich einfach nicht dran vorbeigekommen, muss ich ehrlich sagen.

Wer war der beste Spieler mit dem du je auf dem Rasen gestanden hast?

Das sind immer so unfaire Fragen ... In der Verteidigung, weil er so eine Eleganz ausgestrahlt hat, Julio Cesar. Von Jürgen Kohler konntest du absolute Professionalität und die nötige Härte lernen. Matthias Sammer ist überall rumgelaufen und hat die Mannschaft immer unter Dampf gehalten. Der schönste Fußballer – also vom Fußball, den er gespielt hat – war sicher Andy Möller. Unfassbar, wirklich unfassbar. Und dann waren da natürlich die Stürmer Chappi und Riedle. Das war ja schon fast die ganze Mannschaft … Paul Lambert und ich konnten dann immer zugucken, wie die anderen gespielt haben und ab und zu mal einen einnicken (lacht).

Wie war dein erster Tag als Sportdirektor?

Der offizielle Beginn war zwar der 01.07., aber ich hab in Wirklichkeit überhaupt keine Pause gemacht und war schon im Juni auf der ersten Beobachtungsreise. Die erste wichtige Reise, die ich gemacht habe, war nach Brasilien, um unseren Freund Dede abschließend anzuschauen. Der war vorher schon bei uns im Visier, wurde schon von dem einen oder anderen Scout begutachtet, dann ging es aber darum, ob wir das machen oder nicht. Der kostete damals 7 oder 8 Millionen Mark, was sehr viel Geld war. Das Spiel war allerdings total unspektakulär, er hat nach meinem Eindruck auch versucht, sich nicht noch zu verletzen. Danach sind wir in einer typischen Churrascaria essen gegangen, und Dede wartete den ganzen Abend darauf, dass ich ihm sage: Also, wir verpflichten dich! Ich war aber sehr unsicher, diese Entscheidung, die ja auch eine finanzielle Tragweite hatte, in dem Moment zu treffen und habe ihm dann gesagt, dass ich noch eine Nacht drüber schlafen möchte. Da konntest du richtig sehen, wie ihm die Kinnlade runterfiel. Wir hatten aber den Medizincheck schon in Brasilien vereinbart, sodass ich das ganz gut argumentieren konnte. Am nächsten Tag haben wir uns dann entschieden, dass wir das machen, und es war ja keine ganz falsche Entscheidung, würde ich sagen. Für Dede übrigens auch nicht.

Wie stand es damals um deine Vorerfahrung? Auf Wikipedia ist nur ein abgebrochenes Studium verzeichnet.

Genau, das ist auch so. Ich habe nach meinem Abitur in den 80er-Jahren Wirtschaftswissenschaften studiert, mich dann aber relativ schnell entschieden und eben als Profi Fußball gespielt. Mich haben diese wirtschaftlichen Zusammenhänge im Fußball schon immer interessiert, muss ich sagen. Das war zwar nicht der einzige Grund, aber deshalb war in meinem Kopf schon relativ frühzeitig die Tendenz, nach der Karriere in Richtung Sportdirektor zu gehen und nicht in Richtung Trainer. Der andere positive Effekt war: Auf der Position gab’s in Dortmund einfach eine höhere Chance auf eine längere Verweildauer. Ich glaube, als Cheftrainer wäre ich jetzt nicht 24 Jahre hier gewesen. Meine Frau ist aus Dortmund, ich bin aus Dortmund – wir wollten nicht weg. Das war bei mir auch im Hinterkopf. So konnte ich bei meinem Club auch im Sportbereich weiter die Dinge mitregeln. Das war für mich große Motivation und schon immer sehr verlockend. Daher kam dann diese Ausrichtung. Inhaltlich war das viel “learning by doing”, um ehrlich zu sein. Damals waren Michael Meier und Gerd Niebaum noch da, ich hatte sehr viel mit Meier zu tun und war anfangs wie ein Assistent für ihn – oder sagen wir: das sportliche Gesicht, weniger für die Finanzen zuständig. So hat sich das entwickelt, mit all den Fehlern, die man dann in so einer Situation auch macht.

War das zurückblickend die schwierigste Zeit für dich in deinem Job?

(zögert) Ich würde es anders sagen. Für mich war es aus heutiger Sicht ein großer Fehler, eben genau das getan zu haben: im Juni aufzuhören und im Juli direkt neu anzufangen. Da hätte ich mir mal ein bisschen Pause nehmen müssen, andere Gedanken machen, andere Einflüsse aufnehmen und mir einfach ein bisschen Zeit geben sollen. Die schwierigste Zeit war ganz klar die Zeit um und nach der Fast-Insolvenz, als uns immer klarer wurde: “Mein Gott, das sieht aber ganz schön dürftig aus, was die finanzielle Situation angeht!” Und dann – nachdem wir dann quasi gerettet waren – musste ich in anderthalb Jahren das Gehaltsbudget halbieren. Das ist bei bestehenden Verträgen – und Profis haben sich da auch nicht so komplett geändert (lacht) – sehr, sehr schwierig. Denn trotzdem war das Stadion voll, trotzdem waren wir noch 2002 Meister geworden, waren im UEFA-Pokal-Endspiel, Borussia Dortmund war immer noch Champions-League-Sieger - und aus alldem resultierend: Die Leute hatten Champions-League-Ansprüche. Aber der Kader und die wirtschaftliche Situation sahen anders aus und gaben das eigentlich gar nicht her. Es war schwierig, da die Balance zu halten. Wir haben Spieler verpflichtet, die es vorher bei Borussia Dortmund so nicht gegeben hätte. Das war schwer zu vermitteln, habe ich so empfunden. Da kam dann auch Kritik auf, und es war neu und schwierig für mich, damit umzugehen. Ich musste lernen, diese Kritik nicht mehr so ganz nah an mich ‘ranzulassen und habe mir wirklich ein dickes Fell aufgebaut, weil ich natürlich mindestens genauso enttäuscht war wie jeder Fan, wenn wir gewisse Ziele nicht erreicht haben. Dann sind wir so hin- und hergedümpelt und haben dann natürlich mit Jürgen Klopp einen absoluten Glücksgriff gelandet, der, ähnlich wie es ‘89 war, eine Abschussrampe für Borussia Dortmund wurde; der es geschafft hat, eine ganze Stadt euphorisch werden zu lassen. Er hat eine Art gehabt, die Leute alle auf das gleiche Ziel zu vereinen, wie ich es danach nie wieder gesehen habe. Und offensichtlich schafft er es ja heute auch noch, wenn man sich die aktuellen sportlichen Ergebnisse in Liverpool anschaut.

Gab es Momente, in denen du gerne hingeschmissen hättest?

Das war in jener Zeit der Finanzkrise. Aber da habe ich mir gedacht: “Dann gehst du hier so halb als Versager!”, und das wollte ich auch nicht. Meine Zwillinge waren damals in der Schule und haben auch schon das eine oder andere mitbekommen, und dann habe ich mir gesagt: “Ne, ich kämpfe mich hier durch!” Gott sei Dank haben wir es dann auch geschafft.

Aki Watzke kam dann auch ans Ruder und hat mir Rückendeckung gegeben. Die haben mir eine zeitlang immer nur Ein-Jahres-Verträge gegeben, da wusste ich manchmal im April nicht, ob ich im Juni noch im Amt bin, auch wegen der Geschichte davor. Ich war schließlich auch Teil der Meier- und Niebaum-Ära, das muss man auch klar sagen. Ich habe gesagt: “Schaut euch einfach an, wie ich arbeite, dann sehen wir weiter.” Aki hat sich das dann sehr genau angeschaut, hat sich komplett hinter mich gestellt und dann haben wir auch nochmal sehr, sehr gute 17 Jahre zusammengearbeitet.

Mit Meisterschaft, Double-Sieg und Champions-League-Finale erinnerte die Zeit von 2011 bis 2013 sehr an die Jahre von 1995 bis 1997. Sind für dich persönlich die Titel, die du als Spieler geholt hast, mehr wert als die, die du als Sportdirektor eingefahren hast?

Die Frage hab ich mir noch nie gestellt. Das ist eine gute Frage. (zögert)

Ich will es so formulieren: Die Zeit als Spieler ist immer schöner. Du erlebst das sehr intensiv, du kannst es auch selbst richten, du kannst ein Tor schießen, kannst ein Tor verhindern, kannst foulen – als Sportdirektor bist du eher mittelbar handelnd, indem du den Rahmen stellst und höchstens mal noch den Schiedsrichter anschreist (lacht). Dann gibt’s noch den Trainer, der sportlich eigentlich der wichtigste Mann ist…

Ich hab da keine Präferenz, um ehrlich zu sein. Es war beides toll. Ich bin Verantwortlicher, weil ich mich verantwortlich fühle. Da bin ich auch sehr stolz, wenn ich sagen kannst: “Ich habe daran mitgearbeitet, ich habe den Klopp verpflichtet, habe den ein oder anderen Spieler geholt und das hat dazu beigetragen, dass wir in Deutschland ganz weit oben stehen.” Für mich war beides gut und beides wertvoll.

Wenn du einen Wunsch frei hättest: Welchen Spieler - ehemalig oder aktuell - würdest du gerne erneut jetzt zum BVB lotsen?

Ganz pragmatisch gedacht, auf die aktuelle Situation bezogen: Erling Haaland verlässt uns jetzt - so einen jungen Lewandowski hätte ich ab dem 01.07. schon gerne wieder bei uns im Team, weil das genau die Lücke ist, wo wir durch den Abgang noch jemanden verpflichten müssen und werden. Und wenn der doch da wäre, dann sofort. Aber zum einen ist das jetzt nicht mehr mein Job, zum anderen ist Lewy auch nicht mehr ganz so jung… (lacht)

Was fiel schwerer: Die Entscheidung, als Profi aufzuhören, oder die Entscheidung als Sportdirektor aufzuhören?

Die Entscheidung als Profi aufzuhören ist am Ende auch eine biologische gewesen. Irgendwann geht es nicht mehr, und ich hab das schon ausgereizt. Ich glaube, eine weitere Saison wäre weder meinem Körper, noch meinem Trainer, noch den Zuschauern zumutbar gewesen (lacht).

Jetzt ist es eine sehr bewusste Entscheidung, die über viele Jahre gereift ist. Ich habe dazwischen nie eine Pause gemacht. Die letzten Jahre waren auch nicht immer ganz, ganz einfach. Ich habe jetzt auch das entsprechende Alter, deshalb ist das für mich der richtige Zeitpunkt. Ich arbeite jetzt seit vier Jahren mit Sebastian Kehl zusammen, das wird ein reibungsloser Übergang werden, der ist gut vorbereitet. Und das tut einem Verein auch gut, ab und zu mal neue Impulse und neue Ideen zu bekommen – und Sebastian steht für eigene Ideen, für einen eigenen Weg.

Hinter dir liegen über 40 Jahre Borussia Dortmund, in denen zwischen Champions-League-Sieg und Beinahe-Insolvenz alles dabei war. Wenn du aus heutiger Sicht auf den Verein blickst: Welche Geschichten vermag der BVB ab dem Jahr 2022 noch zu schreiben?

Das hört sich jetzt ein bisschen selbstlobend an, aber ich möchte schon sagen, dass die letzten zehn, zwölf Jahre sportlich mit die besten bei Borussia Dortmund waren, weil sie über einen ganz langen Zeitraum stabil waren. Wir haben in den letzten 11 Jahren nur einmal nicht Champions League gespielt, in Klopps letztem Jahr, haben uns da aber auch noch für die Europa League qualifiziert. Als Sportdirektor war das meine Aufgabe. Also Tradition und diese gefühlige Gemengelage beiseite: Ich glaube, dass der BVB eine sehr, sehr solide Basis hat. Das ist eben auch der Unterschied zu den Meisterschaften und Champions-League-Final-Teilnahmen 2011 bis 2013, aber auch zu ‘95 bis ‘97. Mittlerweile wissen wir, wo wir damals standen. Wir sind heute sehr gesund, und das auch obwohl Corona bei uns ein 120-Millionen-Euro-Loch ‘reingehauen hat; und das Geld kriegen wir auch nicht wieder. Wir können ja nicht 200.000 Leute auf einmal ins Stadion lassen. Aber trotzdem sind wir weiterhin sehr gesund und solide aufgestellt. Dafür steht auch Aki mit seinen Mitstreitern.

Wenn das vielleicht bei den Bayern auch irgendwann mal eine Ära zu Ende geht - Manuel Neuer wird nicht jünger, Lewandowski wird auch nicht mehr ganz lange da spielen und Thomas Müller hat auch schon mindestens seinen siebten Frühling – weil diese Erfolgsgaranten, die den FC Bayern in den letzten 10 Jahren als Spieler geprägt haben, irgendwann nicht mehr da sind… vielleicht haben wir dann wieder die Möglichkeit, nicht nur heranzurücken, sondern auch mal wieder vor denen zu stehen. Anders als es seit 2012 der Fall war, wo wir sie einfach zu sehr geärgert und gereizt haben.

Wenn du den heutigen Fußball betrachtest: Was erzeugt bei dir noch Gänsehaut?

Wir haben jetzt nahezu zwei Jahre lang mit wenig Kapazität oder ganz ohne Zuschauer gespielt, das war scheiße, das muss man ganz ehrlich sagen und das dürft ihr auch genau so schreiben (lacht). Auf einmal hörst du, was ein Ordner hinter dem Tor flüstert, das war ein ganz skurriles Geschehen, und das macht auch den Fußball nicht aus. Ich hatte echt Angst, dass es eine größere Entwöhnung vom Fußball gibt, als es jetzt dann tatsächlich der Fall war. Man sieht ja doch, dass die Stadien bei uns und bei bestimmten Clubs trotzdem wieder voll sind und die Leute auch gerne hingehen und dieses gesellschaftliche Erlebnis haben wollen. Das ist schön, das stimmt mich zuversichtlich

Die letzte Antwort haben wir für euch aufgezeichnet:

Auf dem Rückweg fiel uns ein: Nie wieder ein Wort von Michael Zorc…? Das wäre ja kaum auszuhalten!

Also, Michael, wir sind immer für Dich da: Ob Du was los werden möchtest als gastautor@schwatzgelb.de oder für ein Zwischenfazit „Sechs Monate Ruhestand – Ablöseverhandlungen im Supermarkt und so läuft’s im Hobbykeller“! Jederzeit gerne.

Vielen Dank für das Interview!

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel