The difference maker
Es war der letzte Tag der Sommertransferperiode im Jahr 2017, an dem der damals noch ein wenig pausbäckige und spitzbübische Jadon Sancho bei Borussia Dortmund den ersten Profivertrag seiner Karriere unterschrieb. Obwohl Sancho seinerseits nur einen Ausbildungsvertrag bei Manchester City besaß, den er einseitig und fristgerecht gekündigt hatte, einigte sich der Ballspielverein mit den Citizens auf die Zahlung einer Ablöse unter 8 Millionen Euro – im Angesicht des kurz zuvor vollendeten Wechsels von Ousmane Dembélé für 105 Millionen Euro zzgl. bis zu 40 % dieser Summe als Boni eine Investition, die ungefährlich schien. Und wie sie sich auszahlen sollte.
Der junge Engländer, der bei der U17-Europameisterschaft vor seinem Wechsel zum Spieler des Turniers gewählt worden war und kurz nach seinem Dienstantritt beim BVB dann sogar U17-Weltmeister wurde, nutzte das 17. Lebensjahr, um in Dortmund anzukommen. Seine erste Saison bescherte ihm 12 Einsätze (sieben über die volle Distanz) mit einem Treffer – im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen, bei dem er zwei weitere Tore vorbereitete. Danach sollte sein Stern über dem Dortmunder Himmel so richtig zu strahlen beginnen: 125 weitere Pflichtspiele mit 49 Toren und 60 Vorlagen folgten, Sancho war ab seiner zweiten Saison beim BVB Stammspieler, Leistungsträger – und machte häufig mit seiner Qualität den Unterschied aus.
Neben dem Platz sagt man Jadon Sancho zwei Seiten nach: Während er Tugenden wie Disziplin und Pünktlichkeit mit zunehmendem Alter noch ein wenig lernen musste, war sein Auftreten gegenüber Gesprächspartnern stets tadellos. Journalisten und Fans wurden überaus höflich, respektvoll und offen begrüßt, Antworten kamen wie aus der Pistole geschossen – die Geschwindigkeit im Kopf war für alle jederzeit spürbar. Und so zeigte sie sich dann auch auf dem Platz.
Mit unerwarteten und geschickten Tempoverlagerungen, explosiven Sprints und trickreichen Finten war Sancho im Trikot des BVB einer der wenigen Spieler, die zuverlässig einen, zwei oder manchmal sogar drei Gegenspieler aussteigen lassen konnten. Manchmal führte das auch zu brotloser Kunst, meist war der Junge aus London aber Ausgangspunkt vielversprechender Offensivaktionen im Spiel der Borussia. Und wenn er sie nicht mit seinem Spielwitz oder einem brillanten Dribbling eingeleitet hat, hat Sancho Angriffe des BVB regelmäßig mit einer Kaltschnäuzigkeit abgeschlossen, die in seinem Alter bestenfalls noch von der Erling Haalands übertroffen wird. Dabei spielte keine Rolle, ob er vom linken Flügel, vom rechten Flügel oder als hängende Spitze agierte.
Obwohl der angesprochene Haaland in der abgelaufenen Saison mit 41 Treffern in 41 Spielen die Effizienz in Person war und von euch Lesern mit der besten Gesamtnote bewertet wurde, kann man durchaus der Meinung sein, dass der Abgang Sanchos für das Offensivspiel des BVB die schwerwiegenderen Folgen haben wird. Seine Fähigkeit, enge Situationen mit Kombinations- oder Einzelaktionen aufzulösen, wird genauso fehlen wie seine Geschwindigkeit, seine Zielstrebigkeit und sein reiner Output in Form von Vorlagen und Toren. Kein Spieler in Europas Top-Ligen außer Lionel Messi hat in den vergangenen drei Spielzeiten mehr Treffer direkt vorbereitet und selbst erzielt als Jadon Sancho. Werte, die so nahezu unmöglich zu ersetzen sein werden.
Und doch wollte er wieder „nach Hause“, sogar „ausdrücklich“, wie der Textbaustein in BVB-Pressemitteilungen in so einem Fall immer vorsieht. Nachdem Manchester United im letzten Sommer dachte, sie könnten die Ablösesumme herunterhandeln, indem sie eine Deadline verstreichen lassen, erfüllten sie ihrem größten Transferziel in diesem Sommer seinen Wunsch – für eine Summe, die manch BVB-Fan immer noch zu niedrig findet. Eine Meinung, die in Zeiten entrückter Ablösesummen nicht ganz abwegig erscheint, dem Gentlemen’s Agreement zwischen BVB und Sancho sowie den Auswirkungen der Corona-Pandemie aber nicht ausreichend Rechnung trägt. Mehr war da wohl einfach nicht drin.
Beim BVB hinterlässt das sportlich eine Lücke, die mit den rund 56 Millionen Euro, die nach Abzug aller Ablösebeteiligungen übrig bleiben, schwerlich zu füllen sein wird. Zu groß sind die finanziellen Auswirkungen der anhaltenden Pandemie, zu groß sind aber vor allem auch die Fußstapfen, die dieser erst 21-jährige Junge aus London hinterlässt. Die Borussia hat einzig die Möglichkeit, ihr Spiel unter dem neuen Trainer Marco Rose anders auszurichten und die Last von Sanchos Weggang auf mehrere Schultern zu verteilen.
Doch was bleibt von Jadon Sancho nach vier Jahren in schwarzgelb? Herzschmerz ist es jedenfalls nicht. Dafür war von vornherein zu klar, dass es Sancho später wieder in seiner Heimatliga beweisen wollen würde. Trotz aller Tore, Vorlagen und Kabinettstückchen hat allein dieser Umstand verhindert, dass Sancho ein Publikumsliebling im Westfalenstadion wurde. Und doch hinterlässt er uns in stetiger Verzückung, mit Erinnerungen an grandiose Spielzüge, wunderschöne Tore und den ersten Dortmunder Titel seit 2017. An seiner Entwicklung zur Weltklasse trägt der BVB einen beachtlichen Anteil, auf den wir stolz sein dürfen, wenn Jadon Sancho in den kommenden Jahren zu einem der besten Fußballer der Welt reift. Schade, dass er diese Entwicklung nicht bei unserer Borussia vollendet – aber verdammt schön, dass wir ein Teil davon sein durften und er Teil unserer Geschichte war.
All the best, Jadon! Take care and raise hell over there!