In der Sackgasse
Borussia Dortmund ist in Istanbul in einem unter Fans höchst umstrittenen Trikot aufgelaufen. Weil es kein sichtbares Vereinslogo hat und der Verein die Sache aussitzt, hagelt es Kritik.
Ob sie es wirklich tragen werden? Vielen Fans war die Frage, in welchem Dress der BVB gegen Beşiktaş auflaufen wird, ebenso wichtig wie das Ergebnis. Schon seit Monaten sorgt das Cup-Trikot von Ausrüster Puma für Kopfschütteln. Doch sie trugen es wirklich.
Über Geschmack lässt sich streiten. Das grelle Neongelb mag man schön finden oder eben nicht. Gleiches gilt für den auf den ersten Blick fremd wirkenden "BVB 09"-Schriftzug auf der Brust. Geschenkt. Aus zwei Gründen ist dieses Trikot jedoch ein No Go. Erstens: Es hat kein erkennbares Vereinslogo. Zweitens: Als außenstehende*r Anhänger*in kommt man sich – man kann das an dieser Stelle so deutlich sagen – verarscht vor. Denn die öffentliche Kommunikation des Vereins war und ist miserabel. Aber der Reihe nach.
Schon vor Monaten gab es Gegenwind
Im Mai geisterten erste Leaks des Cup-Trikots durchs Internet. Schnell wurde klar, dass es sich um ein sogenanntes Ausrüster-Trikot handelt. Puma wollte mehrere Vereine mit demselben Design ausstatten, darunter Manchester City, AC Milan und Schachtar Donezk. Nicht die Klubs sollten im Vordergrund stehen, sondern der Sportartikelhersteller mit zentral platziertem Logo. Die Wappen der Vereine fehlten hingegen, so auch das des BVB. Wir haben kurz vor dem Pokalfinale darüber berichtet.
Borussia reagierte schnell auf die Ablehnung, welche in sozialen
Netzwerken, im Fanrat oder von der Ultra-Gruppierung Desperados sehr
deutlich geäußert wurde. Sie sei angekommen, das geleakte Trikot
entspreche nicht der finalen Version. Auf diese Aussage verließen
sich viele BVB-Fans – wir übrigens auch. Mehrmals haben wir in den
vergangenen Wochen redaktionsintern überlegt, beim BVB offiziell
anzufragen, wie denn der Stand ist. Wir entschieden uns dagegen, im
Vertrauen, der Verein würde zumindest das Logo noch aufs Trikot
bringen.
Im August dann gab es eine Fanratssitzung, an der auch Carsten Cramer teilnahm. Die Mitglieder wurden über die finalen Änderungen in Kenntnis gesetzt, es wurde jedoch auf Bitte des Vereins vereinbart, dass hierüber nichts nach außen dringt. Die Teilnehmenden hielten sich daran, eine zusätzliche Information für die Öffentlichkeit gab es vom BVB nicht. Für sie blieb bis zum Anpfiff des Besiktas-Spiels der Tweet im Mai State of the Art – verbunden mit den entsprechenden Erwartungen. Die mittlerweile obligatorische Vorstellung des dritten bzw. Cup-Trikots blieb aus, und spätestens als Borussia in der ersten Runde des DFB-Pokals im Outfit der vergangenen Saison auflief, wuchs die Skepsis. Vor wenigen Tagen tauchte die finale Version auch noch für kurze Zeit im indischen Online-Shop von Puma auf. Endgültige Gewissheit gab es dann gestern Abend. Verein und Ausrüster haben lediglich minimal nachjustiert. Der Schriftzug auf der Brust lautet nun "BVB 09" statt wie ursprünglich "Dortmund". Das Wappen ist sehr blass und kaum sichtbar ins Trikot eingearbeitet.
Vermutlich ließ der BVB sich gut bezahlen
Ebenso enttäuschend war und ist die Informationspolitik des Vereins für die breite Öffentlichkeit. Die bestand seit Mai nämlich nur aus besagtem Tweet. Jemand, der Verständnis signalisiert und Veränderungen ankündigt, erweckt den Eindruck, zumindest in den wesentlichen Kritkpunkten einzulenken. Und die drehte sich von Anfang an um das fehlende Wappen. Der BVB weiß, dass dies ein unveräußerlicher Teil der Vereinsidentität ist. Nicht nur aus der Fanszene wurde ihm das mehr als deutlich gespiegelt, auch Mitarbeiter*innen haben intern vor den Folgen gewarnt. Traurig genug, dass man den Verein daran erinnern muss.
Hat der BVB mit seinem Statement bewusst eine falsche Fährte gelegt, um Kritik ruhig zu stellen? Leider traut man es ihm mittlerweile zu.
Naheliegend ist, dass Borussia sich in eine Sackgasse manövriert hat. Der Deal mit Puma, auf dem dieses Trikot basiert, soll bereits 2019 und im Rahmen der Verlängerung des Ausrüstervertrages abgeschlossen worden sein. Wir können nur spekulieren, aber vermutlich hat der BVB sich das Ganze gut bezahlen lassen. Ein Ausrüster-Trikot dieser Art bedeutet für Puma schließlich exklusive Werbefläche in der Champions League. Als man am Rheinlanddamm dann merkte, dass die Aktion so überhaupt nicht bei den Fans ankommt, war es zu spät. Möglicherweise haben die Verantwortlichen um Geschäftsführer Carsten Cramer tatsächlich versucht, die Kuh vom Eis zu bekommen. Aber Vertrag ist Vertrag. Ob auch die heute beschlossene Kapitalerhöhung mit der ganzen Sache etwas zu tun hat, muss sich noch zeigen. Im ersten Moment wirft sie aber kein gutes Licht auf die Verantwortlichen. Puma hält aktuell fünf Prozent der Aktien an der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA und ist ein wichtiger strategischer Partner.
Vielleicht hätten viele Fans dem BVB diesen Fehltritt unter Bauchschmerzen verziehen, hätte er sich öffentlich hingestellt und eingestanden, dass er da mächtig Scheiße gebaut hat. Und glaubhaft (!) versichert, daraus für die Zukunft zu lernen.
Tabubrüche als System
Für so etwas beschäftigt die KGaA übrigens Berater und einen Direktor Kommunikation samt Abteilung, deren Job es ist, durch solch brenzligen Situationen zu führen. Eine Strategie überlegen, das Thema zu begleiten, Möglichkeiten für kritischen Austausch schaffen, Leute mitnehmen – zumindest aber transparent und ehrlich gegenüber den eigenen Anhänger*innen sein. Wo blieb das alles?
Offenbar war es nicht gewünscht. Borussia Dortmund wollte dieses Thema stattdessen schlicht aussitzen. Dafür spricht auch, dass man im Vorfeld darauf verzichtete, Webung für das neue Jersey zu machen. Normalerweise feuert der BVB einem solchen Anlass über alle Kanäle.
Die Strategie des Aussitzens ist nicht überraschend, schließlich passierte es zum wiederholten Mal, dass der Verein vorsätzlich und wider besseren Wissens eine Grenze
überschritt, Stichwort
Fantoken. Es verfestigt sich das Gefühl, dass dieses
Vorgehen am Rheinlanddamm mittlerweile System hat: Tabus brechen, um
nach und nach die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Heute war es
das Logo, was kommt morgen?
"Jeder Mensch, der sich für Borussia Dortmund interessiert, muss Wertschätzung erfahren", sagte Carsten Cramer im am Montag erschienenen "kicker meets DAZN"-Podcast. Das ist in diesem Fall gründlich in die Hose gegangen.
In der ursprünglichen Version dieses Textes hieß es, es habe seit Mai keinerlei Kommunikation mehr stattgefunden. Das stimmt so nicht, im August gab es eine nicht-öffentliche Fanratssitzung, an der auch schwatzgelb.de teilnahm. Auf Bitte des Vereins wurde jedoch vereinbart, dass das Besprochene nicht in die Öffentlichkeit geht. Diese Information haben wir im Text ergänzt. Unsere grundsätzliche Kritik, dass die Kommunikation nach außen irreführend war, bleibt jedoch bestehen.