Im Gespräch mit...

"Fußball kann mehr": Frauenquoten in Fanorganisationen?

25.06.2021, 08:45 Uhr von:  Malte S.
Seitliche Aufnahme der lächelnden Helen Breit. Sie trägt ein Stirnband, einen Pferdeschwanz, einen rot-weißen Freiburg-Schal und einen schwarzen Widnbreaker.
Gemeinsam mit acht anderen prominenten Frauen aus dem Fußball ist Helen Breit vor Kurzem mit der Initiative "Fußball kann mehr" an die Öffentlichkeit gegangen

Das Netzwerk „Fußball kann mehr“ setzt sich seit Kurzem für mehr Geschlechtergerechtigkeit ein. Neun prominente Frauen aus dem Fußball fordern in einem Positionspapier unter anderem verbindliche Frauenquoten in Vereinen und Verbänden, gleiche Bezahlung und eine konsequente Bekämpfung von Diskriminierung.

Mit Helen Breit ist auch eine Fanvertreterin unter den Initiatorinnen. Die Vorsitzende von Unsere Kurve hat uns erzählt, wie "Fußball kann mehr" entstanden ist und in welchen Bereichen der Fußball in Sachen Gleichbehandlung Nachholbedarf hat.

Weil sich die insgesamt acht Kernforderungen der Initiative nicht nur an DFB und DFL richten, sondern auch an Fans, haben wir mit Helen außerdem darüber gesprochen, wie sich Sexismus in Fanorganisationen bekämpfen lässt und warum auch hier Frauenquoten oder gendersensible Sprache helfen können.

schwatzgelb.de: Eure Initiative “Fußball kann mehr” hat sehr hohe Wellen geschlagen. Erzähl doch mal bitte, wie sich die Runde von neun Frauen gefunden hat.

Helen Breit: Das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Fußball ist ja kein neues. Uns Initiatorinnen eint, dass jede auf ihre Art dieses Thema schon länger begleitet. Ob es nun Katja Kraus gegenüber Politik und Wirtschaft ist oder Almuth Schult, die sehr selbstbewusst über die Ungleichbehandlung von Frauen- und Männerfußball spricht.

Es ist in der Tat eine sehr heterogene Gruppe, wir kommen aus unterschiedlichen Bereichen des Fußballs. Vor einigen Jahren hätte ich gar nicht gedacht, dass eine solche Konstellation mal ein Forderungspapier präsentieren würde. Trotzdem hat sich die Runde schnell gefunden. Wir haben uns in relativ kurzer Zeit häufig getroffen, diskutiert und das Positionspapier geschrieben.

Wie hast du als Fußballfan Kontakt zu den anderen Initiatorinnen geknüpft?

Ich selber habe zu einigen Frauen über die Jahre Kontakt aufgebaut. Sandra Schwedler kenne ich über die bundesweite Fanarbeit schon sehr, sehr lange. Mit Katja Kraus saß ich in derselben Gruppe der DFL-Taskforce “Zukunft Profifußball”; durch meine Arbeit in unserem Netzwerk "Zukunft Profifußball" (ein Fan-Zusammenschluss, der den gleichen Namen trägt wie die DFL-Taskforce; Anm. d. Red.) habe ich zum Beispiel auch Almuth Schult kennengelernt. Claudia Neumann und ich sind uns im Rahmen eines Interviews begegnet. Es waren also ganz unterschiedliche Kontexte, aber immer in meiner Fan-Rolle. Bibiana Steinhaus-Webb und die anderen großartigen Frauen habe ich übrigens das erste Mal bei “Fußball kann mehr” getroffen.

Die Initiatorinnen: Almuth Schult (Profi-Fußballerin), Bibiana Steinhaus (Schiedsrichterin), Claudia Neumann (Kommentatorin), Gaby Papenburg (Präsidentschaftskandidatin für den Berliner Fußballverband), Helen Breit (Vorsitzende der Fanorganisation Unsere Kurve), Jana Bernhard (Geschäftsführerin der S20 –The Sponsors‘ Voice e. V.), Katja Kraus (Geschäftsführerin Jung von Matt Sports), Katharina Kiel (Geschäftsführerin talentZONE GmbH) und Sandra Schwedler (Aufsichtsratsvorsitzende FC St. Pauli).

Du bist seit vielen Jahren in der Fanszene des SC Freiburg und als Vorsitzende von Unsere Kurve aktiv. Dass sich ein Bündnis mit einem gemeinsamen Ziel gründet, wirst du nicht das erste Mal erlebt haben …

Ja, als Fans kennen wir das: Wir gründen das x-te Bündnis, um wieder etwas zu erreichen. (lacht) “Fußball kann mehr” ist einerseits sehr anders als das, was ich aus meinem Fandasein kenne. Es ist eine Gruppe von Protagonistinnen, die aus verschiedensten Bereichen kommen und teilweise ganz andere Herangehensweisen haben. Andererseits stellen wir uns dieselben Fragen wie Fangruppen: Was ist das wichtigste Anliegen? Mit welcher Form können alle mitgehen? Wie gehen wir an die Öffentlichkeit?

Es war relativ schnell klar, dass das Ganze in einem Forderungskatalog münden wird, der öffentlichkeitswirksam präsentiert werden soll.

Inwiefern konntest du bei der Aufstellung der Forderungen deine Erfahrungen aus der aktiven Fanarbeit einfließen lassen?

In der Regel ist man als Frau nicht nur in der eigenen Fanszene in der Minderheit, sondern auch, wenn man als Fan-Vertreterin mit der Geschäftsführung am Tisch sitzt. Häufig war ich die einzige Frau, mir saßen nur Männer gegenüber. Im Tagesgeschäft und über die zukünftige Ausrichtung entscheiden fast nur Männer. Eben diese entscheiden ebenso über Mentoring-Programme oder Förderung von Frauen in Verbänden, in der Trainer*innen- und Schiedsrichter*innen-Ausbildung. Deshalb müssen sich in den Führungsgremien endlich auch Frauen wiederfinden.

Ich habe den Eindruck, dass unsere Themen gerade bei jungen Menschen gar nicht groß zur Diskussion stehen.

Seit Veröffentlichung eures Positionspapiers liegt der Fokus der öffentlichen Diskussion sehr stark auf dem DFB und Reformen des Verbandes. Habt ihr nicht die Sorge, dass eure Forderungen auf den DFB verkürzt werden und andere Themen wie Frauen in Fanszenen, in der Sportberichterstattung oder Profiklubs unter den Tisch fallen?

Da müssen wir aufpassen. Natürlich besteht die Gefahr, dass beispielsweise die DFL oder Profivereine nun mit den Fingern auf den DFB zeigen, nach dem Motto: Natürlich stehen wir hinter der Sache mit den Frauen. Aber schaut mal, was beim DFB alles schiefläuft! Deshalb müssen wir immer wieder betonen: Es richtet sich auch an euch. An die DFL, die Vereine, die Mitglieder …

Gleichzeitig habe ich aber den Eindruck, dass unsere Themen gerade bei jungen Menschen gar nicht groß zur Diskussion stehen. Viele finden es unfassbar, dass der Fußball in Sachen Geschlechtergerechtigkeit so rückständig ist. Das macht mir Mut, dass unser Anliegen medial nachhaltig Thema sein wird, und gerade nicht nur benutzt wird, um eine weitere Schlagzeile gegen den DFB zu kreieren. Zumal ich den Eindruck habe, dass sich im letzten Jahr eine breitere gesellschaftskritische Perspektive auf den Fußball entwickelt hat, die wir aktiven Fans schon hatten.

Die Kernforderungen:

  • verbindliche Frauenquote für Fußballverbände von mindestens 30 Prozent in Führungspositionen bis 2024,
  • verbindliche Frauenquote von mindestens 30 Prozent in Aufsichtsräten sowie mindestens eine Frau Vorstand bzw. Geschäftsführung eines jeden Klubs der Männer- und Frauen-Profiligen bis 2024,
  • paritätischer Unterbau von Frauen und Männern auf der zweiten Führungsebene bei Verbänden und Clubs bis 2024,
  • Programme zur Herstellung der Chancengleichheit von Frauen (u. a. Trainer*innen, Scouting, Nachwuchsleistungszentren, Management),
  • Gehaltstransparenz – gleiche Bezahlung für den gleichen Job,
  • Veränderung der Rahmenbedingungen, die Frauen und Diversität in der Organisation stärken (z. B. Personalgewinnung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf),
  • geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Sprache,
  • Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung, auch
    außerhalb des Platzes, und entsprechende Anlaufstellen für Betroffene. (Link zum Positionspapier)

Hab ihr das Positionspapier denn bewusst rund um den Rücktritt von Fritz Keller und die Diskussionen über nötige Verbandsreformen veröffentlicht?

Der Zeitpunkt, parallel zur DFB-Krise, war überhaupt nicht strategisch gewählt. Wir wollten unser Thema am Ende der Saison platzieren. Als sich der Konflikt im Verband zuspitzte, wollten wir nicht zurückziehen, nur weil die Vorgänge beim DFB in breiter Öffentlichkeit diskutiert wurden. Wir haben in Kauf genommen, dass alle erstmal denken, das seien Forderungen ausschließlich an den DFB.

In eurem offenen Brief schreibt ihr, dass ihr in euren Funktionen als Schiedsrichterinnen, Vorstandsmitglieder oder Kommentatorinnen als Exotinnen wahrgenommen worden seid beziehungsweise immer noch werdet. Hat sich das auch in deiner Fanbiografie gezeigt?

Ja und nein. Ich selbst habe mich nicht als Exotin gefühlt, weil es für mich persönlich selbstverständlich war, Fußballfan zu sein. Von außen wurde ich jedoch als Exotin wahrgenommen, weil ich eben sichtbar kein Mann bin. Plakatives Beispiel Polizeikontrolle: Als während einer Auswärtsfahrt einmal der Bus, in dem ich saß, kontrolliert wurde, musste die Polizei extra eine weibliche Kollegin anrufen, die nachträglich kam, um mich und weitere weibliche Fans zu kontrollieren. Sie hatten es einfach nicht für möglich gehalten, dass ein weiblicher Fan dabei sein könnte.

Und welche Erfahrungen hast du in der Fanszene gemacht?

Ich gehe mein ganzes Leben lang zum Sportclub und bin mit circa 16 in die aktive Fanszene eingetreten – für mich war immer klar, dass ich machen kann, was ich will. Deshalb fand ich es gar nicht so außergewöhnlich, mit bis zu 49 Männern in einem Bus zu sitzen. Außerdem war es in meiner Anfangszeit eine sehr kleine Fanszene in Freiburg. Wir Frauen hatten grundsätzlich keine Grenzen bei unseren Aktivitäten, weil alle gebraucht wurden.

Trotzdem bin ich in meinem Fandasein natürlich mit Sexismus und sexueller Belästigung konfrontiert worden, genauso wie in Discos oder Kneipen. Es gab Momente, in denen war ich mir sehr sicher, dass ich aufgrund meines Geschlechts anders behandelt werde. Ich habe deshalb lange versucht, als Frau nicht so sichtbar zu sein, indem ich beispielsweise keine Röcke im Fußballkontext getragen oder mich nicht geschminkt habe. Gleichzeitig kann ich in dieser männlich dominierten Szene mehr ausleben als mir als Frau gesellschaftlich zugestanden wird: Ich kann laut schreien, pöbelig sein und Bier trinken. Es ist also auch eine Chance.

Geschlechterthemen sollten nicht nur von reinen Frauen-Zusammenschlüssen platziert werden, sondern breit.

Wirst du als Frau im Fußballkontext heute anders wahrgenommen?

Ich war lange im Vorstand der Supporters Crew Freiburg, bin darüber zu Unsere Kurve und später in die Vorsitzendenrolle gekommen. Mittlerweile bin ich ganz schön lange in der aktiven Fanarbeit unterwegs, und ich glaube, dieser Zeitfaktor hebt einiges auf.

Mittlerweile gibt es eine gewisse Öffentlichkeit für die, die Frauen beim Fußball widerfahren. Es gibt mehr Berichte über sexuelle Übergriffe beziehungsweise Diskriminierungen.

Wir haben in Freiburg mal ein Frauen-Brunch mit anderen weiblichen Fans gemacht. Wir hatten gar nicht vor, über Sexismus zu sprechen. Aber als andere Frauen von ihren Erlebnissen beim Fußball berichteten, drehte sich plötzlich sehr viel um Sexismus, sexuelle Belästigung oder Übergriffe. Da war ich wiederum schockiert, weil ich dachte, wir hätten das überwunden. Aber nur, weil niemand davon erzählt, ist es nicht verschwunden. Deshalb ist es wichtig, Räume für einen solchen Austausch zu schaffen, sonst bleiben Frauen und die Diskriminierung, die sie erleben, kaum sichtbar.

Seit einiger Zeit gibt es mehr Zusammenschlüsse von weiblichen Fußballfans beziehungsweise diese werden stärker wahrgenommen. Das F_in-Netzwerk, der “Frauen reden über Fußball”-Podcast oder die Ausstellung “fan.tastic females” sind vor allem vereinsübergreifende Bündnisse. Dahinter steckt auch Selbstermächtigung. Wie wichtig sind solche Zusammenschlüsse?

Einerseits finde ich es ganz unabhängig vom Thema anstrengend, dass es so viele bundesweite Fanorganisationen und -bündnisse gibt, andererseits ist die Vielfalt wichtig, damit jeder Mensch seinen Platz finden kann. Je mehr Frauen- oder gemischtgeschlechtliche Netzwerke, die sich Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, wir haben, desto besser kann jeder Mensch schauen, bei welchem Bündnis er oder sie sich wohl fühlt. Und dann können wir alle gemeinsam für die gleiche Sache kämpfen. Am besten ist es, wenn Geschlechterthemen nicht ausschließlich von reinen Frauen-Zusammenschlüssen platziert werden, sondern breit. Dafür setze ich mich beispielsweise bei Unsere Kurve ein.

Ich kenne genug männliche Fans, die das Gefühl haben, den Erwartungen an Männlichkeit nicht entsprechen zu können.

Manche Personen argumentieren, als rein weiblicher Zusammenschluss nehme man eine Sonderrolle ein und stelle selbst die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in den Vordergrund. Viel besser sei es doch, wenn das Geschlecht keine Rolle spielen und man gemeinsame Gruppen bilden würde.

Frauen treffen sich beim Fußball nicht unter Frauen, um andere auszuschließen. Das Ziel ist, sich als Minderheit, die wir in Fanszenen definitiv sind, gegenseitig zu stärken und auch mal Dinge auszusprechen, die man sich anderswo nicht traut. Außerdem ist das gegenseitige Zuhören eine wichtige Sache. Nicht jede Frau, die schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann darüber sprechen. Dann kann es helfen, von anderen zu hören, die Gleiches erlebt haben, und zu merken, dass man nicht alleine ist. Das Problem bei Diskriminierung ist ja, dass viele Betroffene das Erlebte auf sich persönlich beziehen – obwohl sie kein Einzelfall sind. Es ist schlimm, zu realisieren, dass die Abwertung oder Ausgrenzung etwas mit meinem Geschlecht zu tun hat. Aber ist auch eine Chance: Zu wissen, dass es nicht an mir als Mensch liegt, hilft mir, solche Angriffe in Zukunft besser abzuwehren.

Am besten ist es in meinen Augen, beides zu haben: In einer Fanszene grundsätzlich gemischtgeschlechtlich organisiert zu sein, gleichzeitig aber Schutzräume für Frauen zu haben. Damit machen wir uns sichtbar. Natürlich wäre es gut, wenn wir das alles gar nicht bräuchten, zumal wir uns damit gleichzeitig auch verwundbar machen. Menschen, die in anderen Kontexten von Diskriminierung betroffen sind, machen es übrigens genauso.

Was antwortest du einem Mann, der sagt: Wenn ihr Frauen euch so exklusiv trefft, dann möchten wir das auch.

Dann sage ich: Ja, haut rein! Organisiert euch einen eigenen Raum und sprecht über das, was euch wichtig ist. Auch zum Thema Männlichkeit gibt es viel zu diskutieren: Welche Anforderungen existieren in Fanszenen an Männlichkeit? Welche Rolle spielen Stärke, Heterosexualität und Emotionen? Im Fußball sind das echte Herausforderungen. Ich kenne beispielsweise genug männliche Fans, die sich unwohl fühlen, im Block ihr T-Shirt auszuziehen, oder die nicht so laut schreien können und das Gefühl haben, den Erwartungen an Männlichkeit nicht entsprechen zu können.

Es gibt viele, die sagen: Ach komm, so ein bisschen sexistische Sprüche gehören immer noch zur Fußballkultur.

Eine Sache, die “Fußball kann mehr” fordert, ist die Sanktionierung von Sexismus und Diskriminierung, auch außerhalb des Platzes. Für Fußballfans sind Sanktionen von oben, insbesondere von Vereinen und Behörden, ein unglaublich sensibles Thema. Wie kann so etwas aussehen?

Wie sich sicher viele denken können, habe ich mich sehr schwer damit getan, diesen Punkt ohne weitere Erklärungen so prominent in unserem Papier zu platzieren. Ich finde es immer verkürzt, einfach nur Sanktionen zu fordern. Fanorganisationen sensibilisieren schon lange dafür, dass man damit keine Verhaltensänderungen bewirkt. Andererseits haben Sanktionen auch die Funktion, zu zeigen, dass etwas nicht erwünscht ist.

In anderen Bereichen wie Rassismus und vielleicht auch bei Homophobie haben wir es geschafft, dass es einen Konsens gibt: Die Mehrheit möchte das im Fußball nicht. Dieses Grundverständnis ist zum größten Teil an der Basis, von unten nach oben entstanden. Sexismus hingegen ist in meinen Augen umstrittener. Es gibt viele, die sagen: Ach komm, so ein bisschen sexistische Sprüche gehören immer noch zur Fußballkultur. Das gilt übrigens für den VIP-Raum ebenso wie für die Fankurven.

Auch wenn es auch dort noch viel zu tun gibt – das gemeinsame Verständnis, das wir etwa bei rassistischer Diskriminierung haben, müssen wir auch bei Sexismus und anderen Diskriminierungsformen schaffen. Und das erreiche ich erstmal über Regeln. So lange die Verbände und Vereine nicht klar sind und signalisieren, dass sie Sexismus genauso als Diskriminierung sehen und ablehnen, stößt jedes noch so gute Engagement von Fans an seine Grenzen. Wir brauchen eine Sensibilisierung von unten und oben.

Ich tue mich mit dem Thema immer noch schwer. Aber es ist etwas anderes, ob Diskriminierung sanktioniert wird, oder von der Meinungsfreiheit gedeckte, zugespitzte Transparente. Irgendwo muss man eine klare Linie ziehen, und für mich ist die bei Diskriminierung. Die Menschenwürde ist da für mich definitiv ein höheres Gut.

In unserem Papier meint “abseits des Platzes” übrigens nicht nur die Fans, sondern vor allem Vereine und Verbände im Bereich des Ehren- und Hauptamts. Es geht um einen achtsamen und sensiblen Umgang mit Diskriminierung und diskriminierenden Strukturen und damit einhergehend um Schutzmöglichkeiten für Betroffene.

Wie könnte Sensibilisierung von unten nach oben denn für dich aussehen?

Wir haben zum Beispiel im “Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt” ein Handlungskonzept zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Stadion herausgebracht. Darüber hinaus gibt es auf Fanebene vielfältige Aufklärungsarbeit und Workshopangebote von unterschiedlichsten Organisationen. So etwas wäre auch bei Vereinen und Verbänden dringend angezeigt.

Ich finde, dass auch uns Fanorganisationen eine Quote helfen würde.

Als “Fußball kann mehr” stellt ihr in eurem Positionspapier vor allem Forderungen auf. Gegenüber Institutionen wie Vereinen und Verbänden ist das relativ einfach. Aber an Fans, für die Fußball vor allem eine Freizeitaktivität ist und die ehrenamtlich unterwegs sind, lässt sich da schon schwieriger appellieren.

Ich glaube, an Fans kann man zum Beispiel dann Forderungen stellen, sobald sie sich in entsprechenden Organisationen zusammengeschlossen haben. Wir aktiven Fans müssen uns doch ebenso fragen, ob Frauen in der Fanpolitik ausreichend repräsentiert sind. Und falls nicht, was müssen wir ändern? Außerdem können wir von Verbänden doch nur Dinge fordern, die wir selbst umsetzen.

… unter anderem eine Frauenquote von 30 Prozent in Führungspositionen.

Bei Unsere Kurve zum Beispiel habe ich eine Diskussion über Satzungsänderung für eine Frauenquote angestoßen. Zur Wahrheit gehört auch, dass auch bei uns eine solche Änderung nicht einfach positiv verabschiedet wird, auch wenn unsere Mitglieder überhaupt kein Problem damit haben, von Frauen repräsentiert zu werden. Aber als ich zum Beispiel gefragt worden bin, ob ich bei unserer Vereinsgründung für das Amt der ersten Vorsitzenden kandidieren möchte, habe ich zur Bedingung gemacht, dass noch eine zweite Frau dabei ist. Grundsätzlich sind bei Unsere Kurve gar nicht so wenig weibliche Vertreterinnen unserer Mitglieder. Trotzdem hieß es aber nach aber der Wahl, bei der ich nicht anwesend war, man habe keine gefunden. Deshalb finde ich, dass auch uns eine Quote helfen würde.

Wie kann eine Quote in solchen Fällen helfen?

Sie verpflichtet eine Organisation, sich so früh um die Sache zu kümmern, dass, im Fall von Unsere Kurve, am Ende auch zwei Frauen dort sitzen. Wenn man erst fünf Tage vorher darüber nachdenkt und in der Vergangenheit auch nichts dazu beigetragen hat, Frauen entsprechende Möglichkeiten zu eröffnen, bringt das nichts. Frauen brauchen ja keine Unterstützung für ihre Kompetenzen oder ihre Qualität – sondern sie müssen sichtbar werden.

Solche Forderungen auch an Verbände und Vereine zu stellen, klappt am besten, wenn wir sagen können: Seht her, wir machen’s schon. Und wenn wir das mit der Quote können, könnt ihr es schon lange.

Das Argument, es gebe einfach nicht genügend Frauen, kommt sehr häufig, nicht nur im Fußballkontext.

Stattdessen müssen wir organisierten Fans uns fragen, was wir dazu beitragen, dass Frauen im fanpolitischen Bereich kaum repräsentative Rollen einnehmen.

Das generische Maskulinum weckt im Fußball ausschließlich männliche Assoziationen. Um das aufzubrechen, brauchen wir eine andere Sprache.

Was ist aus deiner Sicht der wichtigste Schlüssel, um an den Spitzen von Fanorganisationen mehr geschlechtliches Gleichgewicht zu schaffen?

Klar sind die Diskussionen mühsam. Deswegen brauchen wir viele Männer, die sagen: Ich bin übrigens keine Frau, finde das Thema aber trotzdem wichtig. Darüber hinaus gab es in der Vergangenheit durch das F_in-Netzwerk oder die Ausstellungen “Tatort Stadion” und “fan.tastic females” gute Impulse, die zum Nachdenken anregen und aufzeigen, was möglich ist.

Als “Fußball kann mehr” setzt ihr euch auch für eine geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Sprache ein. Gendern ist im Moment ein gesellschaftliches Reizthema. Warum löst das so heftige Diskussionen aus?

Alle sind davon betroffen, nicht mehr nur “die anderen”. Plötzlich soll eine Einzelperson ihre Gewohnheiten ändern, obwohl sie doch immer so geschrieben und gesprochen hat. Außerdem wird das Ganze ideologisch ein bisschen aufgeladen, und da müssen wir meiner Meinung nach alle etwas zu beitragen, das wieder runterzufahren.

Anders als bei Unternehmen oder Verbänden geht es mir bei Einzelpersonen darum, dass es eine inklusive Sprache nutzen, weil sie von innen heraus in ihrer Kommunikation alle miteinbeziehen möchten, und nicht aufgrund einer Verpflichtung.

Warum war euch die gendergerechte und diskriminierungsfreie Sprache so wichtig, dass ihr sie ins Positionspapier aufgenommen habt?

Wenn ich über Fußball spreche, habe ich fast ausschließlich Bilder von Männern im Kopf: “der Fußballer”, “der Präsident”, “der Vorsitzende”, … Für mich ist das kein generisches Maskulinum. Das wäre der Fall, wenn die sprachliche Form kein Geschlecht meint. Stattdessen weckt das generische Maskulinum im Fußball ausschließlich männliche Assoziationen. Um das aufzubrechen, brauchen wir eine andere Sprache, die explizit die anderen Geschlechter sichtbar macht.

Zum Schluss würde ich gerne noch einmal über die DFL-Taskforce “Zukunft Profifußball” sprechen, in der sich ja ein paar Mitglieder von “Fußball kann mehr” vernetzt haben. Als die Taskforce am Anfang ihre Arbeit aufgenommen hat, waren Frauen im Fußball gar kein Thema. Am Ende erschien dieser Punkt jedoch im Abschlussbericht.

Die Gruppe, in der unter anderem Katja Kraus, Heike Ullrich und ich waren, hat über Frauenfußball diskutiert. Bei Frauenfußball sprachen alle aber ganz schnell auch über Frauen im Fußball. Wir haben dann einen Cut gemacht: Frauenfußball ist ein Thema, über das wir intensiv sprechen müssen, Frauen im Fußball ist das andere – aber getrennt voneinander. Es ist verrückt, dass man erst auf im Fußball engagierte Frauen kommt, wenn man über Frauenfußball spricht.

Das F_in-Netzwerk kritisiert, dass Im Abschlussbericht der DFL von Konzepten, die noch entwickelt werden müssen, von Empfehlungen und ersten Schritten die Rede sei. Eine langfristige, nachhaltige Strategie fehle hingegen. Werden die in der Taskforce entwickelten Maßnahmen wirklich zu Veränderungen führen?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber es wird immer schwerer, die Hoffnung aufrecht zu erhalten. Manche Themen werden sich meiner Einschätzung nach auf jeden Fall durchsetzen; am Komplex Nachhaltigkeit wird die DFL zum Beispiel nicht vorbeikommen. Gerade mit Blick auf die fanbezogenen Maßnahmen und bei den wirtschaftlichen Themen werden wir jedoch noch sehr viel Arbeit und Nachdruck leisten müssen. Das versuchen wir seit Ende der Taskforce in jedem Gremium, in dem ich sitze, und darüber hinaus. Insgesamt fehlt uns die Resonanzfläche Stadion, um deutlich zu machen, welche Forderungen aus “Zukunft Profifußball” den Fanszenen am wichtigsten sind. Aus der DFL höre ich, dass sie an den empfohlenen Maßnahmen arbeiten würden. Wir haben jedoch Zweifel, wie groß ihr Interesse an einer Umsetzung ist.

Und mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit zeigt das Positionspapier von “Fußball kann mehr” nun den Weg auf, der in den Empfehlungen der DFL-Taskforce gefehlt hat.

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