Warmlaufen

Ein Saisonende ohne Wehmut

26.06.2020, 14:02 Uhr von:  Michael
Ein Saisonende ohne Wehmut

Normalerweise stünden morgen die ersten beiden Achtelfinalpartien der Europameisterschaft an. Doch normal ist in dieser Saison nichts. Stattdessen trifft der BVB am 34. Spieltag auf die TSG Hoffenheim. Der letzte Vorbericht einer absurden Saison.

Rückblick. 1. Spieltag, 17.08.2019. Nach der Ehrung des verstorbenen Manni Burgsmüller, startet der BVB traditionell mit einem frühen Gegentor in die Saison. Nach 31 Sekunden liegt Augsburg im Westfalenstadion mit 1:0 in Front. Am Ende steht es 5:1 für die Schwarzgelben und der BVB ist Tabellenführer.

Schaut man sich heute Ausschnitte dieses Spiels an, wirken diese wie aus einer anderen Welt. Und das nicht, weil mit Alcácer und Weigl damals zwei Spieler in der Startelf standen, die gefühlt vor Jahren den Verein verlassen haben. Sondern weil man eine eskalierende Südtribüne sieht, Spieler, die sich innig umarmen und komplette Gesichter ohne Maske.

Die Corona-Krise hat in den letzten Monaten gesellschaftlich viel verändert. Alle von uns sahen sich mit einer Ausnahmesituation konfrontiert. Beruflich und privat musste vieles teils jede Woche neu organisiert und geplant werden und nicht wenige standen vor erheblichen finanziellen Herausforderungen.

Und die deutsche Profifußballbranche? Ließ keine Peinlichkeit aus, um zu zeigen, wie moralisch (und finanziell) verkommen sie ist. Ein unwürdiges Gezerre begleitete die Diskussion über die Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Über Wochen überboten sich die Akteure in speichelleckenden „Der Fußball wird sich ändern“-Phrasen und verteilten gleichzeitig Maulkörbe an Spieler, die ihre Befürchtungen offen äußerten. Und während man auf der einen Seite betonte, dass der Fußball sich niemals über die Gesellschaft stellen darf, schwadronierte man auf der anderen Seite von der „Lebensfreude, die man den Menschen bringt“ und dem angeblichen Gütesiegel „Made in Germany“.

Was fällt uns zum Thema Hoffenheim nochmal ein?

Das Bitten und Betteln wurde erhöht. Die Profiligen in Deutschland durften mit einem monströsen Aufwand die Saison fortführen. Die DFL hat mit ihrem Konzept viel riskiert und gewonnen. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Saison entgeht die DFL der kaum aufzulösenden Situation, einen halbwegs fairen Saisonabschluss am grünen Tisch erreichen zu müssen.

Nichtsdestotrotz waren die vergangenen Wochen ein Offenbarungseid der Branche. Es wird sich zeigen, ob die unter finanziellem Druck abgegebenen Besserungsversprechen wirklich eintreten. Brandheißer Tipp meinerseits: Nein.

Aber bleiben wir fair: Es war nicht alles schlecht. Sportlich ist der Geisterteil der Saison für den BVB durchaus gut gewesen und die fehlenden Punkte für die Meisterschaft hat man eher in der Hinrunde als im Rückspiel gegen die Bayern verspielt. Und was die Blauen aus der Nachbarschaft seit dem Restart sowohl auf als auch neben dem Platz fabrizieren, nötigt selbst Anhängern eines notorischen Chaosklubs wie Frankfurt anerkennende Blicke ab.

Ach ja! Die hässlichen Fratzen des Fußballs

Ach ja, Fußball wird morgen auch noch gespielt. Für den BVB geht es quasi um nix mehr. Für das Spielzeug eines Muttersohnes aus dem Kraichgau geht es im Fernduell mit den Autoschraubern (zuhause gegen München) darum, die UI-Cup-mäßige Dörfertour vor der nächsten Saison zu vermeiden.

Wie auch immer, es werden exakt 22 Spieler mehr auf dem Platz stehen, als Fans im Stadion sein. Und alleine das, macht das Spiel noch unwichtiger, als es eh schon ist.

Das hier ist der letzte Vorbericht der Saison 2019/20.

Normalerweise schwingt an dieser Stelle, unabhängig vom sportlichen Verlauf der Spielzeit, immer ein wenig Wehmut mit. Wehmut, dass die Stadionbesuche mit Freunden für mindestens 3 Monate ausfallen, Wehmut, dass der Samstag plötzlich für so sinnfreie Aktivitäten wie Gartenarbeit oder IKEA-Besuch frei wird, Wehmut, dass der ein oder andere liebgewonnene Spieler den Verein verlässt.

Die Situation der letzten Wochen lässt wenig Platz für Wehmut. Weil Fußball für viele in den Hintergrund gerückt ist, weil Geisterspiele scheiße sind, weil der Profifußball seine Maske just in dem Moment einmal mehr fallen ließ, als sich die Menschheit ihre aufsetzte.

Vor einigen Wochen gab es noch die leise Hoffnung, dass es auch der letzte Vorbericht sein wird, in dem das Wort „Corona“ auftaucht. Leider wird es bei dem Wunsch bleiben. Corona wird uns und den Profifußball auch in der neuen Saison vor Herausforderungen stellen. Stellen wir uns darauf ein, dass es absurd bleibt.

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