Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Inmitten der Corona-Krise erhält ein in Italien spielender deutscher Fußballprofi seine erste Auszeichnung.
„Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ ist Bestandteil eines sehr kurzen Gedichtes vom Dichterfürsten J. W. von Goethe. Die Verse aus „Klärchens Lied“ stammen aus dem Theaterstück „Egmont“, das Goethe im Jahre 1787 vollendete. Himmel und Hölle hat auch der deutsche Fußballprofi Robin Gosens in Bergamo erlebt.
Bergamo wird gerne als Italiens schöne Unbekannte bezeichnet und ist Heimat der besten Polenta der Stiefelnation. Es ist auch die Geburtsstätte von Donizetti, einer der fünf großen Opernkomponisten der Welt. Die Stadt liegt in der Lombardei, eine der wohlhabendsten Regionen Italiens und sie schreibt in zweierlei Hinsicht gerade Geschichte.
Wegen der hohen Anzahl von Coronavirus-Todesopfern wird es auch als „Italiens Wuhan“ bezeichnet und musste einen zweimonatigen Lockdown erleben, der am 18.05.2020 endete. Mehr als 2600 Tote zählen die Umgebung und die Stadt, in deren Krankenhaus „Papa Giovanni XXIII“ am Höhepunkt der Infektionswelle bis zu 500 Covid-19-Patienten an einem Tag behandelt wurden. „Die Situation in Bergamo war erschütternd“, so beschreibt es der deutsche Fußballprofi Robin Gosens von Atalanta Bergamo und fügt hinzu: „Es ist sehr, sehr krass“.
Gosens erlebt zurzeit als Spieler die erfolgreichste Phase von Atalanta Bergamo. Er erlebte aber auch die von vielen diskutierte biologische Bombe, die als Brutstätte der Coronakrise in Italien gilt. Es ist das Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League am 19. Februar im San Siro Stadion in Mailand gegen den FC Valencia, das mit 4:1 gewonnen wurde. Schon das spätere Rückspiel, das mit 4:3 gewonnen wurde, fand vor einer Geisterkulisse statt. War der Einzug ins Viertelfinale zu teuer erkauft? Zwei Tage nach dem Spiel in Mailand gibt es den ersten offiziell infizierten Italiener, zwei Tage später den ersten offiziellen Fall in der Provinz Bergamo. Beim FC Valencia werden fünf Spieler in der Folgezeit positiv getestet, auch bei 35% der Clubangestellten ist der Test positiv. Zu dieser Zeit befand sich das Team von Robin Gosens schon in Quarantäne. Bergamo ein „Hotspot?“ Es ist letztendlich wissenschaftlich fragwürdig, handelt es sich bei der Lombardei doch auch um ein wirtschaftlich und sozial sehr aktives Gebiet. Alleine schon dadurch könnte es die „Brutstätte für einen Virus“ sein.
Frühzeitig bestand eine große Solidarität des italienischen Fußballs mit den systemrelevanten Berufen. Auch Robin Gosens erkannte schnell die Vergänglichkeit der magischen Momente im Sport, auch wenn der Shootingstar durch die Coronakrise zunächst einmal sein Debüt in der Nationalmannschaft verschieben musste. Kurzzeitig hatte er überlegt, wie zum Beispiel Christiano Ronaldo, Italien zu verlassen. „Das Land zu verlassen wäre nicht das richtige Zeichen gewesen“, betonte er in einem Interview mit der ARD Sportschau. Er fügt hinzu:“ Ich persönlich fand es nicht richtig zu flüchten, weil wir hier in Bergamo so ein bisschen die Helden von allen Leuten sind. Wenn wir dann weggefahren wären und das Land verlassen hätten, dann wäre das nicht das richtige Zeichen gewesen“. Auch sonst ist Robin Gosens nicht der typische Fußballprofi, eher ein Unterschiedsspieler, der nebenbei auch noch Psychologie an der Fernuni studiert.
Neben seinem aktuellen sportlichen Erfolg mit Atalanta Bergamo in der Seria A, ist dies sicher auch ein Grund für die kürzlich erhaltene Auszeichnung bei der Publikumswahl zum Deutschen Fußballbotschafter 2020. Diese Auszeichnung wird vom gemeinnützigen Verein “Deutscher Fußball Botschafter“ mit seinem Präsidenten Roland Bischof verliehen. Der Verein zeichnet deutsche Trainer*innen und Spieler*innen aus, die durch ihr Auftreten und Engagement zum positiven Image des Fußballs und Deutschlands beitragen. Damit ist er der Nachfolger von Marc-André Ter Stegen, der den Preis im Jahre 2019 erhielt. Gosens setzte sich gegenüber Dzsenifer Marozsan (Olympique Lyon) auf Platz zwei und Toni Kroos (Real Madrid) auf Platz drei durch. Durch die Jury waren elf im Ausland spielende deutsche Spieler*innen nominiert worden.
Robin Gosens hat vor knapp 26 Jahren in Emmerich das Licht der Welt erblickt, und lernte mit sechs Jahren bei Fortuna Elten das Fußballspielen. Neben der deutschen besitzt er die niederländische Staatsangehörigkeit. Sein fußballerischer Werdegang ist eher ungewöhnlich und führte ihn zunächst über den 1.FC Bocholt zum VfL Rhede. Ein Nachwuchs-Leistungszentrum eines Bundesligisten hat er nie gesehen. Schon damals gab es für ihn ein Leben neben dem Fußballplatz. So fiel er auch bei einem Probetraining beim BVB durch und bezeichnet es später als ein einziges Fiasko. Ob er deswegen dann ein glühender Fan der Blauen wurde, sei dahingestellt. Aber wie sagt der Kölner: „Mer muss och jönne könne“. Strittig ist auch, ob es schließlich das Blau war, das ihn nach Bergamo führte. Zunächst aber wurden die Scouts von Vitesse Arnheim auf ihn aufmerksam und schulten ihn zum Linksverteidiger um. Im Juli 2013 kam es zur Verpflichtung des Talents durch den Club, der damals von einem nicht geringeren als Peter Bosz trainiert wurde. Trotzdem stotterte anfänglich der Karriere-Motor. Es folgte eine Ausleihe zum FC Dordrecht, einem Club der zweiten Liga, mit dem er am Saisonende in die Eredivisie aufstieg. Nach anderthalb Jahren, im Sommer 2015 wechselte er schließlich zu Heracles Almelo und qualifizierte sich mit seinem neuen Club in der Saison 2015/2016 für den Europapokal. Die Karrierewende stellte sich dann im Jahre 2017 mit dem Wechsel zu Atalanta Bergamo ein. Die Ablösesumme betrug schlappe 900.000 Euro.
Es ist das vorläufige Ende eines traumhaften Aufstiegs von Robin Gosens. Aktuell belegt er mit Atalanta, das auch La Dea „die Göttliche“ genannt wird, mit dem besten Sturm in der Liga Platz vier. Dazu hat er mit insgesamt 7 Toren und 5 Assists beigetragen. Keine schlechte Bilanz für einen Linksverteidiger, der erst im zweiten Jahr zum Stammspieler wurde und dem die Presse anfänglich keine Chance in der Serie A gab. Die Qualifikation für das Viertelfinale der Champions League unter Trainer Gian Piero mit den noch bevorstehenden Spielen hat für Bergamos Nummer 8 etwas Märchenhaftes. Inzwischen gilt er als Kämpfer und wirkt bodenständig und selbstbewusst. Sein Traum ist für Deutschland zu jubeln; er schließt aber auch das Auflaufen für „Nederlands voetbalelftal“ nicht aus. Man wird sehen, wer schneller ist. Auf jeden Fall ist die Position des Linksverteidigers in der „Mannschaft“ vakant.
Aktuell findet in Deutschland eine Diskussion statt, ob die Politik zu spät auf die Coronagefahr reagiert hat. Dieser Diskussion sollten sich die nationalen und internationalen Fußballverbände anschließen. Denn es ist nicht nur Bergamo, das im Kreuzfeuer steht. Auch das Champions-League- Achtelfinale des FC Liverpool am 11.03.2020 gegen Atletico Madrid an der Anfield Road steht unter Infektionsverdacht und hatte möglicherweise für einige Besucher fatale Folgen, denn danach sind 41 Menschen in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Laut einer Studie könnte die Partie ein Verbreitungsherd für das Coronavirus gewesen sein. Dies berichtete die Sunday Times am Sonntag und bezieht sich auf eine Studie der Datenanalysefirma Edge Health. Zum Spiel waren 3000 spanische Fans angereist. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Spanien bereits 640.000 Fälle von Coronavirus-Infektionen. Auch in Deutschland konnte man nur den Kopf schütteln, dass in Leipzig noch am 10. März in ausverkaufter Hütte das Achtelfinalspiel der Champions League gegen Tottenham vor 42.146 Zuschauern bestritten wurde. Auch das hätte ganz schön in die Hose gehen können und die Dosen sind mit einem blauen Auge davongekommen. Julian Nagelsmann muss hier nicht unbedingt stolz auf seine früheren Kommentare sein.
Am Ende ist zu hoffen, dass der internationale sportliche Erfolg von Robin Gosens mit Atalanta Bergamo am Ende nicht unsportlich unter die Räder kommt. Aber auch das Fortführen der Champions League ohne Zuschauer ist kein wirkliches Gipfeltreffen europäischer Spitzenclubs. Im Moment steht unser Fußballbotschafter in der Serie A mit seinem Club auf Platz 4 hinter Juventus, Lazio und Inter. Für mich wirkt er in Interviews sehr überzeugend und man kann sich einen weiteren Karrieresprung gut vorstellen. Einmal kam er dann doch noch, nach seinem gescheiterten Probetraining beim BVB, ins Westfalenstadion zurück. Aber auch dieser Auftritt ist ihm nicht in guter Erinnerung. Am 15. Februar 2018 wurde er im Hinspiel des Sechszehntelfinales der UEFA Europa League gegen den BVB in der 76. Minute für Bergamo eingewechselt. Am Ende stand ein 2:3 gegen die Borussen und nach dem Rückspiel mit einem 1:1, das Aus im laufenden Wettbewerb. Dortmund scheint kein gutes Pflaster für ihn zu sein, aber das kann sich ja noch ändern. Wir wünschen ihm auf jeden Fall für die Zukunft alles Gute und gratulieren zum Publikumspreis „Deutscher Fußball Botschafter 2020“.