Haaland zur Reha in Katar
Erling Haaland brauchte sieben Stunden und 25 Minuten mit dem Flugzeug ins arabische Land, um sich dort von seinen Blessuren zu erholen.
Das RKI meldete am 11.12.2020 einen neuen Rekord an Neuinfektionen. Am Tag zuvor hatten sich in Deutschland insgesamt 29.875 mit dem Covid-Virus angesteckt. Damit erreichten die Corona-Neuinfektionen einen neuen Höchststand. Auch bei den Todesfällen wurde mit 598 Fällen ein trauriger Rekord gemeldet. Im Land wird ein strengerer Shutdown ins Auge gefasst. Weihnachtsfest und Silvester treten in den Hintergrund, diskutiert werden auch frühzeitige Weihnachtsferien und eine erneute Schließung des Einzelhandels um nur einige Maßnahmen zu nennen. Eine emotionale Rede der Bundeskanzlerin schien den manchmal wenig produktiven Föderalismus zu besiegen.
In dieser für alle schwierigen und manchmal existenzgefährdenden Situation erreichte uns eine Nachricht von Erling Haaland aus der Aspire Academy in Doha. Per Instagram rief er uns zu einem Quiz auf, um seinen Standort zu erraten.
Das Trainingszentrum, in dem er sich zur Reha befindet, hat mehr als 750 Millionen Dollar gekostet und dient auch schon seit Jahren dem Stern des Südens als Trainingslager. Im 5-Sterne-Hotel „Al Aziziyah Doha“ steigt man gerne ab und genießt den sonnigen Winter. Der von uns allen geliebte Vorstandschef der Bayern, Karl-Heinz Rummenigge, kommt da schon einmal ins Schwärmen und ignoriert in seiner „Fußballblase“ die massiven Menschenrechtsverletzungen, die regelmäßig beim Bau solcher Sportstätten totgeschwiegen werden. In einer Rezension haben wir über das Buch „Machtspieler“ von Ronny Blaschke berichtet. In diesem Buch, das sich mit Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution beschäftigt, beschreibt der Autor die Zustände im Zwergstaat und die Ausbeutung der Arbeitsmigranten mit dem Ziel, den außenpolitischen Einfluss weiter zu stärken.
Nun befindet sich auch unser norwegischer Stürmerstar in dieser sterilen „Fußballblase“. Man brauchte nur auszuwählen zwischen „Chilling in Germany“ (Entspannen in Deutschland), „On vacation in Brasil“ (Urlaub in Brasilien), „Recovering in Qatar“ (Reha in Katar) und „At home“ (Zu Hause) und man bekam bei richtiger Antwort eine FFP2-Maske vom Robert-Koch-Institut geschenkt. Der Medizintourismus hatte eine neue Dimension erreicht. Glaubte man früher, die Heilung von Blessuren sei alleine bei einem Medizinguru in München oder bei den allwissenden Schweizern möglich, so ignoriert man jetzt eines der führenden Gesundheitssysteme der Welt und begab sich wie Thomas Edward Lawrence nach Arabien. Der wurde dort zum gefeierten Volkshelden. Die Entscheidung Erlings und seines Umfeldes wird sicher an seinem Heldentum, das er in der schwarzgelben Fußballhauptstadt genießt, einige Kratzer hinterlassen. Vielleicht sollte man auch mehr auf die Empfehlungen des Auswärtigen Amtes achten. Dies rät nämlich in Zeiten der Corona-Pandemie von „nicht notwendigen touristischen Reisen“ in das Land Katar ab.
Michael Zorc erklärte bei der gestrigen Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den VfB: “Wir gehen davon aus, dass Erling sich dort an die lokalen Hygieneregeln hält“. Der Sportdirektor des BVB wirkte auf Nachfrage der Journalisten alles andere als souverän. Man merkte ihm an, dass es ihm schwer fiel, die Aktion seines Youngsters nachzuvollziehen. Es war eine weitere Pandemie-Episode in der Welt des Fußballs, die sich immer weiter von der Welt des Alltages entfernt und viele Fragen unbeantwortet zurücklässt. Dies ist auch nicht mehr mit jugendlichem Leichtsinn zu entschuldigen. Von einem Menschen in Erlings Alter kann man sicher erwarten, dass er sich kritischer mit der aktuellen Weltsituation auseinandersetzt. Als Fußballfan, der sich immer weiter vom Kosmos Fußball entfernt, bleibt man dennoch sprachlos zurück. Führen Talentschmieden, Trainingsakademien und die Sorgfalt geldgieriger Berater dazu, den Überblick für das Ganze zu verlieren? Müssen Vereine in solchen Situationen nicht eingreifen und einfach einmal „NEIN“ sagen?
Wenn die lokalen Hygieneregeln in Katar genauso behandelt werden wie die Menschenrechte muss man sich Sorgen machen. Der ganze Trip in die arabische Welt wirkt wie die Anwesenheit in einem falschen Film. Aber wir können ja in der Folgezeit noch mehr testen und auf unsere Vorbildfunktion im Fußball hinweisen. Der Blick in die Altenheime und Pflegeheime, aber auch in die Kliniken mit ihren Intensivstationen scheint durch Bilanzen, Fernsehgelder und greise Funktionäre verschleiert.
Gerade die aktuelle Pandemie zeigt wie krank diese Fußballwelt ist. Das Schlimme ist nur, und das befürchte ich, die Pandemie wird vorbeigehen, der Fußball wird ein kranker Patient bleiben.