Enjoy the silence
Corona hat, wie wohl bei Euch allen, einen wichtigen Teil meines Lebensrhythmus durcheinandergewirbelt. Die Taktung des Alltags wurde nicht unwesentlich durch Spieltagsansetzungen und anstehende Heimspiele bestimmt. Und natürlich nahm der Fußball auch in der Zeit zwischen Ab- und Anpfiff einen wichtigen Platz ein. Dementsprechend tief und bedeutsam war der Einschnitt, als Mitte März das Coronovirus auch den Fußballbetrieb abrupt abschaltete. Selbst wenn eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs bei weitem nicht die staatstragende Bedeutung hatte, wie mancher Funktionär einem weismachen wollte, auch hier kam das individuelle Leben ein Stück weit zum Stillstand.
Anders als die Sommerpause stellte der Coronabreak keine natürliche Pause zwischen Endpunkt der alten und Startpunkt der neuen Saison dar, die zwar immer irgendwie lästig und zu lang wirkte, auf die man sich aber einstellen konnte. Mit Ausbreitung der Pandemie wurde jedoch schnell klar, dass der Fußball in Art und Zeit auf gar nicht absehbare Art und Weise verändert werden würde. Fast ein halbes Jahr später sind die Wettbewerbe zwar ausgespielt und der Ball rollt wieder – das alte, gewohnte Fanleben, in dem man jeden zweiten Samstag mit dem schwatzgelben Lindwurm, der auf das Stadion zurollt, verschmilzt, ist aber noch weit, weit weg. Der Fußball überlebt, aber er gesundet noch nicht.
Was mich an all dem ziemlich konsterniert: Es berührt mich wenig. Direkt nach Absage der Spieltage im März fehlte Fußball an allen Ecken und Enden. Es war wirklich eine Art von Entzug, bei dem am Anfang der Wunsch nach einem „weiter so“ übermächtig ist – der aber im Laufe der Zeit immer dumpfer wurde. In dieser Zeit habe ich gemerkt, wieviel Krach der Fußball wirklich erzeugt, um sich aufzublähen und allumfassend darzustellen. Die 90 Minuten, in denen der Ball rollt, waren fast nebensächlich. Es ging um heiße Debatten, um brennende Bengalos, um weißhaarige Milliardäre, um unzählige Transfergerüchte, die atemlos in den Äther geblasen wurden, um immer ausgefallenere Willkommensvideos, mit denen die Vereine auch noch die Verpflichtung des dritten Ersatztorwarts in den sozialen Medien zelebrieren, um den berühmten Kölner Keller und weitere Regeländerungen, die einen an sich einfachen Sport immer undurchsichtiger und unverständlicher machen sollten.
Ein mächtiges Getöse, das sich schon längst als Hauptdarsteller verstand und sich in den Vordergrund drängte. Ich bin mir bewusst, wie schwer – eigentlich unsäglich – es ist, aus einer Pandemie, die viele tausend Tote verursacht und viele Existenzen vernichtet hat, etwas Positives für eine Banalität wie den Profifußball zu ziehen – aber diese plötzliche, erzwungene Ruhe war auch erholsam. All die selbsternannten Transferpäpste verstummten, weil niemand wusste, wann der Transfermarkt überhaupt wieder öffnet. Fußballfans konnten nicht weiter instrumentalisiert werden, um neue Law-and-order-Maßnahmen durchzupeitschen, aber auch wir Fans konnten uns auf einmal keinen Druck mehr machen, beim nächsten Spiel unbedingt dabei sein zu müssen und auch das Spiel gegen den farblosesten Gegner zum emotionalen Höhepunkt der Saison zu machen. Nicht nur auf den Rängen, auch abseits davon war: Stille. Eine Stille, die es einem erlaubte, mal zu reflektieren, was am Fußball wichtig ist und was nicht und welche Position er im persönlichen Leben wirklich einnehmen sollte, ohne dass er ständig in die Gedanken ein „Ich bin das Wichtigste“ hineinkrakeelt.
Selbst jetzt, wo der Fußball wieder gestartet ist, schaffen die Geisterspiele eine Distanz, die auch neuerliche Versuche der Branche, sich zum Zentrum des Universums zu machen, dämpft und irgendwie unwirklich erscheinen lassen. Messi will Barca ablösefrei verlassen? Ok, Barca hat es sich verdient, auch mal was abzubekommen und ansonsten juckt es mich herzlich wenig, bei welchem Verein „La Pulga“ in Zukunft die horrenden Beträge bezieht, die er dann vorm Finanzamt in Sicherheit bringen kann. Bayern verpflichtet Leroy Sané? Als ob es wirklich von Belang wäre, wer da auf dem Spielberichtsbogen des letzten Spieltags der Saison 20/21 steht und zum x-ten Mal die Schale in Empfang nimmt. Spielt Kai Havertz noch bei den Pillen, oder ist er schon zu Chelsea gewechselt? Ich weiß es nicht.
Auf der einen Seite erschreckt es mich, welch geringen Stellenwert der Fußball auf einmal einnimmt. Andererseits ist es auch fast wohltuend, dieses ganze Ballyhoo auf den Platz zu verorten, der ihm eigentlich zusteht. Vieles von dem, was uns als Teil des Fußballs verkauft wird, ist eigentlich schrecklich unwichtig und einzig und allein um sich selbst kreisend. Dieser Lärm ist nichts weiter als das Aufplustern eines eigentlich schmächtigen Vogels, der dadurch größer und beeindruckender wirken will, als er eigentlich ist. Letztendlich geht es auch hier um Geld, das noch nicht einmal mehr mit Fußball, sondern einzig und allein mit dem Krach drumherum verdient wird.
Nach all den Jahren tut diese Pause auch einfach mal gut und während ich mich schon auf den ersten Stadionbesuch und das Wiedersehen mit all den gewohnten Spieltagsbekanntschaften freue, verspüre ich auch den Widerwillen, mich wieder diesem Mahlstrom aus Lärm, Erwartungen, Hektik und Schein auszusetzen. Manchmal muss man die Stille eben einfach genießen.